Die Frau unter ihm wimmerte. Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sie und lallte: „Hassu noch nich’ jenuch, du Schlambe?“, während er sich anschickte, seine Lust an ihr weiter zu befriedigen.
Der ungebetene Besucher, der das ganze Treiben lang genug beobachtet hatte, nutzte den Augenblick, um diesen Schweinestall schnellstens zu verlassen.
Genauso roch es hier für seine nun empfindlichere Nase durch die verströmten Hormone und Körperflüssigkeiten, die einen muffigen und beißenden Geruch verströmten, der an das Raubtier- oder Affenhaus im Zoo erinnerte.
Auch hier hatte er nichts zu tun. Manuel war schon gestraft genug. Nun musste er besonders aufpassen. Dieser andere Dämon war wesentlich mächtiger und sicher auch bösartiger als er, wenn er sich schon in einem Menschen einnisten konnte.
Zum Glück hatte ihn der Vater, oder besser gesagt das Böse in ihm, nicht entdeckt. Wer weiß, was der mit ihm gemacht hätte...
Shynn mutmaßte, dass es in der Gegend noch mächtigere Wesen gab als diese Erscheinung. Er wusste jedoch auf einer sehr tiefen Ebene, dass der ihm auf irgendeine Weise ähnelte. Aber wodurch? Und woher wusste er das?
Scheint doch häufiger vorzukommen, dass Geister hier wandeln, dachte er bei sich. Aber er hatte anderes im Kopf. Es warteten noch einige Hanseln auf ihn.
Dem Rest den Rest geben
Bei allen restlichen Kindern war die Luft so weit rein, als er sie einen nach dem anderen besuchte. Und auch bei ihnen stiftete er diversen Unfrieden, wie zuvor. Die Hausaufgaben verschwinden lassen, zum Beispiel.
Bei einem der Jungen versuchte er es auch erst mit Einflüsterungen, so wie der Nachtalb bei seiner Mitschülerin. Das überforderte ihn jedoch mental, also ließ er das fürs Erste bleiben. Stattdessen warf er Teile von dessen geliebter Minifigurensammlung weg und vergriff sich zusätzlich an dessen Schallplatten und Klamotten.
Gerade die Sachen aus den Westpaketen richtete er besonders übel zu.
Einem Mädchen schleppte er Spirtuosen aus dem Bestand ihrer Eltern ins Kinderzimmer. Einen Teil des Inhaltes kippte er über die erreichbaren Lebensmittel. Das wird lustig morgen.
War ja auch fast immer das Gleiche: Finde raus, was denjenigen am meisten trifft und schon hast du ihn.
Machten sie das nicht auch immer so mit ihm?
Beim letzten Bengel, der ihm so schön den Nachmittag versaut hatte, öffnete er die Kaninchenbuchten, die er schon von weitem riechen konnte und verbog das Maschendrahtgitter des Grundstückszaunes an einer versteckten Stelle zu einem großen Loch.
Er wollte den Tieren ja nichts tun, sondern überließ es ihnen bloß, ob sie stiften gehen oder hier bleiben wollten.
Lange würden sie es sicher nicht machen, dachte er, denn es war fast Winter und es waren Rassekaninchen, die zu Ausstellungszwecken gezüchtet wurden und somit zum Großteil für das Leben in der Wildnis nichts taugten. Außer zur Nahrung für den Fuchs oder andere Raubtiere.
Ihm kam es hier nur auf den Ärger an, den er dem hier wohnenden Kind dadurch verursachte, denn es war mitverantwortlich für die Fütterung der Mümmelmänner. Es gab sicher Zoff, wenn die Boxen offen gelassen wurden und die preisgekrönten Tiere ausbüxten.
Shynn machte sich auf dem Heimweg, denn es wurde langsam Zeit. Denn er durfte nicht aufwachen, wenn er nicht drinnen war. Er wusste nicht, was dann mit seinem Körper geschähe, wenn das passierte.
Das Kopfweh, unter denen er nach solchen Nächten litt, hing sicher damit zusammen, dass er den Leib überhaupt verlassen konnte.
Gedankenkreisel
So kam es auch schließlich, Kai hatte schlimme Kopfschmerzen, schlimmer als am Tag zuvor. Er würde zwar die Wohnung heute eh nicht verlassen. Dafür konnte er relativ unbehelligt im Zimmer bleiben und seinen Lieblingsbeschäftigungen nachgehen.
Währenddessen berieten sich die Eltern, die doch langsam in Sorge waren.
„Lisa, mit dem Jungen stimmt was nicht. Gestern angeblich Kopfschmerzen. Heute schon wieder? Was machen wir nur? Das macht mich wahnsinnig. Wie kommen wir an ihn ran?“
Die Mutter antwortete nur: „Jochen, Montag ist die Schule wegen Behördentag geschlossen. Dann werde ich mal mit ihm zum Kinderarzt gehen. Wie du sagst, der Sache mit den Kopfschmerzen sollten wir mal nachgehen. Bis jetzt hielt ich die für Übertreibungen. Und da sollten wir auch gleich einmal prüfen lassen, warum er in der Schule mit den anderen Kindern so Probleme hat. Lassen wir ihn in Ruhe.“
So berieten sie sich und einigten sich auf den Ablauf von nächster Woche. Kai hatte seine Lauscher auf Empfang und hörte sehr genau, was die beiden da redeten.
Er verzog das Gesicht, denn er hasste Ärzte und Krankenhäuser. Der Junge musste diese früher oft aufsuchen. Oder zur irgendeiner Untersuchung gehen, das ging ihm schon auf den Keks.
Andererseits nervte ihm das mit dem Kopf schon. Was war also schlimmer?
Nach dem Frühstück stand er wortlos auf und ging in sein Zimmer zurück, denn er war seinen Eltern immer noch böse, dass sie ihn gestern gleich so ausgemeckert hatten und ihn nicht einmal zu Wort kommen ließen.
Er dachte, als der Kopf nicht mehr wehtat, über seine Träume und die Zusammenhänge mit den Ereignissen, die darin geschahen, nach.
Erstens: Er träumte früher schon von dem Teufelchen, Shynn nannte er ihn. Aber so detailreich waren die Träume nur dann, wenn er richtig schlimm geärgert wurde.
Zweitens: Solche Träume finden nicht bei jeder Sache, die ihm durch andere widerfuhr, statt. Es musste vorher richtig wehtun.
Drittens: Was hatte dieses Wesen mit ihm zu tun? Wo war die Verbindung zu ihm selbst? Er malte ihn ja auch immer in Kindergestalt, etwa seiner eigenen entsprechend. Darauf konnte er sich keinen Reim machen. Außer, dass er keine Sportskanone war, klein und schmächtig und ohne Brille schlecht sah, fiel ihm auf, dass das Fantasiegeschöpf keine Brille hatte und fliegen konnte und so durch Wände gehen. Wollte er so sein wie Shynn?
Viertens: Als ganz kleiner Junge hatte er so etwas wie einen unsichtbaren Freund, den er nur undeutlich in Erinnerung hatte. War das nicht ebenfalls Shynn? Möglich. Dass dieser alles das war, was er selber nicht war? Dieser Gedanke verfestigte sich noch einmal.
Fünftens: Die Träume sind so echt, zu echt, nicht wie Träume sein sollten. Er träumte schließlich auch andere Sachen. Aber im Unterschied dazu, beobachtete er in normalen Träumen mehr und konnte dort keinen Einfluss nehmen. Hier schien es so seinen tiefsten Wünschen zu entsprechen, was da geschah. Außerdem bekam er hinterher immer raus, dass das in den Träumen auch wirklich passierte. Wie kann das sein? War er etwa doch dafür verantwortlich?
Wo war der Zusammenhang zwischen ihm, Shynn, den Träumen, seinen Peinigern und den fiesen Streichen, die diese Traumgestalt denen spielte, dem Druck auf dem Kopf, der ihn nach solchen Träumen überkam?
Je mehr er überlegte, umso mehr wurde er in seinen Gedankengängen blockiert. Nichts passte richtig ins Bild. Auch wenn er ein recht heller Kopf war, überstieg dies alles seinen Horizont. Es war wie in einem Märchen. Auch wenn er diese nach wie vor mochte: Nur Kleinkinder glauben an so etwas.
Er schüttelte diese Gedanken ab und beschloss, zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über diese rätselhaften Geschehnisse zu verlieren.
Das war sein kleines-großes Geheimnis. So!
Der Rest des Wochenendes verlief relativ ereignislos, aber erholsam und der Montag – auf den er wenig Lust verspürte und den er am liebsten anders verbracht hätte, wenn die Schule schon ausfällt – war im Anmarsch.
Ärztebesuch