Insofern waren die Befürchtungen meines Vaters womöglich sogar berechtigt.
»Das war doch kein Konkurrieren, Bruno«, schaltete sich meine Mutter erneut ein. »Das kann man nicht miteinander vergleichen.«
»Ach ja? Ein paar Jungs und zu viele Mädchen – wo ist da der Unterschied?«, entgegnete er. »Und du siehst doch, was das mit ihr gemacht hat.«
Ich hatte das Gefühl, in mir zusammenzuschrumpfen. Ich hatte immer gedacht, mein Vater wäre stolz auf den Ehrgeiz, den ich entwickelt hatte. Stattdessen schien ihm mein mangelndes Sozialleben zu missfallen. Jedenfalls hatte ich ihn noch nie so wütend erlebt. Und auch meine Mutter schien nicht mehr zu wissen, was sie dagegen tun sollte. Sie zuckte nur die Schultern und mied seinen Blick.
»Ähm, offenbar gibt es hier ein paar Unstimmigkeiten«, mischte sich Bürgermeister Berger ein, der aussah, als wäre er gerade lieber irgendwo anders.
»Allerdings!« Mein Vater verschränkte die Arme vor der Brust. »Nie und nimmer macht meine Tochter bei dieser Farce mit!«
»Darüber können Sie nicht mehr entscheiden.« Hektisch tupfte der Bürgermeister seine Halbglatze ab. »Wie ich aus Ihren Worten heraushöre, haben Sie ihr die Erlaubnis zur Bewerbung erteilt, oder nicht?«
»Ja, aber nicht für dieses TV-Event!«, entgegnete mein Vater wütend.
»Die Erlaubnis für das eine ist identisch mit der Erlaubnis für das andere. Einmal erteilt, kann man sie nicht mehr zurücknehmen. Jillian hat das mit ihrer Unterschrift auf den Bedingungen bestätigt.«
»Bedingungen?« Mein Vater sah mich vorwurfsvoll an. »Wovon spricht er, Jillian?«
»Unter anderem davon, dass ich nicht mehr zurückziehen könnte, selbst wenn ich es wollte«, sagte ich leise, konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. Meiner Mutter allerdings schon, die schockiert wirkte. Was jedoch weniger an meiner Aussage lag, als daran, dass ich ihnen nichts davon erzählt hatte. Nur wollte ich vermeiden, dass sie während der Bewerbungsphase doch noch ein Veto einlegten. Keine Ahnung, ob das funktioniert hätte, aber ich hatte es nicht austesten wollen.
Bürgermeister Berger durchbrach die drückende Stille. »Prinz Stephan hat sie höchstpersönlich gezogen. Das heißt, sie wird zum Palast der Einheit reisen und das Connecting mitmachen. Sie können daran nichts mehr ändern.«
Als ich meinen Vater aus dem Augenwinkel den Kopf schütteln sah, wandte ich mich ihm wieder zu. Seine Wut war abgeflaut, stattdessen waren seine Gesichtszüge vor Enttäuschung verzogen.
»Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast, Jill.«
Alles in mir spannte sich an. Indem ich meine Träume verfolgt hatte, hatte ich ihn vor den Kopf gestoßen. »Es tut mir leid, Papa«, murmelte ich, während mir Tränen in die Augen stiegen.
»Das will ich hoffen.«
»Kannst du mir verzeihen?«
»Nein. Denn ich habe hautnah miterlebt, was die ganze Ablehnung dir angetan hat. Ich kann nicht fassen, dass du das alles wiederholen willst. Vor Millionen von Menschen.« Er drehte sich zur Tür. »Viel Erfolg dabei, dir dein Leben zu ruinieren.«
Er marschierte hinaus, ohne mich noch mal anzusehen. Zum zweiten Mal heute war ich erstarrt. Sogar die Tränen wollten nicht meine Wangen hinunterlaufen. Noch nie hatte ich gleichzeitig einen so großartigen und einen so miesen Tag gehabt.
»Ähm, dürfte ich dann eventuell mit Ihnen die Formalitäten besprechen, Mrs. Haas?«, mischte sich die Stimme des Bürgermeisters in meine Schuldgefühle.
Ich sah zu meiner Mutter, die noch immer etwas verstört herumstand. Ihr Blick wanderte von dem korpulenteren Herren zu mir. Ich schluckte, unsicher, ob sie ebenfalls nicht hinter mir stehen würde. Bevor ich ihren Gesichtsausdruck deuten konnte, verschleierten die Tränen mir mein Sichtfeld und ich musste heftig blinzeln.
»Dann setzen wir uns mal lieber«, hörte ich meine Mutter sagen. Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter. Und als ich endlich wieder etwas erkennen konnte, war es ein Lächeln, das auf ihren Lippen lag.
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