Ich spürte, wie mir meine Mutter eine Hand auf die Schulter legte. Als sie mein aufgeregtes Zittern wahrnahm, stellte sie sich dichter neben mich und schlang mir ihren Arm um die Taille. Unter normalen Umständen hätte ich das nicht zugelassen, aber jetzt konnte ich überhaupt nicht darauf reagieren. Ich war vollkommen gebannt.
»Die fünfundzwanzig Mädchen werden mit uns Prinzen dort eine Menge Zeit verbringen«, erklärte der Thronfolger. »Wir wollen nicht nur mehr über unsere Reiche und seine Bewohner erfahren, sondern auch mehr über die Mädchen selbst. Jeder von uns erhofft sich, so eine geeignete Braut für sich zu finden. Ihre Herkunft spielt dabei keine Rolle. So sollen neue Bande zwischen den Reichen und zum Volk geknüpft werden. Und Sie alle können im Fernsehen dabei zusehen – beim Connecting!«
Prinz Stephans folgende Worte gingen im allgemeinen Tumult unter. Auch ich konnte mich nicht länger konzentrieren. Fünf Thronfolger suchten Bräute. Sie suchten die künftigen Königinnen. Sie suchten im gemeinen Volk. Und ich war ein Mädchen des gemeinen Volkes.
Das war die Chance, von der ich bis jetzt immer geträumt hatte.
»Keinesfalls wirst du an dieser Show teilnehmen!« Mein Vater drängte mich in die Wohnung und stellte sich gebieterisch im Türrahmen auf. Wenn ihm etwas nicht passte, nahm er immer diese Pose ein. Mit ihm zu streiten, war unter diesen Umständen keine gute Idee, doch dieses Mal lohnte es sich, zu kämpfen.
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Aber das ist es, was ich will! So eine Chance kriege ich nie wieder!«
»Na, hoffentlich.« Er sah streng auf mich hinunter. »Das ist alles Irrsinn.«
»Beschimpfe besser nicht die Pläne der Königsfamilie, solange die Tür offen steht, Bruno.« Meine Mutter schob ihn vorwärts und schloss dann die Tür hinter sich. Ihr ebenso mitleidiger wie skeptischer Blick, der mich im Anschluss traf, entmutigte mich. Sie würde mir bei diesem Kampf nicht beistehen.
»Papa, bitte!« Ich presste meine Hände dort auf den Brustkorb, wo sich mein Herz verbarg. »Du weißt, dass ich schon seit Jahren davon träume, eine Prinzessin zu sein. Willst du denn nicht, dass ich meine Träume verfolge?«
»Deine Träume sind es, an die Uni zu gehen, dir danach eine Stelle zu suchen und irgendwann einen netten Mann zu heiraten.« Er fixierte mich.
Sein Blick schüchterte mich zwar ein, aber dieses eine Mal konnte ich einfach nicht klein beigeben. »Das war der Weg, den ich gehen wollte, bevor ich wusste, welche Chance sich mir bieten könnte. Und wer sagt, dass die Prinzen nicht auch nett sind?«
»So wichtige Leute sind doch immer nur auf Macht und Publicity aus«, widersprach er mir. »Keiner von denen würde dich glücklich machen!«
»Das kannst du gar nicht wissen!« Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich versuchte sie wegzublinzeln, doch dadurch wurde es nur schlimmer. Also sprach ich mit verschwommenem Sichtfeld weiter. »Außerdem haben sie noch gar keine Ahnung von Macht oder Publicity. Alle königlichen Kinder wurden schließlich bis zum heutigen Tag versteckt.«
Die Gründe dafür hatte man uns stets verschwiegen, nur dass sie politischer Natur waren, wurde immer wieder gesagt. Irgendwann hatten wir uns daran gewöhnt, nur mit dem König und der Königin vorliebzunehmen. Zumindest der Großteil unseres Volkes. Kritische Stimmen waren vor allem in den letzten Jahren immer lauter geworden, nachdem der König des Nordreiches schwer erkrankt war. Zwar regierte er noch, ließ sich jedoch kaum noch in der Öffentlichkeit blicken – und von einem Nachfolger keine Spur. Bis jetzt zumindest.
»Dieses Versteckspiel der Prinzen macht es noch schlimmer. Denn wahrscheinlich gibt es schwerwiegende Gründe dafür, dass sie erst jetzt auf der Bildfläche auftauchen.« Mein Vater schaute mich eindringlich an. »Dieses Schauspiel ist mit Sicherheit ein Test, wie die zukünftigen Könige mit all den Problemen umgehen. Willst du da wirklich als Versuchskaninchen hineingezogen werden, Jill?«
Ich wusste schon, dass er mit der Monarchie nicht immer einverstanden war. Doch jetzt wollte er mir insbesondere aufzeigen, dass ich alldem nicht gewachsen sein würde. Was vielleicht sogar stimmte. Ich war keine geborene Führungspersönlichkeit und ging Problemen grundsätzlich lieber aus dem Weg.
Allerdings träumte ich bereits seit Ewigkeiten von einem Leben als Königin. Und mein Wunsch, von einem ganzen Volk bewundert zu werden, würde mir die nötige Kraft schenken. Um zu kämpfen – und um mich zu ändern. Davon war ich überzeugt.
Nun galt es jedoch, meinen Vater umzustimmen.
Ich presste die Lippen aufeinander, machte einen Schritt auf ihn zu und guckte ihn von unten her an. »Ich will doch nur meinen Namen in diesen Lostopf werfen. Wenigstens kurz das Gefühl haben, mir stünde noch ein anderer Weg offen. Bei all den Mädchen unseres Bezirks zwischen siebzehn und neunzehn werde ich sowieso nicht gezogen.«
Ich hasste es, daran zu denken, wie gering meine Chancen waren. Aber das war mein bestes Argument, um seine Meinung zu ändern. Denn obwohl die Bevölkerung durch den Großen Krieg drastisch geschrumpft war, lebten immer noch einige Millionen Menschen in jedem Bezirk.
Mein Vater schien einen Augenblick unschlüssig zu sein, was auch meine Mutter bemerkte. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Bruno, lass sie es machen. Wie Jill schon sagt, die Wahrscheinlichkeit, dass sie gezogen wird, liegt bei weniger als einem Prozent.«
Zahlen waren immer ein gutes Argument, meinen Vater zu überzeugen, da er Wirtschaft studiert hatte. Ich warf meiner Mutter deshalb einen dankbaren Blick zu, den sie mit einem kurzen Lächeln quittierte. Vielleicht war sie ja doch auf meiner Seite.
Als sich das Schweigen meines Vaters hinzog, verschränkte ich meine Finger ineinander und schaute ihn mit meinen braunen Rehaugen flehend an. »Papa, bitte.«
Nur Sekunden später konnte ich mitverfolgen, wie die Härte aus seinen Gesichtszügen wich. Während er seufzte, stimmte ich innerlich einen Jubel an.
»Na gut. Dein Name in dem Topf. Und danach konzentrierst du dich wieder auf deine Kurse.«
»Danke!« Ich vollführte einen kleinen Freudentanz, über den mein Vater den Kopf schüttelte. Meine Mutter hingegen lachte und schon bald stimmte ich mit ein.
Egal, wie winzig meine Chance war, ich würde sie wahrnehmen. Wunder geschahen immer wieder. Das Überleben der Menschheit nach all der Zerstörung war der beste Beweis dafür.
Irgendwer hatte neben der Bühne am Marktplatz eine Art Zelt aufgebaut, wo man sich registrieren lassen konnte. Die Schlange an Mädchen war gut zwanzig Meter lang. Wahrscheinlich hatte sie heute Morgen nach dem offiziellen Bewerbungsbeginn mindestens die dreifache Länge gemessen. Dass ich erst am späten Nachmittag gekommen war, um meinen Namen ins Spiel zu bringen, war wohl die richtige Entscheidung gewesen.
Dafür hatte ich mir stundenlang von meinem Vater anhören müssen, dass ich es noch mal überdenken sollte, ob ich wirklich bei einem solchen Spiel mitmachen wollte. Er tat gerade so, als ob ich längst ausgewählt worden wäre. Aber obwohl ich mir von ganzem Herzen wünschte, dass es so kommen würde, musste ich realistisch bleiben. Meine Chance war verschwindend gering.
Während ich wartete und etwa jede zweite Minute einen Schritt nach vorne machte, beobachtete ich die Mädchen vor mir. Offenbar waren die meisten in Grüppchen gekommen, einige kicherten und tuschelten miteinander.
Ich hatte Cliquen stets gemieden. Mir behagte es nicht, zu viele Menschen um mich herum zu haben. Denn entweder ignorierte man mich, weil ich nur zuhörte, oder man warf mir erwartungsvolle Blicke zu, damit ich meinen Mund aufbekam. Beides nervte mich. Irgendwann hatte jede Gruppe in der Schule das kapiert und aufgegeben, mich integrieren zu wollen.
Worüber