Pechschwarzer Sand. Liv-Malin Winter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liv-Malin Winter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742735836
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sich gelohnt. Nach langen zähen Verhandlungen hatte er die Firmenleitung von Retramo überzeugt, dass er ihnen bei der Lösung ihrer Probleme helfen konnte. Bei der Textilfirma handelte es sich um ein Familienunternehmen, das Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet worden war und nun in der vierten Generation geführt wurde. In seiner Anfangszeit als Umweltberater hatte Eric bereits für Retramo gearbeitet. Damals hatte die unsichere Energieversorgung dem Unternehmen Probleme bereitet. Durch eine eigene Solaranlage und eine Biogasanlage konnte die Energieversorgung gesichert werden. Das Unternehmen war in der Lage kontinuierlich zu produzieren und zugesagte Liefertermine einzuhalten, was nach der dritten Ölkrise keine Selbstverständlichkeit mehr war. Seitdem war das Unternehmen gewachsen und hatte seine Kapazität ausgeweitet. Doch seit einiger Zeit wurde die Beschaffung von Rohstoffen wie Baumwolle immer problematischer. Retramo hatte sich schon vor geraumer Zeit auf die Nutzung traditioneller Materialien wie Leinen und Wolle spezialisiert, aber für moderne Kollektionen war Baumwolle unverzichtbar. Aus diesem Grund hatte die Geschäftsführung Eric engagiert, um in den nächsten Monaten ein System zum Baumwollrecycling auf die Beine zu stellen.

      Eric erreichte sein Fahrrad. Beim Nachhausefahren würde er in seinem Anzug noch mehr schwitzen. Er schwang sich auf sein Rad und fuhr gemächlich los. Von der hektischen Betriebsamkeit der anderen Radfahrer ließ er sich nicht anstecken. Viele versuchten eilig ihr Ziel zu erreichen und machten von ihren Klingeln reichlich Gebrauch. Autos waren mittlerweile fast völlig aus dem Straßenverkehr verschwunden. Radfahrer hatten die Herrschaft über die Straßen übernommen und bevölkerten sie mit hektischer Betriebsamkeit.

      Schließlich verließ Eric die belebte Hauptstraße und bog in die ruhige Seitenstraße ein, in der er wohnte.

      In der Wohnung angekommen entledigte Eric sich als erstes seines Anzugs. Renas und Chris' Stimmen waren vom Balkon zu hören. Er machte sich frisch und schlüpfte in bequeme Shorts und ein T-Shirt. So fühlte er sich schon viel wohler. Barfuß ging er in die Küche und genoss das angenehm kühle Gefühl der Holzdielen unter seinen Füßen. Er ließ sich aus dem Wasserhahn ein Glas Wasser einlaufen und trank es gierig aus. Beim zweiten Glas ließ er sich etwas mehr Zeit.

      »Ziemlich heiß, was?«, fragte Chris, der in die Küche gekommen war. Eric nickte zustimmend.

      »Ich hatte vergessen, wie heiß es hier in der Stadt werden kann«, stellte Chris fest. »In Kanada war es nie so warm.«

      Rena war ihrem Mann in die Küche gefolgt. Sie lächelte wehmütig, als sie an ihre kühle Heimat dachte.

      »Keine Sorge, ihr werdet euch daran gewöhnen. In ein paar Tagen wird es schon besser sein«, munterte Eric sie auf.

      »Hast du den Auftrag bekommen?«, erkundigte sich Chris.

      »Ja, in den nächsten Monaten wird eine Menge Arbeit auf uns zukommen«, antwortete Eric grinsend.

      »Ich werde tun, was ich kann, um dich zu unterstützen«, versprach Chris.

      Rena lehnte ihren Kopf an Chris Schulter. Auf dem Arm hielt sie Melissa. Mit der freien Hand aß sie einen Apfel. Eric sah die drei an. Sie wirkten so zufrieden, trotz der Strapazen, die sie hinter sich hatten. Einsamkeit durchzog Eric. Auch er hatte sich mit der Frau, die er liebte, eine Familie gewünscht. Doch es war anders gekommen. Immer noch blickte Eric die drei gedankenverloren an. Dann bemerkte er, dass das Baby unruhig geworden war. Rena legte den Apfel beiseite, um es zu beruhigen.

      »Gib mir die Kleine«, bot Eric an.

      »Danke, das ist lieb«, sagte Rena.

      Eric nahm das Baby von Rena entgegen und ging mit dem kleinen Bündel auf den Balkon. Schnell hatte sich Melissa wieder beruhigt und lag zufrieden in Erics Armen. Eric blickte in die Ferne und dachte an Isabella. Mit ihr hatte er eine gemeinsame Zukunft geplant. Sie hatte ihn mit ihrem Mut und ihrem Durchhaltewillen beeindruckt. Außerdem war sie eine warmherzige schöne Frau und Eric hatte sich hoffnungslos in sie verliebt. Er hatte sie vor etwas mehr als drei Jahren kennen gelernt. Sie hatte ihn um Hilfe gebeten, um den Abbau von Methanhydrat zu verhindern. Zunächst hatte er ihr seine Unterstützung verweigert, aber sie war hartnäckig geblieben und letztendlich hatte er seine Meinung geändert. Eric lächelte bei der Erinnerung. Sein Lächeln schwand, als er an den Preis für ihren Erfolg dachte. Als er sie das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie sich gerade gegen einen Mann zur Wehr gesetzt, der sie entführen wollte. Seitdem war sie spurlos verschwunden. Eric hatte ein Jahr nach ihr gesucht, doch alle seine Bemühungen waren erfolglos geblieben. Er wusste nicht einmal, ob sie noch lebte.

      »Alles klar hier draußen?«, fragte Chris, der auf den Balkon getreten war. »Melissa scheint sich bei dir richtig wohl zu fühlen.« Chris betrachtete seine kleine Tochter, die zufrieden in Erics Armen lag.

      »Die Kleine ist wirklich süß. Die dunklen Haare hat sie eindeutig von ihrer Mutter«, stellte Eric fest und sah seinen Freund an. Mit seinen blauen Augen und den rotblonden Haaren sah er seiner Tochter nicht ähnlich.

      »Ja, sie ist wunderschön.« Chris streichelte sanft die weiche Babywange.

      »Ich werde mich jetzt nach einer Hebamme umhören. Danach können wir Sachen für Melissa besorgen.«

      »Super«, antwortete Chris. Er ging zurück in die Küche. »Willst du mitkommen oder lieber hierbleiben, um dich auszuruhen?«, fragte er Rena.

      »Ich bleibe mit Melissa hier. Uns beiden wird Ruhe gut tun.«

      Eric und Chris betraten den Secondhandladen. Der Laden hatte einen rustikalen Dielenboden und an den Wänden zogen sich Regale entlang, in denen Baby- und Kindersachen lagen. Am Eingang stand ein Tresen, auf dem besonders hübsche Stücke präsentiert wurden. Sie wurden von der quirligen Ladenbesitzerin begrüßt, die die beiden Männer neugierig betrachtete. Normalerweise waren es hauptsächlich Frauen, die in ihren Laden kamen.

      »Wie kann ich Ihnen helfen?«

      »Wir suchen Sachen für meine Tochter«, antwortete Chris, während sein Blick ein wenig ratlos über die vielen Kleidungsstücke schweifte.

      »Wie alt ist denn Ihre Tochter?«, erkundigte sich die Ladenbesitzerin.

      »Sie wird morgen eine Woche alt.« Ein Strahlen erhellte Chris Gesicht.

      »Was brauchen Sie denn für die Kleine?«

      »Eigentlich so ziemlich alles«, gestand Chris.

      Mit Hilfe der Ladenbesitzerin begannen sie Bodys, kleine niedliche Strampler, Babysöckchen sowie Jacken und Babymützen, für etwas kühlere Tage, auszusuchen. Sie empfahl ihnen wiederverwendbare Windeln, die auf Dauer deutlich günstiger wären als die teuren Wegwerfwindeln.

      »Dann nehmen wir noch das Babybett.« Eric deutete auf ein weißes Bett mit Himmel, an dem eine rosa Spieluhr befestigt war. »Und dann noch den hier.« Er nahm einen vanillefarbenen Plüschhund mit langen Schlappohren und einem großen freundlichen Lächeln in die Hand.

      »Das Bett brauchen wir nicht, Eric. Die Kleine kann doch bei uns im Bett schlafen«, wendete Chris ein. »Das können wir uns nicht leisten«, zischte er Eric zu und hoffte, dass die Frau ihn nicht hörte. Es war ihm unangenehm, dass er nicht in der Lage war, für seine Familie zu sorgen.

      »Keine Sorge, Chris, das Bett und den kleinen Hund schenke ich Melissa zur Geburt.«

      »Das können wir nicht annehmen! Du hast schon so viel für uns getan.«

      Eric grinste seinen Freund an. »Ich werde dich in den nächsten Wochen so viel arbeiten lassen, dass ich das Geld doppelt und dreifach herausbekomme.«

      »Du willst, dass ich in deiner Schuld stehe, damit ich wie ein Sklave für dich schufte?«

      »Genau«, sagte Eric herausfordernd. »Wozu sind Freunde sonst da?«

      Chris ließ sich von Erics Gerede nicht täuschen. Dieser wollte es ihm leichter machen, das Geschenk anzunehmen.

      »Danke.« Chris war froh, dass sie ein Bettchen für Melissa hatten. Bisher hatte er sehr unruhig geschlafen. Immer wieder wachte er nachts auf, weil er befürchtete sich aus Versehen auf das Baby zu legen.

      Gemeinsam