Frevlersbrut. Katharina Maier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Maier
Издательство: Bookwire
Серия: Die Erste Tochter
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753198965
Скачать книгу
Augen.

      »Du denkst schon wieder daran.«

      »Ich denke an gar nichts.« Sie schiebt ein wenig die Unterlippe vor; Myn schmollt nie anders als im Scherz.

      »Aber natürlich nicht«, lautet die ironische Antwort. »Du kannst nicht dauernd im Gestern leben, Myn.«

      Das Feuertierchen lächelt schief. »Ich weiß, ich weiß. Ich muss meinen Hintern in die Vergangenheit bringen.«

      Das Lachen überfällt ihn völlig unerwartet, und es dauert eine Weile, bis er sich wieder gefangen hat. Als es so weit ist, liegt er neben ihr und hält sich den Bauch, Tränen in den Augen.

      »Es heißt ›Ich muss meine Vergangenheit hinter mich bringen‹, Myn.«

      Sie grinst ihn breit an. »Ich weiß. Das war ein Zitat.«

      Er starrt sie in weitäugiger Überraschung an und fängt wieder an zu lachen. »Du bist unglaublich, weißt du das? Du bist gerade mal ein paar Wochen hier auf der Erde, und schon zitierst du uralte Filme?«

      Sie wird ein wenig ernst. »Ich bin schon drei Monate hier, Rahánn. Und ich hatte nicht viel anderes zu tun.«

      Er schüttelt den Kopf. »Trotzdem: ›Der König der Löwen‹, Myn?«

      »Es geht um große Katzen.«

      Jetzt wird auch er wieder ernst. »Ja. Aber natürlich.«

      Sie schweigen ein Weilchen, nebeneinanderliegend auf der Picknickdecke, die Hände im Nacken verschränkt.

      »Weißt du, was damals mit dir passiert ist?«, fragt Richard Shelton. »Als deine Mutter starb, meine ich.«

      Myn zieht ihre Unterlippe zwischen die Zähne. »Der trockene Kness im Scheiterhaufen war mit frischem vermischt. Und in diesem Zustand haben die Pilze eine extrem halluzinogene Wirkung. Ich bin mir nicht sicher, was Asnuor damals damit bezweckte. Vielleicht war es ja auch tatsächlich ein Versehen, so wie sie es hinterher behaupteten. Mein Großvater legte damals einen förmlichen Protest ein und erhielt sogar eine offizielle Entschuldigung. Doch die Bilder der Menge, die euphorisch den Tod der Baummörderin feierte, waren da längst durch das ganze Reich gegangen. Wahrscheinlich habt selbst ihr sie hier in den Vereinten Planeten gesehen, nicht wahr? Irgendwelche Erklärungen über frischen Kness im Scheiterhaufen interessierten da niemanden mehr.«

      »Ich erinnere mich. Das ganze Net war in Aufruhr. Bilder der Barbarei aus dem Singisischen Reich … Sagen wir mal so, es hat der öffentlichen Meinung über die Singisen nicht gerade gut getan. Und heute frage ich mich, ob Asnuor das nicht auch einkalkuliert hatte.«

      »Es kam ihm jedenfalls sicher gut zustatten.« Sie sagt es gelassen, fast ohne Regung. Richard Shelton wirft ihr einen Seitenblick zu, geht aber nicht weiter darauf ein, blickt wieder hinauf in den dämmernden Himmel.

      »Eigentlich meinte ich deine Halluzination«, sagt er schließlich. »Das ›flammende Katzentier‹?«

      Myn versucht, mit den Schultern zu zucken, was sich in ihrer derzeitigen Position als reichlich schwierig erweist.

      »Woher soll ich das wissen?«, meint sie deshalb, aber jetzt lässt sie seine Frage nicht mehr los. Sie hat das Gefühl, er kennt die Antwort besser als sie selbst, und das gefällt ihr nicht. »Feuer war dort damals genug, und das Tier … vielleicht lag es daran, dass Vairrynn mir eine Nysda später eine Katze schenkte.«

      Richard Shelton furcht die Stirn. »Diese Begründung ergibt überhaupt keinen Sinn.«

      Sein Stirnrunzeln wiederholt sich in Myns Gesicht.

      »Da hast du recht«, gibt sie zu. Nach einem Augenblick des Schweigens, in dem nur das Summen der Bienen zu hören ist, die eifrig von Blüte zu Blüte surren, um dem Abend zuvorzukommen, fragt Richard Shelton: »Vairrynn hat dir eine Katze geschenkt?«

      Myn nickt. »Ein kleines, weiß-rot geschecktes Ding mit grünen Augen. Ich nannte sie Mi, weil sie so winzig war. Ich glaube, es war sein letzter, verzweifelter Versuch, mich in die Welt zurückzuholen – und es funktionierte. Bevor Mi da war, um die ich mich kümmern musste, hatte ich mich völlig in mich zurückgezogen.«

      »Das ist wohl kaum verwunderlich«, meint Richard Shelton leise. Myn lacht ein wenig, aber es ist keine Belustigung in diesem Geräusch.

      »Ja, ich hatte genug von der Welt. Es brauchte ein Katzentier, um mich in sie zurückzuholen. Ist das nicht seltsam?«

      »Nicht wirklich«, antwortet Richard Shelton, der das Bild einer riesenhaften, flammenden Katze nicht aus dem Kopf bekommt, auch wenn das an seiner zu großen Affinität zu romantischer Lyrik liegen mag. Der erste Vers des Blake-Gedichts pulsiert wie ein fremder Herzschlag in seinem Kopf, Tyger, Tyger, burning bright, und er wünscht sich, er hätte es irgendwann schon einmal besser verstanden.

      »Ich erinnere mich nicht besonders gut an die ersten Tage nach dem Tod meiner Mutter«, redet Myn inzwischen weiter. »Ich glaube, ich sagte die ganze Zeit über kein einziges Wort, bis Vairrynn Mi auf meinen Schoß setzte. Meine Muttersmutter meinte später, ich hätte stattdessen die ganze Zeit über vor mich hin gesungen.« Sie schüttelt reuevoll den Kopf. »Ich muss meine Familie beinah in den Wahnsinn getrieben haben. Nicht, dass es dazu noch viel gebraucht hätte in diesen Tagen. Mein Vater war ohnehin nur noch ein Schatten seiner selbst und setzte kaum mehr einen Fuß aus seinem Atelier. Ob er vor unserer Verachtung floh oder vor sich selbst, weiß ich nicht. Synnda Pánn wiederum war wie eine manische Kje-Fliege ohne Königin. Sie versuchte, sich um alles und jeden gleichzeitig zu kümmern, und dann brach sie immer wieder völlig unvermittelt in Tränen aus. Der Einzige, der sich normal verhielt, war Mudmal, aber das an sich war schon wieder nicht normal. Er tat einfach so, als wäre gar nichts passiert, und das machte es so gut wie unmöglich, ihm zu helfen. Ich glaube, da war es noch einfacher, mit mir umzugehen.«

      »Und Vairrynn?«

      »Ich kann mich nicht erinnern«, beantwortet sie seine beiläufige Frage nicht, und zum ersten Mal, seit sie angefangen hat zu erzählen, fragt sich Richard Shelton, ob sie ihm die Wahrheit sagt. »Aber seltsamerweise weiß ich noch, was gleich nach … nach der Verbrennungszeremonie passierte, nachdem Synnda Pánn meine kleine Familie nach Hause bugsiert hatte.« Myn lacht ein wenig. »Sie und Mud waren die Einzigen von uns, die kaum unter dem Einfluss des Kness standen, und ich kann mir vorstellen, dass es eine Tortur gewesen sein muss, Vater, Vairrynn und mich durch einen Raumriss nach Naharmbra und dann in das Küstenhaus zu bekommen. Wahrscheinlich hatten sie Hilfe von einigen anderen weniger empfänglichen Neolys, aber trotzdem: armer Mud, arme Synnda. Vairrynn büxte ihnen aus, bevor meine Muttersmutter ihm etwas gegen den Kness-Rausch geben konnte; ich glaube, die Droge wirkte bei ihm noch stärker als bei mir, und das will etwas heißen. Synnda war ziemlich panisch; das ist das Erste, woran ich mich erinnere, nachdem das Antitoxin seine Wirkung entfaltete. Sie rannte an den Strand hinunter, und ich stolperte ihr hinterher, immer noch völlig desorientiert.« Myn lacht wieder, aber diesmal ist es echt. »Wir fanden Vairrynn und Ftonim im Sand kauernd, beide total durchnässt. Sie sahen aus wie gebadete Kater, und sie blickten auch ungefähr genauso betreten drein. Ftonim hatte offenbar beschlossen, das beste Mittel gegen einen Kness-Rausch sei ein Bad im Meer.« Myn lacht noch immer. »Ich meine, wir hatten damals Anfang der Sturmzeit, und das Wasser war eisig! Synnda Pánn schlug die Hände über dem Kopf zusammen, packte die beiden am Nacken wie eine entnervte Katzenmama ihre Jungen und zwang dann oben in der Villa jeden, ein heißes Bad zu nehmen. Ich glaube, wenn Vairrynn nicht gerade erst die Auswirkung eines Rauschmittels losgeworden wäre, hätte sie die beiden auch noch mit Whiskey abgefüllt.«

      Myn lacht immer weiter, und es erhält eine hysterische Note. Richard Shelton dreht sich zu ihr um, stützt sich auf den Ellbogen und beobachtet sie, bis ihr Lachkrampf sich zu legen beginnt.

      »Alles in Ordnung?«, fragt er schließlich. Myn nickt, ernst und ein wenig schmerzlich.

      »Das Schlimme ist, dass ich noch genug unter Kness-Einfluss stand, dass ich auch damals lachte. Arme Synnda. Es war ein absurder Tag. Ich weiß auch noch, wie ich zwischen Vairrynn und Ftonim auf dem Sofa im Boudoir meiner Mutter saß, in warme Decken gewickelt und eine dampfende