Levi. Melanie Meier. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Melanie Meier
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754146910
Скачать книгу
bestens«, sagte der Arzt und lächelte ihn an. »Wie fühlst du dich?«

      Der Mehlwurm war zurück. »Müde und durstig.«

      Der Arzt nickte. »Er darf essen. Die Wunden heilen gut. Hast du Schmerzen?«

      Levi befragte seinen Körper. »Nein. Ich fühle mich nur schwindelig.«

      »Wir führen dir Schmerzmittel über die Infusion zu, das kann daran liegen. Außerdem hast du eine Gehirnerschütterung, da ist man immer etwas schummrig im Kopf.« Er wandte sich den anderen beiden Männern zu. »Wenn er die Nacht über stabil bleibt, entlasst ihn morgen. Er bekommt Abendessen. Noch kein Herumwandern allein.«

      Alle nickten. Auch Levi.

      Als die Männer weg waren, brachte ihm die Krankenschwester eine Kanne voll Wasser. Sie half Levi, sich ein wenig aufzurichten, und hielt ihm das Glas an den Mund. Er trank gierig. Der erste Schluck schmerzte in der trockenen Speiseröhre.

      Ihm fiel auf, dass seine Mutter nicht mehr hier war. Levi erinnerte sich an ihr Gesicht. Sie hatte nicht sehr begeistert ausgesehen.

      Er lehnte sich im Bett zurück und konnte die Tränen nicht aufhalten. Er war zu schwach, um dagegen anzukämpfen. Die Krankenschwester tätschelte seine Schulter, und bald schlief er wieder ein.

      Levi träumte: Er lag kerzengerade auf einer Tragbahre. Neben ihm stand jemand. Die Erscheinung strahlte Geborgenheit und Wärme aus. Hände fuhren in strukturierten Mustern über seinen Körper, erfüllten ihn mit Wohlbehagen.

      24.04.1996

      Levi schlug die Augen auf. Sanftes Licht fiel durch das Fenster und erfüllte den Raum mit einem neuen Tag. Er fühlte sich gestärkt und gesund.

      Vorsichtig richtete er sich im Bett auf, um die Infusionsnadel nicht aus dem Arm herauszureißen. Er griff nach dem Rollwagen, zog ihn zu sich, schenkte sich Wasser ein und trank. Anschließend klingelte er nach der Schwester. Es kam eine andere. Sie war jünger und sah müde aus.

      »Ich will nach Hause«, sagte Levi. »Ich bin gesund.«

      »Es ist noch nicht mal sechs Uhr. Jetzt kannst du nicht gehen. Leg dich wieder hin und schlaf noch ein bisschen.« Sie drehte sich um und ging.

      Levi blickte sich im Zimmer um. Er wollte nicht mehr bleiben, er war nicht müde. Sein Blick fiel auf die Infusionsnadel. Er fingerte das Pflaster herunter und betrachtete die Nadel, die in seiner Vene verschwand. Vorsichtig zog er sie heraus. Er drückte mit dem Daumen einige Minuten auf den Einstich, bis dieser nicht mehr blutete.

      Mit der linken Hand fing er an, den Verband von der geschienten Hand zu wickeln. Als er sie frei hatte, nahm er die Schiene ab und bewegte die Finger. Sie waren ein wenig taub und dick, aber nichts tat weh. Levi stand auf.

      Auf dem Stuhl, auf dem seine Mutter gesessen haben musste, lag frische Kleidung. Er schlüpfte in die Jeans und das Sweatshirt und ging zum Badezimmer hinüber. Nachdem er auf dem Klo gewesen war, betastete er die Platzwunde am Hinterkopf und sah sich dabei im Spiegel an. Er konnte geronnenes Blut im vom Kalk und Staub dreckigen Haar spüren, dazwischen den Faden. Er wusch sich das Gesicht.

      Im Zimmer sah er sich noch einmal um. Es gab keine weiteren persönlichen Sachen. Levi nahm die Schiene und den Verband mit, schlich aus dem Zimmer und den Gang hinunter. Irgendwann kam er zu einer Treppenflucht. Er fand den Ausgang aus dem Krankenhaus, orientierte sich draußen und ging zu Fuß nach Hause.

      01.06.2012

      Phil hatte nur seinen Backpacker-Rucksack dabei, wie immer. Er kam mit dem Taxi. Levi sah vom Wohnzimmerfenster aus zu, wie sein Freund ausstieg und um das Haus herumging.

      Philip Tanker, einunddreißig Jahre alt, ledig, Allgemeinmediziner, seit zwei Jahren angestellt bei einer karitativen Organisation, die Ärzte in Drittweltländer aussandte. Phil, aus einem stabilen Elternhaus, mit reibungslosem Lebenslauf und finanzieller Absicherung durch seine Eltern. Philie, wie ihn seine Mutter nannte, mit dem irren Freund Levi.

      Er war braungebrannt und schäumte über vor Lebendigkeit und Freude. Sie umarmten sich und setzten sich ins Wohnzimmer.

      »Eine Woche bleibe ich bei dir«, sagte Phil, »danach bin ich für eine weitere Woche bei meinen Eltern und dann geht’s nach Bonn, zu meiner Schwester.«

      Levi nickte. »Willst du ein Bier?«

      »Ein Bier? Jetzt? Es ist erst siebzehn Uhr.« Er grinste.

      Levi stand auf, ging in die Küche und holte zwei Flaschen. Sie stießen an und tranken.

      »Die letzten zwei Monate habe ich keinen Alkohol angerührt. Du weißt, dass ich nicht süchtig bin. Es fällt mir nicht schwer, nicht zu trinken.«

      Phil sah Levi lange an. »Du siehst nicht gut aus, Digger. Wie immer. Was macht die Kunst?«

      »Welche meinst du?«

      »Welche schon … Wie läuft’s mit den Drillingen?«

      »Sie waren eine ganze Weile nicht mehr da. Seit ich nicht mehr getrunken habe, glaube ich.«

      »Und davor?«

      »Da kam dieses Mädchen. Ich habe nichts gesehen in ihr.«

      »Keine Vision? Das gab’s noch nie, oder?«

      Levi schüttelte den Kopf.

      »Sprich«, sagte Phil. »Was war mit ihr?«

      Ein Lächeln schlich sich auf Levis Lippen. »Was wohl?«

      »Du meinst, die Drillinge haben dich nur deshalb auf sie aufmerksam gemacht? Alter, du wirst dich nie ändern, oder?«

      »Sie wollte es so. Wir haben kaum drei Worte gewechselt, da hat sie mich schon in ihr Bett gezerrt.«

      »Ist sie hübsch?«

      Er schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht das, was ich bevorzuge. Sie ist …« Ein Schulterzucken. »Ich muss oft an sie denken. Sie ist anders. Es war das erste Mal, dass ich nicht die Zukunft sehen musste.«

      »Beängstigend, was?«

      »Nein. Befreiend.«

      »Bist du verschossen in sie?«

      »Quatsch. Es war nur eine neue Erfahrung.«

      Phil musterte ihn noch einen Moment, dann hob er das Bier, um wieder anzustoßen.

      Er lud Levi zum Essen ein. Die meiste Zeit saßen sie schweigend da, und Levi merkte, wie sehr ihm diese geteilte Stille gefehlt hatte. Sie bestellten sich nach dem Essen Bier.

      »Und bei dir? Wie sind die Weiber da unten so?«

      Phil sah ernst aus. »Es ist schwierig. Aids ist in Afrika ein ständiger Begleiter, für uns hier nicht nachvollziehbar. Die meisten wissen gar nicht, dass sie infiziert sind. Und die Zahl derer, die für eine Handvoll Münzen Frauen kaufen, ist unübersichtlich und genauso ungewiss wie hier, wenn nicht schlimmer. Afrika hat noch einen weiten Weg vor sich, und das schwierigste wird sein, die Vorurteile und unbewusste Herabsetzung der Schwarzen zu überwinden. Leute wie du und ich, die sich für aufgeklärt und auf keinen Fall rassistisch halten, erleben da unten ein Erwachen.« Phil suchte nach den richtigen Worten. »Wenn der Mensch nicht mit gewissen Dingen aufgewachsen ist, sind sie ihm einfach fremd. Das scheint mir die Grundlage für Rassismus zu sein, und irgendwie schlummert das in uns allen.«

       Phil hielt ein tiefschwarzes Mädchen im Arm. Er beugte sich über sie, küsste sie und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Das Mädchen war jünger, vielleicht fünfundzwanzig, und sie sah verliebt zu ihm auf.

      »Wie meinst du das?«, fragte Levi.

      Phil schwieg. Er starrte Levi an.

      Dieser sah auf den Tisch hinab und stieß einen leisen Fluch aus. »Ja, ich hab sie gesehen. Es tut mir leid.«

      »Es