Engel und Teufel. Anna Katharine Green. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Katharine Green
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754180570
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sie jung und unschuldig sterben zu sehen oder aufgewachsen, sie so fluchen zu hören, wie Du es eben getan hast, ich hätte Gott gebeten, sie von mir zu nehmen - wie er es getan hat. Du hast eine - Mutter! Breche ihr nicht das Herz, indem Du den Namen Gottes missbrauchst, den sie verehrt -.“

      Dann küsste sie mich auf die Stirn und - so merkwürdig es auch scheinen mag - so viel Torheiten, soviel Unrecht ich auch seither begangen habe, von jenem Tage an bis zu dieser Stunde kam kein Fluch mehr über meine Lippen - und ich danke dem Schöpfer dafür.“

      Es lag so viel Wahrheit, soviel tiefes, ehrliches Empfinden in seiner Stimme, dass ihn alle erstaunt ansahen; hatte doch niemand solches Fühlen in ihm erwartet.

      Selbst Miss Halliday vergaß ihre üblichen Spöttereien und so herrschte tiefe, ernste Stille - die plötzlich durch ein schrilles, spöttisches Lachen unterbrochen ward -. Es kam von Amabel, die draußen im Garten sich einen Strauß frischer Blumen gepflückt hatte.

      10. Detektiv Knapp kommt an.

      In einem kleinen Zimmer des Gerichtshofes saßen inzwischen drei Männer zusammen: Dr. Talbot, Mr. Fenton und ein Rechtsanwalt namens Harvey.

      Es war der letztere, der sprach und von Mrs. Webb erzählte. Harvey war bekannt als ein überaus tüchtiger Anwalt, von tadellosem Ruf.

      Wenn er sprach, sprach er gut, doch zog er es meist vor, zuzuhören. Er wusste Geheimnisse zu bewahren, wie kein anderer. Er war dreimal verheiratet gewesen; böse Zungen behaupteten, dass er so das Schweigen gelernt habe. Um seinen Tisch saßen noch heute dreizehn Kinder.

      „Vor etwa fünfzehn Jahren“, erzählte Harvey, „kam Philemon zu mir und übergab mir eine Summe Geldes, die er für seine Frau angelegt wissen wollte. Er hatte das Geld bei einer kleinen Spekulation verdient und wollte es für seine Frau anlegen, ohne dass diese oder die Nachbarn etwas davon erführen. Ich fertigte die nötigen Papiere aus, die er voll Freude unterzeichnete und legte das Geld nach reiflicher Überlegung in einem Unternehmen in Boston an, das mir gut erschien. Es war dies der beste Zug, den ich je im Leben machte. Nach einem Jahre hatte sich das Kapital verdoppelt und nach fünf Jahren war es - mit den Zinsen - so angelaufen, dass wir - Philemon und ich - beschlossen, ihr zu sagen, wie reich sie sei und ihre Dispositionen zu erwarten, was mit dem Geld geschehen sollte. Ich hoffte, sie würde nun ihre Lebensweise ändern, die mir nicht im Einklang schien mit ihrem Einkommen und ihren geistigen Fähigkeiten; es ward mir indes bald klar, dass ich Agatha falsch beurteilte. Als sie hörte, wie reich sie war, schaute sie uns erst erschrocken an; dann warf sie sich in Philemons Arme und weinte bitterlich, während der arme Mensch so verwirrt dastand, als habe er ihr Nachricht von einem großen Verlust statt von seinem großen Gewinn gebracht. Sie dachte wohl an ihre toten Kinder und was sie nun für dieselben tun könnte, wären dieselben am Leben. Doch sie sprach nicht davon. Nachdem die erste Erregung vorüber, sagte sie zu Philemon: „Du wolltest mich glücklich machen, Philemon, und Du sollst Dich nicht getäuscht haben. Wir wollen das Geld benutzen, den Armen der Stadt zu helfen.“ Er sah auf ihr einfaches kardinalfarbenes Kalikokleid und sagte bescheiden: „Denkst Du nicht, wir sollten uns nun etwas besser kleiden und dass Du vielleicht ein seidenes Band an Deinem schönen Hals tragen könntest?“ Sie antwortete nicht, sondern schaute ihn nur an, mit einem Blicke, aus dem ihre ganze Seele sprach. „Agatha hat Recht“, sagte daraufhin Philemon zu mir, „wir brauchen keinen Luxus. Ich kann wirklich nicht begreifen, wie ich so was sagen konnte.“ Das war vor zehn Jahren und ihr Vermögen wuchs immer mehr an. Ich wusste damals nicht - und weiß es heute noch nicht - weshalb sie ihr Glück so geheim gehalten wissen wollte. Doch da es ihr ausdrücklicher Wunsch war, habe ich denselben natürlich respektiert. Das Geld, das offenbar die indirekte Ursache ihres Todes gewesen ist, waren die Zinsen, die ich ihr vorgestern überbracht hatte. Es waren eintausend Dollars in nagelneuen Scheinen, teils fünf, teils zehn, auch einige Zwanzig-Dollars-Scheine waren dabei und ich darf wohl behaupten, dass kein anderes neues Geld in solchem Betrage in der Stadt war.“

      „Zeigen Sie allen Geschäftsleuten der Stadt an, genau aufzupassen, wer mit neuem Gelde bezahlt“, sagte Dr. Talbot zu Fenton.

      „Neue zehn oder zwanzig Dollars-Noten zirkulieren hier nicht jeden Tag. Was nun ihr Testament betrifft, hast Du das auch aufgesetzt, Harvey?“

      „Nein, ich wusste nicht einmal, dass sie ein solches gemacht hatte. Ich machte sie oft auf eine solche Notwendigkeit aufmerksam, doch hat sie es immer zu verschieben gewusst. Nun, scheint es, hat sie doch ein Testament gemacht und zwar in Boston. Sie dachte vermutlich, sie könnte ihrem alten Freunde nicht zu viele Geheimnisse anvertrauen.“

      „Dann weißt Du nicht, wem sie ihr Geld hinterlassen hat?“

      „So wenig als Du.“

      Der Eintritt eines jungen Mannes, einen Zwicker auf der Nase, unterbrach das Gespräch. Sofort standen alle erwartungsvoll auf.

      „Nun?“ fragte Dr. Talbot.

      „Nichts Neues“, erwiderte der Angekommene. Die ältere Frau starb an Blutverlust, infolge einer Wunde, die ihr mittels eines kleinen, dreischneidigen Dolches beigebracht worden war, während die jüngere an Apoplexie starb, veranlasst durch einen plötzlichen großen Schrecken.“

      „Gut. Ich freue mich, dass meine Annahme sich als richtig erwiesen hat. Blutverlust? Was? Demnach war der Tod kein plötzlicher?“

      „Nein.“

      „Sonderbar!“ sagten die beiden anderen.

      „Sie lebte und rief doch nicht um Hilfe!“

      „Wahrscheinlich hat niemand sie gehört“, warf der Arzt ein, der aus einer anderen Stadt war.

      „Oder wenn jemand sie hörte, so war dies nur Philemon“, bemerkte der Polizist.

      „Jedenfalls veranlasste ihn etwas, nach oben zu gehen.“

      „Ich bin noch nicht so fest überzeugt, dass Philemon nicht der Mörder ist“, sagte der Untersuchungsrichter, „trotzdem das Geld nirgendwo im Hause gefunden ward. Wie anders lässt sich sonst seine Ruhe erklären, mit der er die Nachsicht ihres Todes anhörte? Hätte ein Fremder sie getötet, Agatha Webb hätte sich sicher gewehrt. Man merkt im Zimmer aber nichts von einem Kampfe.“

      „Sie hätte sich jedenfalls auch gegen Philemon gewehrt, hätte sie die Kraft und die Möglichkeit besessen. Mir scheint, sie ward im Schlaf überfallen.“

      „Ah. Und nicht am Tische stehend? Wie kamen dann die Blutstropfen dahin?“

      „Vielleicht von den Fingern des Mörders.“

      „Philemons Hände waren nicht blutig.“

      „Nein, er wischte sie an seinem Ärmel ab.“

      „Wenn er es war, der den Dolch gegen sie zückte, wo ist der Dolch? Er müsste doch irgendwo im Hause gefunden werden.“

      „Vielleicht hat er ihn im Garten vergraben. Geisteskranke kommen oft auf merkwürdig verschlagene Gedanken.“

      „Wenn Sie den Dolch innerhalb des Zaunes finden können, will ich Ihnen Recht geben. Einstweilen glaube ich nicht an Ihre Theorie. Meine Ansicht vielmehr ist -.“

      „Würden Sie die Güte haben, mit Ihrer Ansicht zurückzuhalten, bis ich die meinige formuliert habe“, unterbrach den Sprecher eine Stimme von außen.

      Alle wandten sich um. Unter der Türe stand ein Mann mit glattgestrichenen schwarzen Haaren und ausdruckslosen Zügen. Hinter ihm kam Abel, Schirm und Reisetasche in der Hand.

      „Der Detektiv von Boston“, rief Abel.

      Dr. Talbot begrüßte ihn.

      „Knapp ist mein Name“, begann der Detektiv. „Ich habe bereits mein Abendessen eingenommen und bin bereit, meine Arbeit sofort zu beginnen. Ich habe die Zeitungen gelesen und bin über alles orientiert, was bis jetzt offiziell bekannt ist. Ich möchte nur noch die Tatsachen wissen, die seither festgestellt wurden - Tatsachen, verstehen Sie, keine Theorien. Ich lasse mich nie durch anderer Leute Theorien beeinflussen.“