Engel und Teufel. Anna Katharine Green. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Katharine Green
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754180570
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      „Ich werde zuerst nach dem Hause gehen und sehen, was ich selbst feststellen kann. Darf ich bitten, allein gehen zu dürfen?“ setzte er hinzu, als er Fenton sich erheben sah.

      „Abel kann ja sehen, dass mir der Zutritt gestattet wird.“

      „Zeigen Sie mir Ihre Ausweis-Papiere“, sagte der Untersuchungsrichter.

      Dies geschah.

      „Die scheinen in Ordnung zu sein und ich nehme an, Sie sind ein Mann, der sein Geschäft versteht. Sie können allein gehen, wenn Sie es vorziehen, bringen Sie aber Ihre Folgerungen, die Sie aus Ihrer Untersuchung ziehen, hierher, damit wir sie eventuell - korrigieren können.“

      „Gewiss werde ich zurückkommen“, entgegnete Knapp ruhig.

      Dann ging er, einen nichts weniger als guten Eindruck hinterlassend.

      „Ich begreife Carson nicht“, rief der Anwalt, „dass er uns einen solchen Menschen herschickt! Konnte er nicht merken, dass der Fall eines Mannes von ungewöhnlicher Tüchtigkeit und Urteilskraft bedarf?“

      „Oh, der Mann ist vielleicht sehr tüchtig; er hat nur solch unangenehmes Wesen. Ich kann derartige Fischnaturen nicht leiden.“

      „Wer ist das?“ unterbrach er sich plötzlich, als er ein Klopfen an der Türe hörte.

      „Ah, Loton! Was will der hier?“

      Der Ankömmling fuhr bei Dr. Talbots Stimme merklich zusammen. Er war schwächlich, nervös und auf das Äußerste erregt.

      „Ich bitte tausendmal um Entschuldigung“, begann er, „dass ich mir die Freiheit nehme, hierher zu kommen. Ich unterbreche eine Gesellschaft nicht gerne, doch ich habe Ihnen etwas zu sagen, das vielleicht wichtig für Sie ist, obwohl es nicht sehr bedeutend ist -.“

      „Betrifft es den Mord?“ fragte der Untersuchungsrichter, wobei er seine Stimme dämpfte; er kannte Loton und wusste, dass er ihn freundlich behandeln müsse, sollte er nicht gänzlich verschüchtert werden.

      „Den Mord? Bewahre mich der Himmel! Ich würde nie wagen, etwas über den Mord zu sagen! Es betrifft das Geld, welches - das heißt, es betrifft Geld im Allgemeinen. Es ist - es ist etwas merkwürdig und - die Sache ging mir schon den ganzen Tag im Kopf herum - soll ich es Ihnen erzählen, meine Herren? Es passierte gestern Abend, das heißt, spät in der Nacht, so spät, dass ich schon lange im Bette lag und bereits vier Stunden schnarchte, wie meine Frau sagt -.“

      „Was für Geld? Neues Geld? Nagelneue Banknoten?“ fragte Fenton erregt.

      Loton, der an der Straße, die nach dem Hügel führt, ein kleines Spezereigeschäft hat, trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen und fuhr dann fort:

      „Es war neues Geld - ich dachte gleich so, als ich es im Dunkeln anfasste - nagelneues Geld, meine Herren und zwar eine -. Doch das merkwürdigste kommt noch, ich hatte fest geschlafen und träumte von meiner Sally, als sie selber mich aufweckte und sagte, es klopfte Jemand an der Türe. „Geh hinaus“, flüsterte Sally und sieh, was der Mann will.“ Ich war zwar ärgerlich über diese Störung - ich träumte so schön von Sally - aber Pflicht ist Pflicht und so ging ich hinab - es war stockfinster. „Draußen klopfte es immer noch. „Was ist los?“ schrie ich. „Wer ist draußen und was wollen Sie?“ „Machen Sie auf!“ rief eine schwache zitternde Stimme, „ich will etwas zu Essen kaufen! Um Gottes Willen, machen Sie auf!“ „Die Stimme klang so kläglich - und ich öffnete die Türe. „Sie müssen recht hungrig sein“, begann ich, doch er ließ mich nicht ausreden. „Brot!“ keuchte er atemlos, wie ein Mann, der weit und schnell gelaufen ist, „geben Sie mir was zu essen, einerlei, was es ist! Schnell, nur schnell! Hier ist Geld!“ Dabei schob er mir eine Note in die Hand, die so steif war, dass sie knitterte. „Schnell, um Gottes Willen, schnell! Das Geld zahlt für alles! Ich komme am Morgen und hole mir, was ich herauszubekommen habe.“ „Wer sind Sie?“ rief ich. „Sind Sie der blinde Willy? Oder -?“ „Brot - Brot!“ war seine einzige Antwort. „Ich konnte dies Wimmern nach Brot nicht länger mit anhören, griff im Dunkeln nach einem Laib und gab ihm denselben. „Da!“ rief ich. „Jetzt sagen Sie mir, wer Sie sind, ober wie Sie heißen?“ „Er murmelte etwas Unverständliches - es mag wohl ein Dank gewesen sein - ging aus der Türe und lief schnell dem Hügel zu.“

      „Und das Geld? Wie ist es mit dem Geld?“ fragte der Untersuchungsrichter.

      „Kam er am Morgen für sein Geld?“

      „Nein. Ich legte das Geld in der Nacht in den Zahltisch; ich dachte, es wäre eine Dollar-Note. Als ich aber heute Morgen nachschaute, war es ein Zwanziger, ja, meine Herren, ein nagelneuer Zwanziger!“

      Der Untersuchungsrichter und der Polizist sahen sich erstaunt an.

      „Wo ist das Geld? Haben Sie es mitgebracht?“ fragte der erstere.

      „Ich habe es hier. Ich will niemanden Unrecht tun - doch als ich hörte, dass Mrs. Webb - Gott hab sie selig - letzte Nacht um Geldes Willen ermordet worden war, brannte mir die Note wie Feuer in der Tasche. Hier ist sie. Ich wollte, ich hätte die Türe nicht geöffnet und den alten Mann stehen lassen, bis es Morgen war.“

      Es war wirklich eine nagelneue Note, die Dr. Talbot entgegen nahm.

      „Weshalb nennen Sie den Kunden alt?“ fragte Fenton. „Ich dachte, es war so dunkel, dass Sie ihn nicht sehen konnten?“

      „Nein, ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Trotzdem bin ich sicher, dass er alt war - es kann gar nicht anders möglich sein.“

      „Das wird sich finden. Ist das alles, was Sie uns sagen können?“

      Das war alles und so ward Loton entlassen. Etwa eine Stunde später kehrte Detektiv Knapp zurück.

      „Nun?“ fragte der Untersuchungsrichter, als jener die Türe hinter sich geschlossen hatte:

      „Was ist Ihre Ansicht über den Fall?“

      „Einfacher Raubmord durch einen Mann mit einem langen weißen Bart.“

      11. Der Mann mit dem Bart.

      Es wohnten nur wenige Männer in der Stadt, die lange weiße Bärte trugen. Es ward eine Liste derselben angefertigt und dem Untersuchungsrichter unterbreitet, der sie lächelnd durchlas.

      „Kein einziger von diesen würde ein Unrecht begehen, viel weniger ein Verbrechen“, sagte er. „Sie müssen woanders nach dem Mörder Agatha Webbs suchen, nicht in unserer Stadt.“

      „Möglich“, entgegnete Knapp, „indes sagen Sie mir gefälligst erst, wer diese Leute hier sind. Wer ist Edward Hope?“

      „Ein Uhrmacher; tadelloser Charakter.“

      „Und Sylvester Chubb?“

      „Ein Farmer, der von früh morgens bis Sonnenuntergang auf seiner Farm arbeitet, um Mutter, Frau und sieben Kinder zu versorgen und von Abends bis elf Uhr des Nachts Holzarbeiten schnitzt, die er in Boston verkauft.“

      „John Barker, Thomas Elder, Timothy Sinn?“

      „Alles brave Leute; ich bürge für jeden einzelnen von diesen.“

      „Und John Zabel, James Zabel?“

      „Beide unantastbar. Waren einst berühmte Schiffsbauer, bis der Wechsel von Holz zu Eisen sie aus dem Geschäft brachte. War wirklich schade, denn sie waren Experten in ihrem Fach. Apropos, Fenton, man sieht die Beiden weder in der Kirche, noch an der Werft mehr.“

      „Nein; sie bleiben am liebsten zu Hause und allein; werden alt, wie wir.“

      „Brave Jungens, einst. Wir müssen sie einmal aufsuchen, Fenton. Ich kann nicht sehen, wenn alte Freunde sich so ganz zurückziehen. Doch zum Geschäft zurück zu kommen: Sie können ruhig weiter gehen, Knapp.“

      Knapp indes hatte das Zimmer verlassen. Er ging die Straße hinab, bis zu einem gewissen Hause und zog dort die Klingel.