Wenn Sie morgen zu Varleigh gehen, werden Sie es bis zum letzten Tage ihres Lebens zu bereuen haben.« Indem er diese Worte in einem Tone sprach, der mich wider Willen erbeben ließ, ging er nach der Türe. Als er seine Hand auf das Schloss legte, wendete er sich zum letzten Mal nach mir um. »Ich verbiete Ihnen, zu Varleighs Wohnung zu gehen,« sagte er ruhig und bestimmt. »Hören Sie, was ich Ihnen sage! Ich verbiete es Ihnen.« Mit diesen Worten verließ er uns.
Meine Tante setzte sich an meine Seite und ergriff freundlich meine Hand. »Hier bleibt nur eins zu tun übrig,« sagte sie, »wir müssen sogleich nach Nettlegrove zurückkehren. Wenn Hauptmann Stanwick versuchen sollte, dich in deinem eigenen Hause zu belästigen, so haben wir Nachbarn, die uns beschützen werden, und wir haben Herrn Loring, unseren Pfarrer, um uns an ihn um Rat zu wenden. Was Herrn Varleigh betrifft, so will ich ihn schriftlich um Entschuldigung bitten, ehe wir abreisen.«
Sie streckte die Hand aus, um die Schelle zu ziehen und den Wagen zu bestellen. Ich hinderte sie daran. Mein kindischer Stolz trieb mich dazu, mich doch in irgendeiner Weise zu äußern, nachdem ich gezwungen gewesen war, während des Zusammentreffens mit Hauptmann Stanwick untätig zu bleiben.
»Nein,« sagte ich, »es ist nicht schön gegen Herrn Varleigh gehandelt, wenn wir unserer Verabredung mit ihm nicht nachkommen. Lass uns auf alle Fälle nach Nettlegrove zurückkehren, aber lass uns vorher bei Herrn Varleigh vorsprechen und Abschied von ihm nehmen. Sollen wir deshalb, weil Hauptmann Stanwick uns durch feige Drohungen zu erschrecken versucht hat, uns einem gebildeten Manne gegenüber ungeziemend benehmen, der uns immer mit der größten Aufmerksamkeit behandelt hat? Das gewöhnlichste Gefühl der Selbstachtung verbietet uns dies.«
Meine Tante widersprach ruhig und vernünftig diesem Ausbruch von Torheit, aber meine Hartnäckigkeit (meine Festigkeit, wie ich damals dachte) war unerschütterlich. Ich ließ ihr die Wahl, entweder mit mir zu Herrn Varleigh zu gehen, oder mich allein zu ihm gehen zu lassen. Da sie fand, dass es nutzlos sein würde, sich mir zu widersetzen, entschloss sie sich natürlich, ich brauche es nicht zu sagen, mit mir zu gehen.
Wir fanden Herrn Varleigh sehr höflich, aber ernster und stiller wie gewöhnlich. Unser Besuch währte nur einige Minuten: meine Tante benutzte den Einfluss, den das Alter und die Stellung ihr gab, ihn abzukürzen. Sie führte Familienangelegenheiten als den Grund an, der uns nach Nettlegrove zurückrufe. Ich nahm es auf mich, Herrn Varleigh einzuladen, mich in meinem eignen Heim zu besuchen. Er verneigte sich und dankte mir, ohne meine Einladung ausdrücklich anzunehmen. Als ich ihm beim Abschiede die Hand reichte, brachte er sie an seine Lippen und küsste sie mit einer Zärtlichkeit, die mich in Verwirrung setzte. Seine Augen blickten schmachtend und sorgenvoll in die meinigen, und es lag in ihnen zwar Bewunderung, aber auch das tiefe Bedauern, dass sie nun für lange Zeit von mir Abschied nehmen mussten. »Vergessen Sie mich nicht,« lispelte er, als er an der Tür stand, während ich meiner Tante hinausfolgte. »Kommen Sie nach Nettlegrove,« flüsterte ich ihm zu. Seine Augen senkten sich zu Boden; er ließ mich gehen, ohne ein Wort weiter zu sagen.
Dies war, wie ich feierlich erkläre, alles, was bei unserem Besuche vorgekommen ist. Infolge einer unausgesprochenen Übereinstimmung zwischen uns wurde keinerlei Anspielung auf Hauptmann Stanwick gemacht, nicht einmal sein Name wurde erwähnt. Ich erfuhr nie, dass die beiden Männer kurz vor unserem Besuche bei Herrn Varleigh sich getroffen hatten. Nichts wurde gesagt, was auch nur den geringsten Verdacht in mir erwecken konnte, dass irgendein Übereinkommen für ein anderes Zusammentreffen später am Tage zwischen ihnen verabredet worden sei. Über die unbestimmten Drohungen hinaus, die Hauptmann Stanwicks Lippen entfuhren — Drohungen allerdings, die ich, wie ich gestehen muss, außer acht zu lassen unvorsichtig genug war — wurde mir keinerlei Warnung vor den schrecklichen Ereignissen zuteil, die sich zu Maplesworth am Tage nach unserer Rückkehr nach Nettlegrove Hall zutrugen.
Ich kann nur hinzufügen, dass ich bereit bin, mich allen weiteren Fragen zu unterziehen, die an mich gerichtet werden könnten, aber ich bitte, mich nicht für ein herzloses Weib zu halten. Mein schlimmster Fehler war Unwissenheit. Zu jener Zeit wusste ich noch nichts von der Maske, unter welcher die Männer das, was selbstsüchtig und roh in ihrer Natur ist, vor den Frauen verbergen, die zu täuschen sie ein Interesse haben.
Nr. 2.
Julius Bender, Fechtmeister, bezeugte und sagt aus:
Ich bin deutscher Nationalität und habe mich im Anfang des laufenden Jahres in England als Lehrer im Gebrauche des Degens und der Pistole niedergelassen. Da das Geschäft in London flau ging, so kam mir unglücklicherweise der Einfall, zu versuchen, ob sich vielleicht auf dem Lande etwas machen ließe. Ich hatte von Maplesworth als einem Orte gehört, der wegen der landschaftlichen Schönheit von Touristen und auch häufig von Leidenden besucht werde, die eine Badekur gebrauchen müssen; ich eröffnete dort im Anfange der Kurzeit des Jahres 1817 einen Saal für Fechtübungen und Pistolenschießen. Was die Touristen anlangt, so war ich nicht getäuscht worden; denn es gab eine Menge junger, müßiger Herren unter ihnen, von denen erwartet werden konnte, dass sie meinem Unternehmen ihr Interesse zuwenden würden. Sie zeigten aber die erschreckendste Gleichgültigkeit gegen die edle Kunst des Angriffs und der Verteidigung, kamen zu zweien und zu dreien, blickten in meinen Saal und kamen nicht wieder. Meine geringen Mittel gingen zu Ende. Nachdem ich alle Kosten bezahlt hatte, stand mir wirklich der Verstand still, als ich nur noch einige Pfund in der Tasche fand, von denen ich — in der Hoffnung auf bessere Tage — weiter leben sollte.
Eines Herrn erinnere ich mich, der mich besuchte und sich sehr freigebig gegen mich benahm.
Er gab sich selbst für einen Amerikaner aus und sagte, dass er sehr viel gereist sei. Wie mein Unglück es wollte, bedurfte er aber meiner Unterweisungen nicht. Bei den zwei oder drei Malen, wo er sich mit meinen Rapieren und meinen Pistolen die Zeit vertrieb, erwies er sich als einer der geschicktesten Fechter und trefflichsten Schützen, denen ich jemals begegnete. Es war nicht zu verwundern: er war von Natur kaltblütig und hatte ein scharfes Auge, und war in Wien und Paris von Meistern der Kunst unterrichtet worden.
Anfangs Juli — ich glaube den 9. oder 10. dieses Monats — saß ich allein in meinem Saale und betrachtete recht traurig die beiden letzten Sovereigns in meiner Börse, als mir ein Herr gemeldet wurde, der Unterricht wünschte. »Privaten Unterricht,« sagte er mit Nachdruck, indem er nach dem Manne blickte, dem die Reinigung und die Fürsorge für meine Waffen oblag.
Ich schickte den Mann hinaus. Der Fremde — ein Engländer, und nach dem äußeren Scheine zu urteilen, Soldat — nahm aus seinem Taschenbuche eine Fünfzig-Pfund-Note und hielt sie mir vor die Augen. »Ich bin eine wichtige Wette, einen Wettkampf im Fechten, eingegangen,« sagte er, »und ich habe keine Zeit, mich hierzu besonders vorzubereiten. Lehren Sie mir einen Kunstgriff, der es mir möglich macht, mich mit einem im Gebrauche des Rapiers erfahrenen Manne zu messen. Halten Sie die Sache geheim, und diese fünfzig Pfund hier sind Ihnen.«
Ich zögerte. Ich zögerte wirklich, so arm ich auch war. Aber dieser Teufel von einem Manne hielt seine Banknote vor mich hin, nach welcher Richtung ich auch blickte, und ich hatte nur zwei Pfund in der Welt übrig.
»Sind Sie im Begriffe, ein Duell auszufechten?« fragte ich.
»Ich habe Ihnen ja schon gesagt, was ich vorhabe,« antwortete er.
Ich wartete einen Augenblick. Die höllische Banknote versuchte mich noch immer. Wider meinen Willen stellte ich ihn nochmals auf die Probe.
»Wenn ich Ihnen den Kniff lehre,« erwiderte ich zähe, »wollen Sie sich verpflichten, keinen schlechten Gebrauch von diesem Unterricht zu machen?«
»Ja,« rief er ungeduldig.