Sie war gerade noch imstande, »Ja« zu sagen, als sie in meinen Armen in Ohnmacht fiel.
Er beugte sich über sie und berührte mit seinen Lippen ihre kalte Wange.
»Leben Sie wohl!« sagte er in einem Tone, der seltsamerweise plötzlich in die ausgesuchteste Zärtlichkeit überging. »Leben Sie wohl für immer!«
Er sprang über den Bach, überschritt den freien Raum und war in dem waldigen Tale jenseits bald unseren Blicken entschwunden.
Sowie er verschwand, kam auch die Erscheinung jenes anderen Mannes näher, ging schweigend an uns vorüber, sprang in einem Satze über den Bach und verschwand, wie die Gestalt des Hauptmanns vor ihm verschwunden war.
Ich war allein mit dem ohnmächtigen Mädchen geblieben. Nicht ein Laut, weder fern noch nah, unterbrach die Stille der herankommenden Nacht.
Nr. 5.
Herr Friedrich Darnel, Mitglied der Akademie der Wundärzte, bezeugt und sagt aus:
Ich bin gewohnt, in der freien Zeit, die mir die Pflichten meines Berufes lassen, mich mit dem Studium der Botanik zu befassen, wobei mir ein Freund und Nachbar zur Seite steht, dessen Neigungen in dieser Hinsicht den meinigen gleichen. Wenn ich eine oder zwei Stunden von der für meine Patienten bestimmten Zeit erübrigen kann, so gehen wir zusammen aus, Pflanzenproben zu suchen, Unser Lieblingsort ist der Hernewald. Er bietet dem Botaniker reiche Ausbeute und ist nur eine Meile von dem Dorfe entfernt, in dem ich wohne.
Anfangs Juli machten ich und mein Freund in dem Walde eine unerwartete und erschreckende Entdeckung. Wir fanden in der Lichtung einen Mann, der mit einer gefährlichen Wunde am Boden lag und allem Anscheine nach bereits tot war.
Wir trugen ihn in das Haus des Wildhüters am Saume des Waldes auf der unserem Dorfe nächstgelegenen Seite. Dieser war mit seinem Burschen ausgegangen, aber der leichte Wagen, in dem er in dem entfernteren Teile des Besitztums seines Herrn die Runde macht, befand sich im Hinterhause. Während mein Freund das Pferd anspannte, untersuchte ich die Wunde des Fremden. Sie war ihm kurz vorher erst beigebracht worden und ich bezweifelte, ob sie ihn wirklich getötet hatte. Mit Leinwand und kaltem Wasser, welches mir die Frau des Wildhüters darreichte, tat ich mein Möglichstes und dann brachten wir ihn vorsichtig auf dem Wagen in meine Wohnung. Ich wendete die nötigen Stärkungsmittel an, und überzeugte mich zu meiner Freude bald davon, dass die Lebenskräfte des Verwundeten wieder auflebten. Er war natürlich vollständig bewusstlos, aber die Tätigkeit des Herzens war deutlich wahrzunehmen, und ich fasste Hoffnung für seine Wiederherstellung. In einigen weiteren Tagen fand ich, dass diese durchaus gesichert sei; dann stellte sich das gewöhnliche Fieber ein.
Seiner Freunde wegen war ich genötigt, seine Kleider in Gegenwart eines Zeugen zu untersuchen. Wir fanden sein Taschentuch, seine Börse und seine Zigarrentasche, sonst aber nichts, weder einen Brief noch eine Visitenkarte. In seine Kleider waren nur Anfangsbuchstaben eingezeichnet. Es gab also nur ein Mittel, um seine Persönlichkeit festzustellen: zu warten, bis er wieder sprechen konnte. Als diese Zeit kam, gestand er mir, dass er sich absichtlich jeden Anhalts für die Feststellung seiner Person in der Besorgnis entäußert habe, dass im Falle eines Unfalls, der ihm zustoße, die Nachricht darüber seinen Eltern ohne Vorbereitung durch die Zeitungen zukommen möchte. Er habe an seinen Bankier in London einen Brief geschickt, der an seine Eltern befördert werden sollte, wenn jener innerhalb Monatsfrist ihn weder sähe noch von ihm höre. Sein Erstes war, diesen Brief zurückzuziehen. Die übrigen Einzelheiten, die er mir mitteilte, sind, wie ich höre, bereits bekannt. Ich habe nur noch hinzuzufügen, dass ich gern sein Geheimnis bewahrt habe, indem ich in der Nachbarschaft von ihm nur als von einem Reisenden aus der Fremde sprach, dem hier ein Unfall begegnet sei.
Seine Genesung ging nur langsam von statten. Es war bereits Anfang Oktober, als seine Gesundheit gänzlich wiederhergestellt war. Als er uns verließ, ging er nach London. Er benahm sich sehr freigebig gegen mich, und wir schieden voneinander mit den besten Wünschen auf beiden Seiten.
Nr. 6.
Herr Lionel Varleigh von Boston in den Vereinigten Staaten von Nordamerika bezeugt und sagt aus:
Mein erster Schritt nach meiner Genesung war der, zu den Verwandten des Hauptmanns Stanwick in London zu gehen, um bei ihnen Erkundigungen über ihn einzuziehen. Ich will mich nicht auf Kosten dieses unglücklichen Mannes rechtfertigen. Es ist wahr, ich liebe Fräulein Laroche zu sehr, um sie, außer, wenn sie es selbst wünschte, einem anderen zu überlassen. Es ist ferner wahr, dass Hauptmann Stanwick mich mehr als einmal gröblich beschimpfte und ich dies ruhig hinnahm. Er hatte schwer an einem Sonnenstich gelitten, der ihn in Indien befiel, und in Augenblicken der Erregung konnte er kaum für seine Handlungen verantwortlich gemacht werden. Erst als mir ein tätlicher Angriff von seiner Seite drohte, ging mir die Geduld aus. Wir griffen zum Degen. Ich war fest entschlossen, sein Leben zu schonen; er aber hatte zweifellos die Absicht, mich zu töten. Ich habe ihm vergeben und will darüber nichts weiter sagen.
Seine Verwandten teilten mir mit, dass bei ihm nach dem Duelle die Symptome des Wahnsinns zu Tage getreten seien, dass er bisher in einer Irrenanstalt verwahrt worden, aber aus ihr entwichen sei, und dass es bisher nicht gelungen sei, seinen Aufenthalt zu ermitteln.
In dem Augenblicke, wo ich dies hörte, erfasste mich die Furcht, dass Stanwick wieder seinen Weg zu Fräulein Laroche gefunden haben könnte. Nach einer Stunde war ich auf dem Wege nach Nettlegrove Hall.
Ich kam dort spät abends an und fand Fräulein Laroches Tante in großer Unruhe um die Sicherheit ihrer Nichte. Die junge Dame war gerade in diesem Augenblicke im Park und im Gespräche mit Stanwick, und sie hatte nur einen älteren Herrn, den Pfarrer, zu ihrem Schutze bei sich.
Dies veranlasste mich, mich sogleich auf den Weg zu machen, um ihr auch meine Fürsorge angedeihen zu lassen. Ein Diener begleitete mich, um mir den Ort der Zusammenkunft zu zeigen. Wir hörten zwar undeutlich Stimmen, aber wir sahen niemand. Der Diener zeigte auf einen Pfad, der durch die Tannen führte. Ich selbst ging rasch vorwärts, während ich den Diener so weit zurückließ, dass ich ihn zu jeder Zeit herbeirufen konnte. In einigen Minuten bemerkte ich sie in geringer Entfernung an dem Ufer eines Baches. Die Furcht, Fräulein Laroche ernstlich zu erschrecken, wenn ich mich ihnen plötzlich zeigte, beraubte mich für einen Augenblick meiner Geistesgegenwart. Indem ich stehen bleibend überlegte, was zu tun sei, war ich durch die Bäume weniger verdeckt worden, als ich vermutet hatte. Fräulein Laroche hatte mich gesehen; ich hörte ihren Angstschrei. Einen Augenblick später sah ich Hauptmann Stanwick den Bach überspringen und die Flucht ergreifen. Dies brachte mich in Bewegung. Ohne mich aufzuhalten und ohne ein Wort der Erklärung zu sagen, verfolgte ich ihn. Unglücklicherweise glitt ich im Halbdunkel aus und fiel auf dem freien Raume jenseits des Baches zur Erde. Als ich wieder auf meinen Füßen stand, war Stanwick unter den Bäumen verschwunden, die die Grenze des Parkes vor mir bildeten. Ich konnte von ihm weder etwas sehen, noch hören, als ich auf die Landstraße hinausgekommen war. Ich traf dort einen Arbeiter, der mir den Weg nach dem Dorfe zeigte. Aus dem Wirtshause schrieb ich Fräulein Laroches Tante einen Brief, in dem ich ihr mitteilte, was sich zugetragen hatte, und sie um die Erlaubnis bat, am nächsten Tage in ihrer Wohnung vorsprechen zu dürfen.
Früh morgens kam der Pfarrer zu mir in das Wirtshaus und brachte traurige Nachrichten. Fräulein Laroche litt an einem nervösen Anfall und mein Besuch musste verschoben werden. Als wir sodann von dem vermissten Manne sprachen, erfuhr ich alles, was Herr Loring mir sagen konnte. Meine genaue Bekanntschaft mit Stanwick setzte mich in den Stand, aus den mitgeteilten Tatsachen meine Schlüsse zu ziehen. Sofort fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, dass der Unglückliche vielleicht an derselben Stelle sühnenden Selbstmord begangen haben könnte, an der er versucht hatte, mich zu töten. Ich überließ dem