Ich kann von diesen meinen beiden jungen Freunden nur sagen, dass Sie kein Bedenken zu hegen brauchen, ihnen Ihr Vertrauen zuzuwenden, wenn sie Ihnen — und Ihrer Nichte etwa gefallen sollten.
Da ich nun, wie ich hoffe, jeden Zweifel beseitigt habe, der Sie beunruhigt haben könnte, so bitte ich, Fräulein Bertha wieder zurückzurufen. Ich fürchte, Sie in der Besprechung Ihrer Pläne für den heutigen Tag gestört zu haben.«
Der geschmeidige, gesprächige Arzt machte für einen Augenblick eine Pause und ich flog von der Tür hinweg.
Unsere Pläne für den Tag umfassten auch eine Spazierfahrt durch die herrliche Landschaft in der Nähe der Stadt. Meine beiden Verehrer stellten sich zu Pferde bei uns ein. Hier war wieder der Hauptmann seinem Freunde überlegen. Vollendet war insbesondere sein Reitanzug und die Art, wie er zu Pferde saß. Der Engländer ritt auf der einen Seite des Wagens und der Amerikaner auf der anderen. Beide plauderten recht angenehm, aber Herr Varleigh hatte im allgemeinen mehr von der Welt gesehen, als der Hauptmann Stanwick, und war sicherlich der interessantere und unterhaltendere der beiden Gesellschafter.
Auf unserem Rückwege wurde meine Bewunderung durch einen dichten Wald erregt, welcher in einer kleinen Entfernung von der Landstraße auf einer Anhöhe herrlich gelegen war. »O Himmel!« sagte ich, ,,wie gerne möchte ich einen Spaziergang in diesen Wald machen!« Flüchtige, unbedachte Worte, aber ach! welche Erinnerungen drängen sich mir auf, wenn ich jetzt an sie denke!
Hauptmann Stanwick und Herr Varleigh stiegen sofort ab und boten sich mir als Begleiter an. Der Kutscher ermahnte sie, vorsichtig zu sein, da sich, wie er sagte, schon oft Leute in diesem Walde verirrt hätten. Ich fragte nach seinem Namen. Er hieß der Hernewald. Meine Tante war nicht sehr geneigt, ihren bequemen Sitz im Wagen zu verlassen, aber sie ging doch zuletzt mit uns.
Ehe wir den Wald betraten, stellte Herr Varleigh die Lage der Landstraße durch seinen Taschenkompass fest.
Hauptmann Stanwick lachte über ihn und bot mir seinen Arm an. Da ich in den gesellschaftlichen Formen und im Kokettieren unerfahren war, so fühlte ich nur instinktmäßig, dass ich den einen der Herren nicht zu rasch auf Kosten des anderen auszeichnen dürfe. Ich nahm daher den Arm meiner Tante und ordnete die Sache auf diese Weise.
Ein sich schlängelnder Pfad führte uns in den Wald. Bei näherer Betrachtung täuschte er mich in meinen Erwartungen; je weiter wir gingen, desto unheimlich düsterer wurde er. Die dicht stehenden Bäume verwehrten dem Lichte jeden Zutritt. Der Nebel umhüllte mich nach und nach so dicht, dass ich einen Schauer empfand. Im Unterholz des dichten Gebüsches raschelte es zuweilen geheimnisvoll, wenn irgendeine unsichtbare Kreatur hindurchkroch. An einer Krümmung des Pfades erreichten wir eine Art Lichtung und sahen den Himmel und den Sonnenschein wieder. Aber gerade hier ereignete sich ein unangenehmer Vorfall. Eine Schlange machte ihren schlängelnden Weg quer über den freien Raum dicht an mir vorüber, und ich war töricht genug, zu schreien. Der Hauptmann tötete das Tier mit seiner Reitpeitsche und fand daran Gefallen. Das sah ich nicht gern.
Wir verließen die lichte Stelle und schlugen einen anderen Pfad ein und dann noch einen anderen. Und fortwährend raubte mir der schreckliche Wald die gute Stimmung. Ich war mit meiner Tante der Ansicht, dass wir gut tun würden, nach dem Wagen zurückzukehren. Auf unserem Rückwege verfehlten wir aber den rechten Pfad und verirrten uns für einen Augenblick. Herr Varleigh nahm seinen Kompass zu Hilfe und zeigte nach einer bestimmten Richtung. Hauptmann Stanwick, der nichts als seine eigene eifersüchtige Stimmung zu Rate zog, zeigte nach einer anderen. Wir folgten der Führung des Herrn Varleigh und gelangten nach der Lichtung zurück. Er wandte sich zu dem Hauptmann und sagte in guter Laune: »Sie sehen, der Kompass hatte recht.« Hauptmann Stanwick antwortete scharf: »Es gibt mehr als einen Weg aus einem englischen Walde; Sie reden so, als wenn wir in einem Ihrer amerikanischen Urwälder wären.«
Herr Varleigh schien seine Heftigkeit nicht zu bemerken; es entstand eine Pause. Die beiden Männer standen auf der braunen Erde der Lichtung Auge in Auge — und des Engländers frische Gesichtsfarbe, hellbraunes Haar und Bart und seine offenen, kühn blickenden, blauen Augen stachen auffallend ab gegen die bleiche Gesichtsfarbe und das schwarze, kurzgehaltene Haar, gegen den scharf beobachtenden Blick und das feingeschnittene Gesicht des Amerikaners. Aber dies dauerte nur einen Augenblick; ich fühlte mich kaum beunruhigt, so beherrschten sie sich auch schon und führten uns zum Wagen zurück, während sie so angenehm miteinander plauderten, als wenn nichts vorgefallen wäre. Indessen, noch tagelang nachher kam mir der Vorfall in der Lichtung — Gesicht und Gestalt der beiden Männer, die dunkle Reihe von Bäumen, die sie von allen Seiten einschloss, das braune runde Fleckchen Erde, auf welchem sie standen — immer wieder ins Gedächtnis zurück und verdrängte hellere und glücklichere Gedanken aus ihm. Als meine Tante mich fragte, ob mich dieser Tag gefreut hätte, verneinte ich dies zu ihrer Überraschung. Und als sie nach der Ursache fragte, konnte ich nur antworten: »Es wurde alles durch den Hernewald verdorben.«
III.
Drei Wochen sind seitdem vorübergegangen.
Das Entsetzen über jene furchtbaren Tage beschleicht mich wieder, wenn ich an sie denke. Ich gedenke die Wahrheit ohne Beben zu sagen; aber ich möchte doch wenigstens meine eigenen Gefühle insoweit berücksichtigen, als ich bei gewissen Einzelheiten so kurz wie möglich verweile. Ich werde mein Verhalten gegen die beiden Männer, die um mich warben, am deutlichsten schildern, wenn ich sage, dass ich keinen von beiden bevorzugte. Aber in unschuldiger, ja in törichter Weise ermutigte ich sie beide.
In Büchern werden die Frauen im allgemeinen so geschildert, dass sie in Fragen, welche sich auf Liebe und Heirat beziehen, ihr eigenes, sicheres Urteil haben. Diese Erfahrung habe ich bei mir selbst nicht gemacht.
Ein Tag folgte dem anderen, und so lächerlich dies auch erscheinen mag, ich konnte nicht entscheiden, welchen von beiden Verehrern ich am besten leiden mochte.
Anfänglich war Hauptmann Stanwick der Mann meiner Wahl. So lange er sein Temperament beherrschte, entzückte er mich. Aber wenn er ihm freien Lauf ließ, war ich enttäuscht, zuweilen sogar erzürnt. In dieser Verfassung wandte ich mich zum Trost an Herrn Varleigh, da ich fühlte, dass er der edlere und der würdigere der beiden Männer war, und ich alsdann ehrlich glaubte, dass ich ihn seinem Mitbewerber vorziehe. In den ersten Tagen nach unserem Besuche des Hernewaldes hatte ich vortreffliche Gelegenheit, sie miteinander zu vergleichen. Sie statteten uns zusammen ihre Besuche ab und teilten ihre Aufmerksamkeit sorgsam zwischen mir und meiner Tante. Am Ende der Woche indessen fingen sie an, sich getrennt vorzustellen. Wenn ich irgendwelche Erfahrung von dem Wesen der Männer gehabt hätte, so hätte ich wissen können, was dies bedeutete, und ich hätte die Möglichkeit einer ernsteren Entfremdung zwischen den beiden Freunden voraussehen können, deren Ursache ich unglücklicherweise sein sollte. So aber beunruhigte ich mich niemals darüber, was sich in meiner Abwesenheit ereignen mochte. Ob sie zusammen, oder ob sie einzeln kamen, ihre Besuche waren mir immer angenehm, und ich dachte an nichts und kümmerte mich um nichts.
Aber die Zeit, die mich aufklären sollte, war nicht mehr fern.
Eines Tages sprach Hauptmann Stanwick viel früher als gewöhnlich bei uns vor. Meine Tante war von ihrem Morgenspaziergang noch nicht zurückgekehrt.