Frau Weilham trank von ihrem Kaffee und ließ sich nicht aufhalten, auch von Remsen nicht. Der schielte auf den Kaffee und entschied für sich, dass er dringend einen davon bräuchte. Schon wollte er danach fragen, da legte Frau Weilham nach.
„Carsten verfolgte die fixe Idee, die theoretische und die bisherige praktische Informatik zu verknüpfen und mit neu entwickelten Technologien im Bereich der Bioinformatik Fuß zu fassen. Georg verstand das alles nicht und blockierte Carsten, wo immer es ging. Sie redeten nicht viel miteinander, geistige Funkstille zwischen beiden. Viele Jahre.“
Remsen war inzwischen ausgestiegen. Für sich nahm er wahr, dass seine Gesprächspartnerin mal eben die Sprache gewechselt haben muss. Davon, was sie gerade sagte, verstand er nichts. Andersherum verstand die Frau sehr viel davon, zumindest tat sie so.
„Frau Weilham, bei allen Respekt: Ich verstehe nur Bahnhof davon. Wie es kann es sein, dass Sie sich so gut auskennen?“
„Ich habe bis vor einigen Jahren als Mikrobiologin hier an der Universität in Vesberg gearbeitet. Damals während der DDR-Diktatur haben die Kommunisten viel Wert daraufgelegt, dass alle eine gute Ausbildung erhielten. Mit der Datenverarbeitung, sagt man glaube ich heute nicht mehr, oder? … Mit den Rechnern hatte ich schon früh zu tun. Wir haben mit den Leuten vom Rechenzentrum viele Laborauswertungen gemacht. Etwas versteh ich schon noch davon.“
Remsen war beeindruckt. Doch, das passte zum Bild, was er von Anfang an von ihr hatte: Stil, Haltung und so etwas von feiner Dame, dabei aber nicht dumm und nicht nur bloß die Frau an der Seite eines Geschäftsmannes. Mit dieser Frau wird er noch einmal intensiver auseinandersetzen müssen, geschäftlich natürlich. Wieder ein Eintrag in seiner imaginären Taskliste.
Frau Weilham entwickelte offensichtlich ein überbordendes Mitteilungsbedürfnis: „Carsten lernte dann in München eine Freundin kennen. Ich habe die einmal, zweimal gesehen. Sie war nicht gut für ihn, nur Partys, nächtelang. Wahrscheinlich viel Alkohol, vielleicht auch Drogen, keine Ahnung. Irgendwann schmiss er das Studium; seine Freundin verließ ihn. Georg bekam Oberwasser und trieb Carsten förmlich vor sich her. Ja, man kann sagen er zwang ihn im Schwäbischen, in Furtwangen war das, Marketing und Vertrieb zu studieren.“
„Und das kann man so einfach, jemanden zwingen?“
„Georg hatte die Argumente auf seiner Seite und setzte Carsten unter Druck.“
Bevor Remsen mit einer vertiefenden Frage nachlegen konnte, ging sie selbst in die Offensive: „Georg machte ihm unmissverständlich klar, dass Carsten nicht einen Cent von ihm erben werde. Er hatte sogar entsprechende Dokumente von seinem Anwalt anfertigen lassen, die er Carsten vorlegte. Es fehlte nur noch seine Unterschrift.“
Vaterliebe grenzenlos … ‚Father and Son, Cat Stevens‘, als Cat Stevens noch Cat Stevens war. Den letzten Teil murmelte er fast vor sich hin. Ist doch schön, wenn es immer wieder Analogien zur Realität gibt.
„Was meinten Sie bitte?“ Frau Weilham schaute etwas irritiert drein.
„Nichts weiter. Mein Kollege ist ein ausgesprochener Kenner der Musikszene und sucht dort immer wieder Verbindungen mit der Wirklichkeit.“ Hanns-Peter Ulrich war inzwischen zum Gespräch hinzugekommen. Von Kriminalassistent Nöthe ließ er sich dessen Erkenntnisse kurz zusammenfassen; diese jedoch abgebrochen, weil er die Zeit dafür als Verschwendung betrachtete.
„Nach dem Studium, vor etwa drei Jahren, ist Carsten dann als Account Manager zu CodeWriter gegangen. Anfangs haben beide den Streit von damals weiter ausgetragen. Karl Hausmann, Georgs Partner, spielte den Vermittler, um zu schlichten. Als das nichts brachte und das Klima bei CodeWriter nicht besser wurde, fing er mit Georg an, über einen Verkauf der Firma zu sprechen und drohte dabei, dass das für beide ein schlimmes Verlustgeschäft werden würde. Irgendwie haben sie sich dann doch arrangiert; einige Abende im Red Rooster und jede Menge Guinness und Malts gingen wohl dafür drauf.“
Oh ha, mal lernt noch was bei der Arbeit. Remsen notierte sich eifrig den Namen des Pubs notiert. Gehört hatte er schon davon, er sollte in nächster Zeit den Laden mal testen. Klang auf jeden Fall verlockend.
„Gibt es denn zwischen Ihrem Mann und dem Karl Hausmann Konflikte?“
„Ich denke ja. Nicht offen, aber so latent, unterschwellig wie sagt man: Ein kalter Krieg mit freundlicher Maske? Spätestens seit dem Herzinfarkt hatte Georg auch nicht mehr die Lust, wahrscheinlich auch die Kraft nicht mehr, um sich gegen Hausmann zu stellen. Beide beschäftigten sich schon länger mit anderen Ideen, um die Firma weiterzuentwickeln. So richtig haben beide sich nicht mehr verstanden. Sagen wir mal so: Als Georg so nach und nach im Sommer mit der Arbeit wieder anfing, ließ sich Hausmann die Rolle des Tonangebers nicht mehr streitig machen.“
„Wo war Ihr Mann gestern Abend, Frau Weilham?“ Kriminaloberkommissar Ulrich wollte sich in das Gespräch einbringen; eher wichtigmachen, dachte sich Remsen, denn Fragen wiederholt man in einem Interview nicht.
So glich Remsen selbst diesen Fauxpas aus: „Hier zu Hause und ist heute früh zu seinem freien Tag aufgebrochen. Ist mit dem Auto und dem Rad unterwegs.“ Zu Frau Weilham gewandt: „Frau Weilham: Wissen Sie, wann er wieder hier ist? Ist er auf seinem Handy erreichbar?“
Jetzt schaute Remsen seinen Kollegen an, denn der müsste wissen, ob vorhin Nöthe und Frau Weilham ihn erreichen konnten. Gib wenigstens ein Zeichen Hansi! Er tat es tatsächlich, nickte kurz, nur für Remsen wahrnehmbar. Sein Grinsen im Mundwinkel signalisierte, dass er erkannte, in welche Situation sich Remsen selbst manövrierte. Der spekulierte und versuchte seine Wissenslücken vom Nachmittag zu überbrücken. Immerhin verfügte Ulrich von Nöthe Informationen aus erster Hand. Hätte Remsen geahnt, dass Nöthe nichts zu vermelden hatte und Ulrich auch nicht mehr als er wusste, wäre er sicher forscher vorgegangen.
„Meist am frühen Abend. Er schaut gerne die Sportschau und verfolgt die Bundesliga. Wird wohl bald hier sein; seine Bayern müssten heute wieder dran sein.“
„Nah dran, die spielen erst morgen gegen Nürnberg.“ Ulrich strahlte. In der Bundesliga kannte er sich auch; hatte ihm doch sein alter Herr zum Eintritt zum 50. ein Jahres Abo von dem Pay TV Sender geschenkt, der alle Spiele live überträgt. Seitdem ist Hanns-Peter ein wandelnder Statistiker.
Remsen war beeindruckt. Ja, gelegentlich schaute auch er Fußball. Seit St. Pauli wieder oben mitspielt, interessierte er sich etwas mehr dafür. „Könnte also noch etwas dauern?“
Das Gespräch war seltsamerweise ins Stocken geraten. Bisher wissen sie nur, dass ein Firmenwagen der CodeWriter gestern in den Unfall verwickelt war. Und dass die Insassen ermordet wurden. Mehr erzählten sie der Weilham auch nicht, man weiß ja nie. Wie es aussah, hielt Nöthe dicht und zerstörte nicht gleich mit einem Anfängerfehler die übliche Vernehmungstaktik.
„Frau Weilham, wir müssen noch mal auf ihren Sohn zurückkommen. Wissen Sie, ob er gestern unterwegs war, wo er jetzt ist? Wir müssen auch ihn vernehmen.“
„Das sollte kein Problem sein, er eigentlich ist er mit Eva und Paul zu Hause. Heute bei dem Wetter macht es draußen ohnehin keinen Spaß. Die wohnen zwei Straßen weiter unten. Ich kann ja mal anrufen…“
„Nein, nein – wir gehen dort gleich mal vorbei.“
Remsen liebte Überraschungseffekte, denn sie brachten ihm Vorteile. Gerade bei der Erstvernehmung kommt es darauf an, dass für die Betroffenen keine Zeit der Vorbereitung blieb. Selbst wenn der Befragte wenige Minuten Zeit fand, sich auf Vernehmungen einzustellen, könnten die Ermittlungen unendlich lange dauern. So seine Erfahrungen, auf die er auch dieses Mal bauen würde.
„Könnten Sie aber bitte noch meine Frage beantworten?“ Remsen war nicht gerade ein geduldiger Mensch und Frau Weilham war nur bedingt auskunftsfreudig, weshalb sie erneut die Abwehrhaltung einnahm. „Welche meinen Sie denn? Wo er gestern war oder wo er sich jetzt aufhält?“
Bevor Remsen in die Luft gehen konnte, kam ihm Ulrich zuvor: „Beide bitte, wenn es keine