Was der Prinz sonst noch teils mitbrachte, teils durch Leutnant von Ingersleben überbringen ließ, wurde Monate später protokollarisch festgehalten:
Ein Schlafrock „von bleumourantem Gros de Tour“, mit silberner Kante eingefasst, dazu ein Geldgeschenk von 11 Dukaten zum Aufarbeiten des - von Friedrich abgetragenen - Stücks. Doris kaufte von dem Geld eine Garnitur Kanten, eine silberfarbige Palatine und einen Latz. Das Unterfutter aus blauem Taft trennte die Mutter heraus und nähte daraus ein Nachthemd für Doris.
Eine grüne Contouche (Nachtgewand) mit darauf gestickten Blumen. Auch dies war von Friedrich getragen - woraus wir übrigens schließen können, dass Doris nicht größer als der Prinz war, der 1,63 Meter maß. „Schon ganz alt [und] aufgeschlagen“, hieß es über das Gewand in den Akten.
Ein paar Armbänder aus mit Gold eingefasstem Perlmutt.
Etwa 7 Ellen orangefarbiges Band mit Silber, das Friedrich selbst aus Sachsen mitgebracht hatte.
Katte, der Doris nie zu Gesicht bekam, äußerte sich während seines Prozesses später schriftlich über das Verhältnis der Beiden: „Ich erinnere mich, dass er ... von einem Mädchen sprach, das er in Potsdam hatte, das er sehr liebte, besagte Kantorstochter, vielleicht ist sie es, für die er sich durch häufige Zuwendungen aus eigener Tasche finanziell schröpfte. Ich habe sie nie gesehen und er hat mir nur eilt Mal davon erzählt - vor seiner Abreise, als er seine Abwesenheit bedauerte.“ (Brief an Grumbkow, 31.8.1730. Original französisch, von der Verf. übers.) Voltaire hingegen, der von 1750-1753 am preußischen Hof lebte, nennt Doris in seinen Memoiren „eine Art Mätresse“ und meint: [Friedrich] „glaubte in sie verliebt zu sein, doch er täuschte sich, diese Neigung hatte nichts Geschlechtliches an sich.“
Fest steht allerdings: niemals mehr verkehrte Friedrich der Große so unmittelbar in bürgerlichen Kreisen. Und niemals mehr wählte er sich eine Vertraute oder gar Mätresse aus diesem Stand. Die Beziehung zu Doris Ritter blieb etwas Einmaliges und Einzigartiges in seinem Leben.
Immer wieder ist in der Literatur von einem ominösen Medaillon die Rede, das Kronprinz Friedrich unter seiner Kleidung versteckt um den Hals getragen habe und das ein Miniaturporträt von Doris Ritter enthalten haben soll. Es sei ihm nach der missglückten Flucht weggenommen worden; die Freundschaft zu der jungen Potsdamerin sei dadurch erst ans Licht gekommen.
Eine rührende Geschichte, nur lassen sich dafür - zumindest nach heutigem Stand der Dinge - keinerlei Beweise finden. In den noch erhaltenen Akten und Protokollen wird nichts dergleichen erwähnt, doch sind andererseits etliche Dokumente abhanden gekommen, die sich mit Hans Hermann von Kalte, Dorothea Elisabeth Ritter und anderen Personen aus Friedrichs Umfeld von 1730 befasst haben.
Beweisbar ist jedoch die Reise des Kronprinzen zu einem Manöver in Sachsen, die zwischen dem 28. Mai und dem 24. Juni stattfand. Wir dürfen mit hoher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Friedrich seiner Vertrauten anschließend ausführlich darüber berichtet hat, denn trotz aller aufregenden Ereignisse fand er noch Zeit, für Doris ein Geschenk zu besorgen, dass er ihr persönlich überbrachte. Es handelte sich, wie oben bereits erwähnt, um „etwa 7 Ellen orangefarbiges Band mit Silber“, also eine Kostbarkeit von außergewöhnlicher Farbe.
Das von den Teilnehmern „Lustlager“ genannte Treffen bot jedoch nicht nur den Militaristen unter ihnen viel für Auge und Ohr. Alle Gäste wohnten in rasch errichteten, komfortablen Häusern mit Ziergärten. Für den preußischen König, der als besonders reinlich bekannt war, und seine Begleitung wurde eine extra große Anzahl Badezuber in die Ausstattung mit einbezogen. In den benachbarten Dörfern wurde das leibliche Wohl Aller garantiert; allein 160 Bäcker - die meisten davon aus Dresden — arbeiteten rund um die Uhr. Sie fabrizierten unter anderem einen Stollen von rekordverdächtigen Ausmaßen. Zwanzig Zentner Mehl, 5000 Eier und 326 Eimer Milch wurden dafür benötigt, ein riesiger Backofen eigens hierfür gebaut. Ein Gespann von acht Pferden zog das Kunstwerk ins Lager, wo es zerschnitten und verteilt wurde.
Außer den kulinarischen Genüssen konnten sich die Gäste auch Theateraufführungen, Konzerten, Balletten und Feuerwerks-Illuminationen widmen. Die Flotte König Augusts hatte auf der Elbe Anker geworfen. Was Rang und Namen hatte, war erschienen, um bei der Heerschau des Sachsen seine Macht und militärische Leistung zu würdigen.
Und vor dieser großartigen Kulisse musste sich Kronprinz Friedrich wieder einmal demütigen lassen. In aller Öffentlichkeit, in Gegenwart tausender Zuschauer, verprügelte ihn sein Vater, der König, aus nichtigem Anlass. Mit zerrissenen Gewändern und ramponierter Frisur hinkte der junge Mann vom Manövergelände fort.
Schon länger hatte sich Prinz Friedrich mit dem Gedanken getragen, sich dem Konflikt mit dem Vater durch Flucht ins Ausland zu entziehen. In jenem Sommer 1730 wurde die Sache schließlich konkret. Als nächste Unternehmung nach dem sächsischen „Lustlager“ sollte eine Rundreise durch Deutschland stattfinden. Während dieser Reise an der Seite seines Vaters gedachte Friedrich mit seinen Freunden Keith und Katte nach England zu fliehen, wo sein Onkel Georg II. regierte. Doris Ritters Reaktion, als sie von jener Aktion und ihrem gründlichen Missglücken erfuhr, legt nahe, dass sie in die Pläne des Kronprinzen nicht eingeweiht war (vielleicht wollte er die Freundin nicht unnötig kompromittieren, vielleicht war er sich der Diskretion der Familie Ritter nicht sicher). Schon gar nicht wollte hier ein liebendes Paar miteinander durchbrennen: Friedlich hatte unter den Augen von Mutter und Schwester geschworen, keine andere als seine Cousine Amelia zur Frau nehmen. Und die lebte in England, dem Ziel seiner jugendlichen Träume.
Am 15. Juli 1730 brach König Friedrich Wilhelm in Begleitung seines Sohnes zu einer Reise in den Westen des Reiches auf. Die für unterwegs geplante Flucht stand unter keinem guten Stern: Katte halte keinen Urlaub bekommen und musste mitsamt der Reisekasse daheim ausharren. Überhaupt war das ganze Unternehmen schlecht vorbereitet. Im letzten Augenblick - sein Pferd stand schon bereit - wurde Prinz Friedrich von aufmerksamen Offizieren an seinem Vorhaben gehindert. Der Vater behandelte ihn wie einen Deserteur und ließ den Thronfolger erst nach Wesel, dann als Gefangenen in die Festung Küstrin bringen. (Siehe auch das Kapitel „Freundschaft bis zum Tod“)
Auch im Umfeld des Prinzen gab es zahlreiche Festnahmen. Johann Ludwig von Ingersleben wurde verhaftet und musste die Geschehnisse der vergangenen Wochen genauestens rekapitulieren. Dabei fiel der Name Doris Ritter. Am 1. September marschierte eine Bürgerwacht unter Leitung eines Unteroffiziers zur Wohnung der Familie und verhaftete das Mädchen. Doris wurde in eine Arrestzelle gesteckt, die sich im Rathaus befand, und dort mehreren Verhören unterzogen. Aus einem Brief, den der englische Gesandte Melchior Guy Dickens am 25.9. 1730 von Berlin aus nach London schickte, wissen wir auch, dass König Friedrich Wilhelm einen Militärchirurgen und eine Hebamme zu Doris schickte. Sie musste eine demütigende ärztliche Untersuchung über sich ergehen lassen, die beweisen sollte, dass sie mit Kronprinz Friedrich „Unzucht“ getrieben hatte. Doch das Mädchen erwies sich als intakte Jungfrau.
An dieser Stelle muss hinterfragt werden, weswegen dem König gerade dieser Punkt so wichtig erschien. Gewiss, er war selbst ein Mensch, der streng auf Moral achtete und einer der wenigen Fürsten seiner Zeit, der sich nie eine Mätresse hielt. Auch stand unehelicher Geschlechtsverkehr sowie lediges Muttersein gesetzlich unter Strafe. Aber die Realität sah doch oft etwas anders aus. So duldete der „Soldatenkönig“ stillschweigend die eheähnlichen Verhältnisse derjenigen Grenadiere, die zu wenig Sold bekamen, um eine Familie ernähren zu können und daher nicht heiraten konnten. Über das Kind der Gräfin Orzelska, das vermutlich von Friedrich stammte, regte er sich ebenso wenig auf wie über eine Affäre, die 1731 stattfinden würde: Während seiner Zeit in Küstrin verliebte sich der Kronprinz heftig in die Baronin Luise Eleonore von Wreech, die mit 23 Jahren bereits fünffache Mutter war. Als am 27. 5. 1732 die kleine Friederike (!) geboren wurde, war es ein reines Rechenexempel, Friedrich die Vaterschaft nachzusagen. In einem Brief meinte