»Wow. Das geht ja fix. Hältst du um ihre Hand an?« Tobias kicherte wie ein Schulmädchen.
»Nein, er hat mich zum Abendessen eingeladen. Der Fahrer kommt um sechs und ich muss noch duschen.« So, Tobias, jetzt denk nach.
»Moment. Vater? Abendessen? Fahrer? In was für eine Welt tauchst du denn gerade ab?«
»So richtig geheuer ist mir das auch noch nicht ... Ich habe ziemlich komische 48 Stunden hinter mir, das glaub mal ...«
Magnus fasste die Ereignisse der letzten zwei Tage so gut es ging zusammen und hoffte, nichts Wichtiges vergessen zu haben. Tobias war verstummt.
»Bist du noch da?«
»Ja. So gerade eben noch. Du willst mir jetzt nicht ernsthaft erzählen, dass du die Victoria Berg datest, sie unsere hochverehrte Frau Bundeskanzlerin für dich warten lässt, ihr Vater dich zum Abendessen einlädt und du hast sie noch nicht mal geküsst?«
»Doch.«
»Mann, Mann, Mann ... Was ist aus dir geworden?«
»Was meinst du eigentlich mit die Victoria Berg?«
»Hast du die etwa nicht gegoogelt bis jetzt? Mensch, Magnus ...«
»Nein, warum sollte ich?«
»Nach allem was ich über sie weiß, ist sie übelst reich, also wirklich übelst. Allein die Firma hat eine Bilanzsumme über einer Milliarde. Außerdem wird gemunkelt, dass sie sich aus einer Steueraffäre rausgekauft, mit ihrem Doktorvater geschlafen und ein Verhältnis mit Scheich Hakim bin Mohammed Al Hazim hat.«
»Hm. Das mit der Steueraffäre ist mir neu, traue ich ihr aber prinzipiell erst mal nicht zu. Was vor meiner Zeit war, soll mir egal sein und das mit Hakim hat sich erledigt.«
»Sicher?«
»Ich vertraue ihr.«
»Hast du bei Ilona auch. Ich würde sie an deiner Stelle gleich darauf ansprechen und sehen wie sie reagiert.«
»Ich bin allein mit ihrem Vater verabredet. Sie ist in Dubai, bei Hakim. Hab ich das nicht erwähnt?«
»Sag mal Magnus, hörst du dir eigentlich selber zu? Bist du so naiv oder tust du nur so?«
»Tobias, was soll das?«
»Klar, die ist wahrscheinlich ›beruflich‹ in Dubai. Und ihr Vater will dich ›nur mal kennenlernen‹. Du bist so unbedarft ...«
»Unbedarft genug zu glauben, du wärst mein Freund. Tobias, für mich ist das Gespräch an dieser Stelle beendet. Ruf an, wenn du wieder normal bist.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, legte Magnus auf, warf das Handy auf die Kommode und ging ins Bad.
Es tat weh. Er hielt Tobias für seinen besten Freund und hatte eigentlich erwartet, dass er ihm den Rücken stärkte. Das Gegenteil war passiert. Ihm lief das warme Wasser wohlig über den Kopf und die breiten Schultern, als ihm bewusst wurde, dass sich sein Leben verändert hatte. Anders, als erwartet, aber er konnte deutlich die Zäsur erkennen. Fragte sich nur, ob Tobias am Ende des Tages noch Teil davon bliebe oder nicht.
Sechs Minuten vor sechs. Magnus kam aus dem Fünfzig-Parteien-Haus und sah sich um. Niemand da, zumindest niemand, der offensichtlich auf ihn wartete. Ein paar Teenager lungerten herum, schubsten einander durch die Gegend und nahmen keine Notiz von ihm, auch wenn Magnus in seinem Auftreten völlig deplatziert wirkte. Moritz hatte ihn gestern hier abgesetzt und versucht, ihn zu motivieren. Während seiner Studienzeit hatte er wohl eine finanzielle Krise erlebt, als er unabhängig vom Namen »von Eschberg« durch die Welt ging und er musste in ähnlichen Verhältnissen gewohnt haben. Was ihm aber nicht aus dem Kopf wollte, war die Tatsache, dass beide zur ungefähr gleichen Zeit mit dem Studium fertig gewesen waren und er selbst immer noch beziehungsweise erneut so lebte. Als sie sich verabschiedeten, schloss Moritz mit den Worten: »Magnus und Victoria. Der Große und die Siegerin. Den Mutigen gehört die Welt!«
Magnus und Victoria. Es klang zu schön, um wahr zu sein. Andererseits – was ließ ihn plötzlich, nach diesem zwielichtigen Telefonat mit Tobias, zweifeln?
Nichts mehr.
Denn in diesem Moment tauchte ein Wagen auf. Schwarze Limousine. Kennzeichen ESC-WE-2. Ein Mercedes S65 AMG. Noch ein Traumauto. Magnus kniff sich kurz, rief sich innerlich zur Beherrschung und winkte dem Fahrer zu.
Der stieg aus, schritt um das Fahrzeug und öffnete die Tür im Fond. »Guten Abend, Herr Dr. Brandt. Dr. Engwald schickt mich. Wenn ich bitten darf?«
»Guten Abend. Ja, vielen Dank.« Magnus stieg ein und schnallte sich an, bereit, wieder in diese fremde Welt »abzutauchen« wie Tobias es nannte.
Wenige Minuten später hatten sie die Stadt durchquert und fuhren bergauf, in die Richtung, in die auch Victoria am Montagabend gefahren war. Ob sie vielleicht an ihrem Haus vorbeikämen? Aber wie sollte er es erkennen? Eigentlich war es auch egal. Sein Handy klingelte. Anna.
»Hey, Schwesterherz, ich bin grad busy. Ist es dringend?«
»Nur kurz, ich besuche morgen Mama und Papa und habe überlegt, ob ich danach bei dir rumkommen soll? So gegen sechs?«
»Gern. Adresse hast du?«
»Hab ich. Ich bring Henry mit!«
»Super. Bis morgen dann!«
Für den Abend mit Victorias Vater schaltete er das Handy in den Schlafmodus. Gut, dass Anna jetzt angerufen hatte, beim Essen wäre es ihm peinlich gewesen. Wo war er nur mit seinen Gedanken?
Bei Victoria. Wo sonst.
»Herr Dr. Brandt, wir sind da.« Der Chauffeur fuhr in eine Sackgasse, hielt kurz vor einer Natursteinmauer mit schmiedeeisernen Toren. Das breitere Tor öffnete sich und sie fuhren hindurch, ein paar Meter. Ehe sich Magnus versah, hatten sie angehalten, der Fahrer war wieder um das Auto gelaufen und hielt ihm die Tür auf.
»Danke sehr.« Magnus stieg aus und sah sich um. Vereinzelt konnte er ausmachen, dass sich am Ende der Einfahrten in diesem Viertel ein paar Villen befanden, ähnlich wie die, auf die er sich gerade zubewegte.
Doch bevor er zu Ende denken konnte, öffnete sich die Tür des Gründerzeitanwesens, das ähnlich beleuchtet war, wie das Landhaus von Moritz und Elisabeth. Zwei Hunde schossen ihm entgegen und wedelten fröhlich mit dem Schwanz.
»Justus, Jonas, zurück!«, rief der ältere Herr, der in der Tür stand. Die Hunde gehorchten. »Keine Angst, die sind lieb. Nur etwas neugierig!«
»Guten Abend, Herr Dr. Engwald. Was für eine Begrüßung.« Magnus grinste und schüttelte die ausgestreckte Hand.
»Schön, Sie zu sehen. Kommen Sie doch bitte rein. Und stolpern Sie nicht über die beiden Tollpatsche ...« Wilhelm Engwald lachte und führte Magnus in den Wohnbereich. Justus und Jonas folgten ihnen und legten sich auf Befehl in ihre Körbchen.
»Eigentlich sind sie sehr gehorsam. Nur, wenn Besuch kommt, geraten sie außer Rand und Band.«
»Schon in Ordnung. Ist ja nichts passiert«, beschwichtigte ihn Magnus. Was hatte Moritz über Wilhelm Engwald gesagt? Die Blaupause zu Victoria. Eindeutig. Er entschuldigte sich für Dinge, die nicht passiert waren, hatte diese warme, herzliche Art und definitiv dieselben Augen wie sie.
Wilhelm Engwald war fast so groß wie Magnus und für sein Alter wirkte er agil, sportlich. Eine gepflegte Erscheinung. Etwas anderes hatte Magnus allerdings auch nicht erwartet.
Victorias Vater fasste ihn bei der Schulter und sah ihn an.
»Ich habe mir das mit der Duzerei von meiner Tochter abgeschaut. Ich bin Wilhelm.« Er hielt Magnus erneut die Hand hin und lächelte.
»Sehr erfreut. Magnus.«
»Fein. Dann können wir ja essen. Es gibt Rehrücken ...« Wilhelm wies Magnus an den Tisch und setzte sich über Eck zu ihm. »Rotwein?«
»Da