Jenseits der Zeit - Historischer Mystery-Thriller. Michael Vahlenkamp. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Vahlenkamp
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753180083
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Gedichtbände und Reiseberichte. Seine Vorliebe galt den Geschichten. So wurde er eher aufmerksam, als er die »Geschichte des Agathon« von Christoph Martin Wieland entdeckte. Dann sah er ein Buch, von dem er schon gehört hatte und das er gerne einmal lesen würde: »Gullivers Reisen« von Jonathan Swift. Ohne nachzudenken, griff er zu und zog es aus dem Regal.

      »Halt, halt, bitte nicht!«, sagte von Elmendorff und bewegte seine Leibesfülle erstaunlich schnell zu ihm herüber. »Lass mich das bitte machen.«

      Doch Jacob blätterte bereits in dem Buch und erfreute sich an einigen Formulierungen, die er beim Überfliegen aufschnappte.

      »Du magst Abenteuer, ja? Wie wäre es dann hiermit?« Von Elmendorff zog ein Buch heraus, das ein paar Plätze neben der Lücke stand, die »Gulliver« hinterlassen hatte. »Miguel de Cervantes Saavedras amüsante Geschichte eines Möchtegernritters.«

      Jacob las »Don Kichote de la Mantzscha« auf dem Buchdeckel. Das berühmte Werk, das es bereits so lange gab. Doch von Elmendorff stellte es schon wieder zurück.

      »Oder das hier?« Jetzt zog er ganz vorsichtig ein kunstvoll verziertes Buch heraus, und als er es aufschlug, sah Jacob detaillierte Kupferdrucke zwischen dem Text. »‚Robinson Crusoe‘ von Daniel Defoe, eines meiner Lieblingswerke. Aber wir wollen unsere deutschen Meister nicht vergessen.« Er stellte »Defoe« ins Regal zurück und ging zu der Stelle, wo Jacob den ersten Titel gelesen hatte. »Unser Friedrich Schiller hat uns schließlich ‚Kabale und Liebe‘ geschenkt. Das hier ist die Erstausgabe von 1784.« Stolz schwang in seiner Stimme mit. Doch das Buch stellte er schon wieder zurück und entnahm ein weiteres. »Aber allem voran natürlich ‚Die Leiden des jungen Werther‘«

      »Goethe«, rief Jacob. Sein Vorbild! Er steckte schnell »Gulliver« an seinen Platz und eilte zu von Elmendorff, der ihm schmunzelnd das Meisterwerk überließ.

      Herold, dessen Anwesenheit gar nicht mehr zu bemerken gewesen war, räusperte sich.

      »Herr von Elmendorff, darf ich zu dem Anlass unseres Besuches kommen?«, fragte er.

      »Aber natürlich, erzählt mir, wie ich zu der Ehre komme, die erwachsenen Söhne meines alten Freundes kennenzulernen.«

      Von Elmendorff ging wieder zu seinem Sessel zurück und ließ sich hineinplumpsen. Mit einer Handbewegung bot er Herold einen Platz auf einem Stuhl an. Herold setzte sich.

      Jacob stellte fest, dass der »Werther« drei Mal im Regal stand. Warum kaufte sich jemand das gleiche Buch mehrfach?

      »Wir betreiben die Nordmühle«, fing Herold an zu erzählen und von Elmendorff nickte, als wusste er das bereits. »Vor einigen Tagen wurde sie zerstört, ohne unser Verschulden. Wir verdächtigen zwei Männer, mit denen wir einen Streit hatten, können aber nichts beweisen. Die Stadt Oldenburg, der die Mühle gehört, hat uns auferlegt, sie zu reparieren, aber weiterhin müssen wir den Pachtzins zahlen. Deshalb suchen wir einen Geldgeber. Ich erinnerte mich an Sie und dachte, dass Sie vielleicht interessiert wären.«

      Ein Klopfen ließ, obwohl es leise war, die Glasscheiben in der Tür erzittern. Von Elmendorff bat einzutreten und die Haushälterin kam mit einem gefüllten Tablett in die Bibliothek.

      »Warum glaubst du, dass ich daran interessiert sein könnte?«, fragte von Elmendorff.

      »Es wäre ein gutes Geschäft für Sie. Das Geld erhalten Sie mit Zinsen zurück. Und wir können auch noch über eine Gewinnbeteiligung reden«, antwortete Herold.

      Die Haushälterin deckte das Tischchen mit einer Kaffeekanne, drei Porzellantassen, Behältern mit Milch und Zucker, kleinen Löffeln sowie einem Teller mit Gebäck.

      »Hm, ein gutes Geschäft, sagst du.« Von Elmendorff linste zu dem Gebäckteller. »Aber gute Geschäfte mache ich zu Hunderten und fast alle sind weniger riskant, als dieses wäre. Wie ist denn sichergestellt, dass ich mein Geld überhaupt zurückbekomme, geschweige denn die Zinsen oder eine Gewinnbeteiligung?«

      Jacob stellte den »Werther« ins Regal zurück und setzte sich an den Tisch, um sich dem Kaffee zu widmen, den die Haushälterin in die Tassen goss. Anschließend ließ sie die Männer wieder allein.

      Herold schilderte von Elmendorff seinen Plan, so wie er ihn schon Jacob geschildert hatte. Nur die Zeichnungen konnte er nicht anfertigen, da er Papier und Tinte nicht zur Verfügung hatte. Aber Jacob hatte den Eindruck, dass von Elmendorff, der sich außerordentlich an dem Gebäck gütlich tat, trotzdem gut verstand, worum es ging. Die Kekse fand Jacob auch sehr köstlich, vom Kaffee war er enttäuscht - er hatte ihn weitaus leckerer in Erinnerung, vielleicht gab es da aber Unterschiede.

      Nachdem Herold seine Pläne erläutert hatte, trat ein kurzes Schweigen ein.

      »Euer Vorhaben leuchtet mir ein.« Der Herr des Hauses nahm einen Schluck Kaffee und griff zum nächsten Keks, der einseitig mit Schokolade überzogen war. »Das ist ein wirklich guter Plan. Geradezu genial. Ich verstehe ein wenig von diesen technischen Dingen. Und ich teile deine Einschätzung, dass ihr in Zukunft eure Einnahmen mit der Erweiterung der Mühle vergrößern werdet.« Er biss von dem Keks ab und betrachtete ausgiebig die Bissstelle. »Doch es gibt da ein paar Sachen, die ich noch nicht so richtig verstanden habe. Zum einen: Warum müsst ihr den Aufbau einer Mühle finanzieren, die doch nicht euer Eigentum, sondern das der Stadt Oldenburg ist?« Den Rest des Kekses steckte er sich als Ganzes in den Mund.

      »Wir waren beim Ratsherrn von Zölder ...«, setzte Herold an.

      »Ach, bei dem Zölder wart ihr!« Von Elmendorff lehnte sich im Sessel nach vorn, wodurch die Belastungsprobe der Westenknöpfe auf ein Maximum erhöht wurde. Noch hielten sie, aber Jacob konnte sie fast stöhnen hören.

      »Ja«, fuhr Herold offenkundig leicht irritiert fort. »Der Ratsherr macht uns für die Zerstörung verantwortlich und sieht uns in der Pflicht die Mühle wieder aufzubauen.«

      Herold gab eine kurze Zusammenfassung der Unterredung mit von Zölder. Währenddessen wurde die Miene von Elmendorffs immer grimmiger und er vergaß sogar die Kekse.

      »Aber das braucht ihr so nicht stehen zu lassen«, schimpfte er dann. »Wendet euch an Peter Friedrich Ludwig. Das ist ein gerechter Mann. Oder zumindest an den Bürgermeister. Ich würde euch dabei unterstützen.«

      Herold zog die Stirn in Falten und sah zu Boden. Seine unverkennbare Grüblergeste. Jacob wusste, was in ihm vorging.

      »Wenn Sie uns diesen Vorschlag vor sechs Tagen gemacht hätten, wäre mein Bruder sicherlich sofort darauf eingegangen. Doch jetzt möchte er seinen genialen Einfall in die Tat umsetzen. Die Mühle ist sein Ein und Alles, auch wenn sie ihm nicht gehört.«

      Herold sah wieder auf.

      »Ja, aber es ist nicht nur deswegen«, sagte er. »Die Mühle wird durch den Umbau schließlich zukünftig einen höheren Ertrag einbringen. Das haben Sie selber gerade gesagt.«

      »Hmm, ... in Ordnung, kommen wir damit zu meiner nächsten Frage: Warum glaubst du, dass man dir den Ertrag lassen wird? Dadurch, dass du die Mühle umbaust, gehört sie immer noch nicht dir.«

      »Der Ratsherr hat gesagt, wir sollen die Mühle wieder aufbauen, wie es uns beliebt. Es sei ihm egal, wie wir das anstellen. Wir nehmen ihn beim Wort, handeln also nach seinen Anweisungen. Dafür kann er uns doch nicht die Pacht erhöhen.«

      »Oh, er kann so einiges. Nehmt euch vor diesem Mann in acht. Er ist so verschlagen, dass er sicherlich einen Weg finden wird, euch das Geld abzunehmen.«

      Von Elmendorff nahm sich wieder einen Keks und lehnte sich im Sessel zurück. Anders als vorher biss er immer nur ein kleines Stück ab, mümmelte darauf herum und starrte ins Leere. Das war dann wohl seine Art, über etwas nachzudenken.

      Schließlich sah er Jacob und Herold abwechselnd an.

      »In Ordnung. An welche Summe habt ihr denn gedacht?«

      Herold machte einen verlegenen Eindruck, da er nun den Betrag nennen sollte.

      »Nun, ja, wir haben ausgerechnet, dass wir etwa 90 Reichstaler bräuchten, um uns und die Arbeitskräfte