Der Lärm den die jungen Mädchen machten, gestattete mir, Herrn Franklin unbemerkt ein Wort in der Vorhalle zu sagen.
»Haben Sie den Diamanten unversehrt bei sich, Herr Franklin?«
Er nickte und klopfte dabei auf die Brusttasche seines Rockes.
»Haben Sie irgend etwas von den Indiern gesehen?«
»Nicht die Spur« Nach dieser Antwort fragte er nach Mylady und ging, als er hörte daß sie in dem kleinen Wohnzimmer sei, geradeswegs dahin. Er konnte noch keine Minute im Zimmer gewesen sein, als es klingelte, und Penelope beordert wurde, Herrn Franklin zu sagen, daß Fräulein Rachel ihn zu sprechen wünsche.
Als ich ungefähr eine halbe Stunde später durch die Halle ging, ward ich plötzlich durch lautes, aus dem kleinen Wohnzimmer hervor dringendes Geschrei zum Stehen gebracht. Das Geschrei konnte mich durchaus nicht beunruhigen, denn ich erkannte in demselben alsbald das beliebte große Oh des Fräulein Ablewhite. Gleichwohl ging ich unter dem Vorwande, mir eine Ordre in Betreff des Mittagessens zu erbitten, in’s Zimmer, um herauszufinden, ob wirklich irgend etwas Ernstes vorgefallen sei.
Da stand Fräulein Rachel am Tisch, wie von einem Zauber gebannt, den unseligen Diamanten des Obersten in der Hand. Und zu ihren beiden Seiten knieten die beiden »Dragoner,« die den Edelstein mit den Augen verschlangen und in Ekstase ausbrachen, so oft der Stein in einer neuen Farbe spielte. An der andern Seite des Tisches stand Herr Godfrey, klaschte in die Hände wie ein großes Kind und lispelte einmal über das andere: »Köstlich, köstlich!« Auf einem Stuhl neben dem Bücherschrank saß Herr Franklin, zupfte sich am Bart und blickte ängstlich nach dem Fenster hin. Der Gegenstand seiner Aufmerksamkeit aber war Mylady, die, den Auszug aus dem Testament des Obersten in der Hand, am Fenster stand und der ganzen Gesellschaft den Rücken zukehrte. Sie maß mich, mit den Augen, als ich um meine Ordres bat, und ich sah das der Familie eigenthümliche Zusammenziehen der Brauen über ihren Augen und die Familienlaune in ihren Mundwinkeln zucken. »Kommen Sie in einer halben Stunde zu mir in in mein Wohnzimmer,« antwortete sie, »ich habe Ihnen dann etwas zu sagen.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer. Es war klar, daß sie durch dieselbe Schwierigkeit betroffen gemacht wurde, welche Herrn Franklin und mir bei unserer Beratung am Zitterstrand bereits so viel Kopfbrechen verursacht hatte. Mußte sie in dem Vermächtnisse des Mondsteins einen deutlichen Beweis dafür erkennen, daß sie ihren Bruder mit grausamer Ungerechtigkeit behandelt habe? Oder war dies Vermächtniß ein Beweis, daß die Schlechtigkeit seines Charakters noch ihre schlimmsten Erwartungen übertroffen habe? Das waren schwierige Fragen, welche Mylady entscheiden sollte, während ihre Tochter ohne von dem Charakter des Obersten irgend etwas zu wissen, das Geburtstagsgeschenk desselben in der Hand, unbefangen dastand.
Ich war im Begriff das Zimmer zu verlassen, als Fräulein Rachel, die immer gegen den alten Diener, der schon im Hause gewesen, als sie geboren wurde, freundlich und rücksichtsvoll war, mich zurückhielt. »Sehen Sie nur, Gabriel!« sagte sie, und ließ den Diamanten vor meinen Augen im Sonnenlicht spielen.
Da sah ich den Diamanten leibhaftig vor mir, so groß, oder doch beinahe so groß wie ein Möwen-Ei! Der Stein strahlte wie das Licht des Vollmonds. Wenn man in den Diamanten hineinblickte, so wurden die Augen von einem tiefen Gelb so mächtig angezogen, daß sie nichts Anderes zu sehen vermochten. Dieser kleine Stein, den man zwischen Zeigefinger und Daumen halten konnte, schien unermeßlich tief wie der Äther. Wir legten ihn in die Sonne und machten dann das Zimmer dunkel; da erhellte er dasselbe mit seinem wunderbar geisterhaft mondartigen Licht. Kein Wunder, daß Fräulein Rachel wie von einem Zauber gebannt war und daß ihre Cousinen laut aufschrien. Der Diamant machte auf mich selbst einen solchen Eindruck, daß ich in ein ebenso gewaltiges »Oh!« ausbrach, wie die Dragoner. Der einzige unter uns, der seine Fassung behielt, war Herr Godfrey. Er schlang seine Arme um seine beiden Schwestern und sagte, indem er mitleidig zwischen dem Diamanten und mir hin- und herblickte: »Kohlenstoff, Betteredge! nichts als Kohlenstoff, lieber Freund.«
Er wollte vermuthlich meine Kenntnisse vermehren. Die Wirkung seiner Anrede war jedoch nur, daß ich mich des Mittagsessens erinnerte. Ich begab mich daher zu meiner Aufwärter-Armee hinunter. Noch in der Thür hörte ich, wie Herr Godfrey sagte: »Der gute alte Betteredge! Ich habe die größte Achtung für ihn!« Während er mir dieses ehrende Zeugnis; ausstellte, umarmte er seine Schwestern und liebäugelte mit seiner Cousine. War das Herz dieses Jünglings nicht offenbar eine unerschöpfliche Quelle von Liebe? Neben ihm erschien Herr Franklin wie ein Barbar.
Nach Verlauf einer halben Stunde stellte ich mich, wie mir befohlen, in Mylady’s Wohnzimmer ein. Die Unterhaltung meiner Herrin mit mir hatte ungefähr denselben Inhalt wie die zwischen Herrn Franklin und mir bei dem Zitterstrand geführte, mit dem Unterschied, daß ich meinen Rat in Betreff der Jongleurs dieses Mal für mich behielt, da ich fand, daß es durch Nichts gerechtfertigt sein würde, wenn ich Mylady in dieser Beziehung beunruhigen wollte. Als ich wieder entlassen wurde, war mir klar, daß sie die schlimmsten Motive bei dem Obersten voraussetzte, und daß sie entschlossen sei, den Mondstein bei der ersten Gelegenheit wieder aus dem Besitz ihrer Tochter zu bringen.
Auf dem Rückwege nach meinem Zimmer begegnete mir Herr Franklin. Er wollte wissen, ob ich irgend etwas von seiner Cousine Rachel gesehen habe. Ich hatte aber Nichts von ihr gesehen. Ob ich ihm sagen könne, wo sein Vetter Godfrey sei? Das wußte ich nicht, aber ich fing an zu argwöhnen, daß Vetter Godfrey nicht weit von Cousine Rachel sein werde. Offenbar waren Herrn Franklin’s Gedanken auf derselben Fährte. Er zupfte an seinem Bart, ging dann in das Bibliothekzimmer, wo er die Thür hinter sich verschloß, nachdem er sie in einer höchst ausdrucksvollen Weise hinter sich zugeschlagen hatte. Ich wurde nun nicht mehr in meinen Vorbereitungen für das Geburtstag-Diner unterbrochen, bis es Zeit für mich war, mich für den Empfang der Gäste festlich zu schmücken.
Als ich eben meine weiße Weste angezogen hatte, erschien Penelope bei meiner Toilette unter dem Vorwande, mir einige noch etwa auf meinem Rocke befindlichen Härchen abzubürsten und die letzte Hand an die Schleife meiner weißen Cravatte zu legen. Meine Tochter war sehr aufgeräumt, und ich merkte daß sie mir Etwas zusagen habe. Sie küßte mich aus meinen kahlen Schädel und flüsterte mir zu: »Ich habe Neuigkeiten für Dich, Vater! Fräulein Rachel hat seinen Antrag abgelehnt.«
»Wessen Antrag?« fragte ich.
»Des Damen-Comitée-Mannes, Vater!« antwortete Penelope. »Ein widerwärtiger Schleicher, ich hasse ihn, weil er es versucht hat, Herrn Franklin aus dem Sattel zu heben.«
Hätte ich zu Worte kommen können, so würde ich gewiß gegen diese unehrerbietige Art, über einen so ausgezeichneten Philantropen zu sprechen, Protest erhoben haben. Aber meine Tochter war gerade in dem Augenblick mit der Schleife meiner Cravatte beschäftigt und die ganze Gewalt ihrer Gefühle concentrirte sich in ihren Fingern. In meinem Leben war ich nie in so großer Gefahr gewesen, stranguliert zu werden.
»Ich habe gesehen,« sagte Penelope, »wie er mit ihr allein in dem Rosengarten ging, und ich stellte mich hinter die Hecke, um sie zurückkommen zu sehen. Auf dem Heimwege waren sie lachend Arm in Arm gegangen. Auf dem Rückwege gingen sie Beide, Jeder für sich mit höchst ernsthaftem Gesicht nach verschieden Seiten in einer Weise hinblickend, die nicht zu mißdeuten war. Vater! in meinem Leben habe ich mich nicht so gefreut! Es gibt also doch ein weibliches Wesen in der Welt, das Herrn Godfrey Ablewhite zu widerstehen vermag, und wenn ich eine Dame wäre, so würde ich die zweite sein!« Gegen diese Worte würde ich abermals protestiert haben, aber in diesem Augenblicke hatte meine Tochter die Haarbürste ergriffen und ergoß jetzt mittelst dieser die ganze Gewalt ihrer Gefühle auf mich. Wer von meinen Lesern einen Kahlkopf hat, wird verstehen was das heißen will. Wer aber keinen Kahlkopf hat mag diese Stelle überschlagen und Gott danken, daß er auf seinem Schädel Etwas hat, womit er sich gegen zu gewaltsame Berührungen seiner Haarbürste schützen kann.
»Gerade an der anderen Seite der Hecke,« fuhr