Der Monddiamant. Уилки Коллинз. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Уилки Коллинз
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183014
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sich aus einer niedrigen Stellung in der Welt heraufzuarbeiten, — und das war gegen ihn. Indessen brachten die Zeit und die Fortschritte moderner Aufklärung Alles wieder in Ordnung, und die Mesalliance wurde zu Gnaden angenommen. Heutigen Tages werden wir Alle Liberale, und wenn Einer, dem ich die Hand gewaschen, sie mir wieder wäscht, was kümmert’s mich, ob er ein Gassenkehrer oder ein Herzog ist? Das ist die moderne Art, die Dinge anzusehen, und ich halte es mit dieser modernen Art. Die Ablewhites wohnten auf einem schönen Landsitz in der Nähe von Frizinghall. Sehr würdige Leute und hochgeachtet in der ganzen Gegend. Ich habe aber nicht die Absicht, viel über dieselben zu sagen, mit einziger Ausnahme. von Herrn Godfrey, der Herrn Ablewhite’s zweiter Sohn war, und mit dem wir uns hier, mit der gütigen Erlaubnis des Lesers, Fräulein Rachel’s wegen, etwas näher beschäftigen müssen. Trotz Herrn Franklin’s hellem Verstand, trotz seiner Gewandtheit und trotz aller seiner übrigen guten Eigenschaften, schienen mir doch seine Aussichten, Herrn Godfrey in der Neigung unseres jungen Fräuleins den Rang abzulaufen, ungemein schwach zu sein.

      Erstens war Herr Godfrey, was den Wuchs betraf, bei Weitem der schönere von beiden Männern, er maß über sechs Fuß, hatte einen schönen roth und weißen Teint, ein glatt rasiertes, rundes Gesicht, und den Kopf voll schöner, langer, blonder Haare, die nachlässig auf den Nacken herabfielen. Aber warum versuche ich es, hier eine Schilderung von seiner Person zu geben? Wenn meine Leser jemals zu irgend einem mildthätigen Unternehmen einer Dame in London einen Beitrag gezeichnet haben, so müssen sie Herrn Godfrey Ablewhite so gut wie ich kennen. Er war seinem Berufe nach ein Advokat, seinem Temperament nach ein Mann für die Damen, und aus Neigung ein barmherziger Samariter. Weibliches Wohlwollen und weibliches Elend konnten nichts ohne ihn unternehmen. Bei mütterlichen Gesellschaften für die Aufnahme armer Wöchnerinnen bei Magdalenen-Stiften für die Rettung gefallener Mädchen, bei Emancipations-Vereinen, welche arme Frauen an die Stelle armer Männer setzen und es den Letztern überlassen möchten, sich selbst zu helfen — bei allen solchen Vereinen war er Vicepräsident, Sekretär oder Kassierer. Wo immer ein Damen-Comitée um einen Tisch versammelt saß, fiel Herrn Godfrey unfehlbar die Ausgabe zu, das Comité bei guter Laune zu erhalten, und die lieben Damen auf dem dornigen Wege geschäftlicher Berathung zu leiten. Ich glaube, er war der vollkommenste Philantrop unter beschränkten Verhältnissen, den England je hervorgebracht. Es möchte schwer sein, einen Redner zu finden, der es so wie er verstanden hätte, bei Wohlthätigkeits-Versammlungen den Leuten Thränen und Geld zu entlocken. Man konnte ihn als einen öffentlichen Charakter bezeichnen. Als ich das letzte Mal in London war, verdankte ich Mylady’s Güte große Vergnügungen. Sie ließ mich ins Theater gehen, um eine Tänzerin zu sehen, die großes Aufsehen machte, und sie schickte mich nach Excter Hall, um Herrn Godfrey zu hören. Die Dame brauchte zu ihrem Tanzen ein Orchester, der Herr zu seiner Rede ein Schnupftuch und ein Glas Wasser. Ungeheurer Zudrang bei der Vorstellung mit den Beinen, ditto bei der Vorstellung mit der Zunge. Und bei alledem war er (ich meine Herrn Godfrey) von dem angenehmsten Temperament, der einfachste, liebenswürdigste und leichtlebigste Mensch, den es geben konnte. Er liebte alle Menschen, und alle Menschen liebten ihn; welche Chancen konnte wohl Herr Franklin, welche Chancen konnte irgend Jemand von gewöhnlichem Ruf und gewöhnlichen Fähigkeiten gegen einen solchen haben?

      Am vierzehnten traf Herrn Godfrey’s Antwort ein.

      Er nahm Mylady’s Einladung für die Tage vom Mittwoch, dem Geburtstage, bis zum Freitag Abend an, wo ihn seine Pflichten gegen mildthätige Damen nöthigen würden, wieder in London zu sein. Er übersandte zugleich ein Gedicht auf das »Wiegenfest« seiner Cousine, wie er sich elegant ausdrückte. Fräulein Rachel machte sich, wie ich erfuhr, bei Tisch mit Herrn Franklin über die Verse lustig, und Penelope, die entschieden Partei für diesen Letzteren genommen hatte, fragte mich mit triumphierender Miene, was ich davon denke. »Fräulein Rachel,« antwortete ich, »hat Dich auf eine falsche Fährte geführt, ich lasse mich aber nicht so leicht irre leiten. Warte nur bis Herr Ablewhite in Person seinen Versen auf dem Fuße folgt.« Meine Tochter erwiderte, Herr Franklin werde vielleicht sein Glück schon mit Erfolg versucht haben, noch ehe der Dichter seinen Versen folge. Zu Gunsten dieser Ansicht sprach, wie ich zugeben muß, daß Herr Franklin kein Mittel unversucht ließ, Fräulein Rachel’s Neigung zu gewinnen.

      Obgleich er einer der eingefleischtesten Raucher war, der mir je vorgekommen ist, gab er sofort das Rauchen auf, als sie eines Tages geäußert hatte, daß sie den Tabakgeruch in seinen Kleidern nicht leiden könne. Er schlief in Folge dieses Aufgebots von Selbstverleugnung, in Ermangelung der beruhigenden Wirkung des Tabaks, an die er gewöhnt war, so schlecht und sah Morgens, wenn er hinunter kam, so elend und übermüde aus, daß Fräulein Rachel selbst ihn bat seine Gewohnheit des Rauchens wieder aufzunehmen. Aber nein! er wollte nichts thun, was ihr nur im Mindesten unangenehm wäre, er wollte entschlossen dagegen ankämpfen und erklärte, er werde seinen Schlaf schon früher oder später durch geduldiges Abwarten wiedererlangen.

      Eine solche Hingebung, wird man vielleicht sagen (wie Einige in den unteren Regionen des Hauses auch thaten), konnte in Verbindung mit der täglichen Dekorations-Arbeit an der Thür unmöglich ihre rechte Wirkung auf Fräulein Rachel verfehlen. Das mochte sein, aber sie hatte in ihrem Schlafzimmer eine Photographie von Herrn Godfrey, die ihn darstellte, wie er sich bei einer öffentlichen Versammlung durch seine eigene Beredtsamkeit atemlos gemacht hatte und mit seinen höchst freundlichen Augen den Leuten das Geld aus der Tasche zauberte.

      Was sagen meine Leser dazu? Jeden Morgen, wenn meine Tochter Fräulein Rachel das Haar machte, sah, wie Penelope mir selbst gestanden hat, der Mann, den die Damen nicht entbehren konnten, im Bilde zu. Nach meiner Überzeugung sollte er bald die Stelle des Bildes einnehmen und in leibhaftiger Gestalt zusehen.

      Der sechzehnte Juni führte ein Ereignis mit sich, welches nach meiner Meinung Herrn Franklin’s Chancen noch geringer machte, als sie schon zuvor waren.

      Ein sonderbarer Herr, der mit einem ausländischen Akzente Englisch sprach, verlangte an jenem Morgen Herrn Franklin Blake in Geschäften zu sprechen. Das Geschäft konnte unmöglich etwas mit dem Diamanten zu thun haben, und zwar aus folgenden beiden Gründen: erstens, weil Herr Franklin mir nichts darüber mittheilte, und zweitens, weil er dagegen, nachdem der fremde Herr fortgegangen war, statt meiner Mylady eine Mittheilung darüber machte. Wahrscheinlich äußerte sie dann Etwas darüber gegen ihre Tochter. Wenigstens soll Fräulein Rachel an jenem Abend am Klavier Herrn Franklin harte Dinge über die Leute, unter denen er im Auslande gelebt und die Prinzipien, die er daselbst angenommen, gesagt haben. Am nächsten Tage wurde zum ersten Male das Decoriren der Thür eingestellt.

      Ich argwöhne, daß Herr Franklin an den Folgen einer auf dem Kontinent begangenen Unvorsichtigkeit mit Frauen oder einer dort kontrahierten Schuld laborierte. Aber ich muß mich dabei aus Vermuthungen beschränken. Bei dieser Gelegenheit ließ mich nicht nur Herr Franklin, sondern merkwürdiger Weise auch Mylady im Dunkeln.

      Am siebzehnten verzog sich allem Anscheine nach die Wolke wieder. Sie nahmen ihre Dekorations-Arbeit an der Thür wieder auf und schienen wieder so gute Freunde zu sein, wie zuvor. Wenn man Penelope glauben durfte, so hatte Herr Franklin die Gelegenheit seiner Versöhnung mit Fräulein Rachel ergriffen, ihr einen Antrag zu machen den sie weder angenommen noch abgelehnt habe. Meine Tochter hielt sich durch gewisse Anzeichen, mit denen ich den Leser nicht zu behelligen brauche, fest überzeugt, daß ihre junge Herrin Herrn Franklin mit der Erklärung habe ablaufen lassen, daß sie nicht an den Ernst seines Antrags glaube und dann im Geheimen ihr Benehmen gegen, ihn bereut habe. Obgleich Penelope mit ihrem Fräulein auf vertrauterem Fuße stand, als Kammermädchen sonst mit ihren Damen zu stehen pflegen — denn die Beiden waren fast wie Geschwister zusammen auferzogen — so kannte ich doch Fräulein Rachel’s reserviertes Wesen zu gut, um zu glauben, daß sie irgend Jemandem ihre wahre Gesinnung würde verrathen haben. Was meine Tochter mir bei dieser Gelegenheit erzählte, war, wie ich vermuthet hatte, mehr was sie wünschte, als was sie wirklich wußte.

      Am neunzehnten trug sich ein anderes Ereignis zu. Wir hatten den Arzt im Hause. Er war gerufen, um einer Person, mit der ich den Leser bereits bekannt gemacht habe: unserem zweiten Hausmädchen Rosanna Spearman, etwas zu verschreiben. Dieses arme Mädchen, das mich bereits, wie sich der Leser erinnert, bei dem Zitterstrande in Verlegenheit gesetzt hatte, bereitete mir in der Zeit, von der ich jetzt rede, verschiedene Male neue Verlegenheiten. Penelope’s Idee, daß