„Und deswegen bin ich hier. Ich wollte dich fragen, ob du mir vielleicht dein Kleid leihst, was du gestern getragen hast.“ Bittend sieht sie mich an. „Nicht jeder von uns hat das Glück und wohnt die nächste Zeit mit einem heißen Typen wie Jax zusammen“, fügt sie noch hinzu, nachdem ich nach einer Ewigkeit nichts gesagt habe. Wahrscheinlich geht sie davon aus, dass ich es für eine schwachsinnige Idee halte, dass sie sich mit ihm trifft.
„Oh Mann“, seufze ich, nachdem sie ihn ins Spiel gebracht hat.
Ich gehe weiter nach oben, bevor ich Gefahr laufe und noch etwas dazu sage. Oder noch schlimmer, dass die Jungs etwas von unserer Unterhaltung mitbekommen.
„Hier ist es.“ Mit diesen Worten reiche ich es ihr, nachdem wir mein Schlafzimmer betreten haben.
„Danke, ich verspreche dir, dass du es morgen wieder bekommen wirst. Und dann werde ich dir auch berichten, wie es gelaufen ist.“
Lana scheint sich auf das Date zu freuen. Deswegen beschließe ich, dass ich ihr nichts von meinen Zweifeln sagen werde. Vor allem, weil ich nicht einordnen kann, woher sie kommen.
„Falls etwas sein sollte, kannst du mich jederzeit anrufen“, erkläre ich ihr dennoch.
„Ich weiß.“ Sie zwinkert mir zu, bevor sie genauso schnell verschwindet, wie sie aufgetaucht ist. Ich habe nicht mehr die Zeit, mich vernünftig von ihr zu verabschieden, oder mich nach näheren Infos über diesen Typen zu erkundigen.
4
Wach liege ich in meinem Bett. Das Zimmer wird nur von dem Licht erhellt, was von den umliegenden Gärten hineinscheint. Doch es reicht aus, dass ich an die Decke starren kann. Zum einen mache ich mir Sorgen um Lana. Obwohl das vielleicht etwas übertrieben ist, schließlich weiß ich, dass sie sich ganz gut selbst verteidigen kann. Mein Gefühl sagt mir nur, dass ich noch ein wenig warten sollte, bevor ich die Augen schließe. Ich hoffe es passiert nichts, aber ich kann auch nicht von der Hand weisen, dass ich mich auf mein Gefühl verlassen kann. Und das sagt mir, dass ich lieber noch etwas abwarten soll.
Doch da ist auch noch Jax. Er will mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Man könnte auch sagen, dass er meine Gedanken beherrscht. Der zweite Tag, an dem er hier war, geht zu Ende. Es sind nur zwei Tage, nicht die Ewigkeit. Und dennoch hat er es in dieser kurzen Zeit geschafft, sich in meine Gedanken zu schleichen und es gibt anscheinend nichts, was ich dagegen unternehmen kann.
Das hat er von Anfang an.
Dabei weiß ich, dass er es nicht darauf angelegt hat. Beziehungsweise, ich wüsste nicht einen einzigen Grund, wieso das so sein sollte. Ich kenne nämlich Männer wie ihn. Und die sind nicht hinter Frauen her, die so sind wie ich.
Seufzend will ich mir gerade die Decke über den Kopf ziehen, als das leise Klingeln meines Handys an mein Ohr dringt. Einen Moment ziehe ich in Erwägung, es einfach klingeln zu lassen. Dann schießt mir der Gedanke durch den Kopf, dass es Lana sein könnte und sofort bin ich wieder hellwach.
Schnell greife ich nach dem Telefon und werfe einen prüfenden Blick auf das Display. Ihr Name springt mich beinahe an, sodass ich mich ruckartig aufrichte.
„Was ist passiert?“, erkundige ich mich alarmiert, bevor ich das Handy überhaupt richtig an mein Ohr halte.
„Kannst du mich abholen?“ Nur vier kleine Worte. Aber sie verraten mir mehr, als ihr wahrscheinlich bewusst ist. Auch der Ton ihrer Stimme trägt dazu bei, dass ich hellhörig werde.
„Wo bist du denn?“ Schon alleine, weil sie meine beste Freundin ist, ist es für mich keine Frage, ob ich sie einsammle.
Lana würde es für mich genauso machen.
Aufmerksam höre ich ihr zu, als sie mir den Namen des Clubs nennt, in dem sie sich gerade befindet. Als Nächstes gibt sie mir noch eine kurze Wegbeschreibung, da ich den Namen noch nie gehört habe. Es ist wahrscheinlich doch besser, wenn ich mir die Adresse heraussuche und sie im Navi eingebe. Ich habe ehrlich gesagt nämlich keine Ahnung, wo sie sich gerade befindet.
Knapp verabschiede ich mich von ihr, nachdem sie geendet hat. Während ich in meine Schuhe schlüpfe, versuche ich ihren Tonfall zu analysieren. Ich finde, dass sie sich nicht traurig oder so angehört hat. Sie klang eher verdammt wütend. Doch ich bin froh darüber. Ich brauche mir also keine Sorgen zu machen, dass sie ihm nachlaufen wird.
Mit großen Schritten gehe ich über den dicken Teppich, der im Flur verlegt ist und die Geräusche meiner Schritte schluckt. Doch nach wenigen Schritten höre ich den Fernseher aus dem Wohnzimmer. Sofort weiß ich, dass es nur Mason und Jax sein können, die noch wach sind. Schließlich ist es mitten in der Nacht und unsere Eltern schlafen um diese Uhrzeit schon lange, wenn sie nicht mit Freunden unterwegs sind.
Die Aussicht darauf, Jax nach unserer letzten Unterhaltung über den Weg zu laufen, ist nicht gerade das, was sich verlockend anhört. Um ehrlich zu sein wünsche ich mir sogar, dass wir sie nicht geführt hätten. Dann würde ich ihm jetzt nicht mit diesem mulmigen Gefühl gegenüber treten müssen. Wobei das aber noch reichlich untertrieben ist. Müsste ich erklären, ob es gut oder schlecht ist, könnte ich es nicht. Und das nur aus dem Grund, weil ich es nicht weiß. Leider kann ich das Gespräch aber nicht mehr rückgängig machen.
Obwohl ich es eilig habe, gehe ich langsam nach unten. Ich achte darauf, dass ich nicht so viele Geräusche von mir gebe. Ich weiß aber, dass es egal ist. Schließlich muss ich an den beiden vorbei, um das Haus zu verlassen.
„Hi Schwesterherz. Was hast du denn jetzt noch vor?“ Neugierig sieht Mason mich an, als ich mit großen Schritten an den Jungs vorbeigehe.
„Ich habe noch etwas zu erledigen“, erwidere ich und gehe weiter, ohne sie zu beachten. Als ich nach dem Türknauf greifen will, spricht Jax bereits weiter.
„Ist es wirklich so eine gute Idee ist, um zwei Uhr morgens noch alleine das Haus zu verlassen?“
Langsam, beinahe in Zeitlupe, wende ich mich an ihn. Ich kann nicht verhindern, meine Augenbrauen ein Stück nach oben zu ziehen. Ich weiß nicht, ob er es sehen kann, da nur der Fernseher das ansonsten dunkle Zimmer erhellt. Aber das ist mir auch egal.
„Ich war schon um diese Uhrzeit unterwegs. Deswegen werde ich den Weg von der Haustür zum Auto schon schaffen“, gebe ich zurück.
Ich klinge schnippischer, als ich es will. Ich kann es aber auch nicht verhindern. Schließlich bin ich kein kleines Kind mehr. Ganz davon abgesehen habe ich es auch in den letzten Jahren alleine geschafft, das Haus zu verlassen. Da brauche ich jetzt bestimmt niemanden, der sich Sorgen um mich macht.
Ich bin froh, dass mein Gehirn wenigstens nicht die Arbeit eingestellt hat. Ich weiß nicht, ob es an meinem Bruder liegt, gerade stört es mich aber auch nicht.
So kann ich Jax aber wenigstens zu verstehen geben, dass er nicht mein Freund, Bruder oder Vater ist. Nein, er ist nur ein Freund von meinem Bruder, von dem ich nichts weiß und der mich auch nicht sehr gut kennt.
„Das mag sein. Ich bin dennoch der Meinung, dass es besser ist, wenn ich dich begleite. Da draußen rennen merkwürdige Typen herum“, stellt er fest. Er richtet sich zu seiner vollen Größe auf.
Das ist der Moment, in dem ich nur noch Augen für ihn habe. Deswegen nehme ich auch nur am Rande wahr, dass Mason ihn irritiert ansieht. Darum kann ich mich jetzt aber nicht kümmern. Ich verarbeite noch immer, was er gerade gesagt, beziehungsweise beschlossen hat. Und das wiederum ist etwas, was mir überhaupt nicht gefällt.
Die Aussicht darauf, die nächste halbe Stunde mit ihm in einem Wagen zu sitzen ist nicht unbedingt das, was dafür sorgt, dass es mir besser geht. Mein Herz schlägt schneller und mein Kopf hört auf zu arbeiten. Deswegen fällt mir auch kein vernünftiger Grund ein, wieso er das nicht machen sollte.