Die Maske aus schwarzem Samt. Claudia Thoß. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Claudia Thoß
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754170861
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Christoph in seine Garderobe zurück. Beim Eintreten bemerkte er, dass etwas nicht stimmte. Was genau es war, konnte er jedoch nicht sagen. Der Geruch schien ein anderer - reifer, wenn man es so nennen wollte. Die Möbel standen noch, wie er sie verlassen hatte; abgesehen von einer einzelnen Rose auf dem Chiffonier, die dort lag als habe man sie beiläufig platziert.

      »Ich bin mir sicher, den Raum abgeschlossen zu haben«, murmelte er vor sich hin, halb im Zweifel, halb erschrocken darüber, wie einfach es war, in seine Privatsphäre einzudringen.

      Ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Gedanken.

      »Christoph, mein lieber Junge, ein Besucher erwartet dich im Foyer de la Danse.« Logenschließerin Girys Stimme hatte diesen mütterlichen Ton, den sie bei allen Ballettmädchen und ihm unter allen Neulingen anschlug. Vielleicht, weil er unter allen Sängern der Oper eine Ausnahme darstellte.

      »Eine Minute, Madame. Ich kleide mich an und treffe ihn unten.«

      »Ich werde ihm ausrichten, auf dich zu warten.«

      »Danke.« Er griff nach der Rose und roch daran. Ihr süßlicher Duft erinnerte ihn an die aufkommende Frühlingszeit. Zugleich war es der Beginn seines ersten Jahres an der Opera Garnier. Die Direktion war freizügig genug gewesen, ihn für zwei Spielzeiten im Voraus zu verpflichten, ungeachtet ihrer Abdankung. Andererseits hatte Christoph bisher keine Gelegenheit gehabt, die neue Direktion kennenzulernen. Es hieß, sie stellten sich auf der Eröffnungsgala in einigen Tagen erstmals vor.

      Während er sich umzog überlegte Christoph, um wen es sich bei dem Besucher handelte. Er war neu in Paris, daher war es unwahrscheinlich, dass jemand von seinem Engagement an der Oper wusste. Außerhalb der Oper hatte er keinerlei Freunde. Dazu mangelte es ihm schlicht an Zeit.

      Im Foyer de la Danse drängten sich die Menschen, Ballettmädchen mit ihren Bewunderern, Abonnenten, Bühnenarbeiter sowie der künstlerische Leiter Gabriel. Christoph hielt nach Madame Giry Ausschau und fand sie im Gespräch mit der Primaballerina. Die kleine Meg erblickte ihn zuerst und neigte zum Gruß den Kopf, wobei sie ihre Mutter auf Christoph aufmerksam machte.

      »Da bist du. Der Vicomte wartet dort drüben auf dich.« Sie deutete mit dem Kopf in Richtung des Gastes.

      »Der Vicomte?« Christoph folgte ihr mit den Augen und sah einen einzelnen Mann scheinbar verloren in einer Ecke stehen. Aus irgendeinem Grund erschienen ihm die Züge des Mannes vertraut. Es dauerte einige Sekunden, ehe Christoph seinen alten Freund wiedererkannte.

      »Raoul«, rief er ihm zu. »Du bist es wirklich.«

      »Christoph!« Raoul gab sich nicht mit einem Handschlag zufrieden, sondern schloss Christoph überschwänglich in die Arme. »Ich hörte die Neuigkeiten von Tante Cecil, dass du jetzt in Paris bist. Es ist schön, dich zu sehen.«

      Woher wusste Tante Cecil von seinem Aufenthalt? Andererseits hätte jedem, der das Programm für die neue Saison aufmerksam studierte, Christophs Name darauf begegnen können.

      »Ich wusste nichts von deiner Anwesenheit«, erwiderte Christoph schließlich. »Wie geht es dir?« Ihm fiel nichts anderes ein, das er hätte sagen können. Seit ihrer letzten Begegnung waren sechs Jahre verstrichen; damals hatte Christophs Mutter noch gelebt.

      Als Christoph dem anderen vom Tod der Eltern erzählte, bekundete Raoul sein Beileid.

      Ob Raoul ihm die Rose geschenkt hatte? Christoph fühlte sich zu verlegen als dass er danach gefragt hätte. Wie hätte der Vicomte auch in die Garderobe eindringen sollen?

      »Wirst du zur Gala in ein paar Tagen kommen? Ich hoffe sehr, dich dort zu sehen.«

      »Sicher, mein Freund. Und ich bringe eine gemeinsame Freundin mit. Du wirst überrascht sein.«

      Einen Moment lang schaute Christoph verdutzt. »Wer ist es?«

      »Erinnerst du dich an die kleine Daphne?«

      »Sie müsste mittlerweile 16 sein.«

      »Letzten Sommer ist sie 17 geworden. Meine liebe Cousine ist ganz wild darauf, dich zu sehen. Deine elfengleiche Stimme hat sie bis heute bezaubert.«

      Christoph nickte und versuchte, seine Erinnerungen an Daphne wachzurufen. Manchen Sommer hatte sie mit ihm und Raoul in Perros verbracht, bevor ihre Mutter mit ihr nach Paris zurückgekehrt war. Allerdings erinnerte sich Christoph kaum an sie.

      »Nun, dann wird auch sie sich hoffentlich auf die Saisoneröffnung freuen«, sagte er endlich. »Wenn du mich jetzt entschuldigst? Ich gehe schon vor.«

      Raoul schien überrascht von dem plötzlichen Abschied und der Hand, die Christoph ihm reichte. Unversehens nahm er den alten Freund in die Arme; eine Geste, die Christoph erneut überrumpelte.

      Als sie auseinander gingen, fühlte Christoph sich von einem Paar unsichtbarer Augen verfolgt. Indes schaute ihm niemand der Umstehenden nach. Selbst Madame Giry widmete ihre ungeteilte Aufmerksamkeit den Ballettmädchen, die ihre Pirouetten drehten.

       ***

      Die Gala füllte das Haus bis auf den letzten Platz. Alle waren gekommen, um der scheidenden Direktion ihren Respekt zu zollen, und gleichzeitig neugierig auf deren Nachfolger. Die vier Herren sahen wohlwollend von ihrer Loge aus in den Saal und spendeten angemessen Beifall.

      Kleine Schweißperlen liefen über Christophs Stirn, als er von der Bühne trat. An ihm vorbei eilte die Carlotta, deren Arie aus Faust den Höhepunkt des Abends darstellte. Christoph bewunderte ihren klaren Sopran, auch wenn ihre Persönlichkeit ihn eher Abstand halten ließ. Madame Giry hatte ihn gewarnt vor den Launen der Diva. Daher zog er sich zurück in das Foyer de la Danse und von dort in seine Garderobe.

      Sein Herz klopfte und eine angenehme Wärme glühte in seinen Wangen; so fühlte es sich also an, vor Publikum auf der Bühne der Pariser Oper zu singen. Nicht zu vergleichen mit den kleinen Auftritten während seiner Zeit an der Akademie. Lächelnd schloss Christoph die Tür zur Garderobe auf und entzündete die Petroleumlampe. Sobald ihr Licht den Raum erhellte, hielt er inne und sah auf die Kommode: Jemand hatte ihm einen Strauß weißer Rosen hingestellt, versehen mit einer Karte, auf der zu lesen war: »Bravo, Christoph«. Kein Gruß. Kein Name.

      Christoph starrte unverwandt auf die Rosen, als es an seiner Tür klopfte. Erschrocken wandte er den Kopf und rief ein irritiertes »Ja?« in Richtung des Klopfens. Die Tür schwang auf und ohne Umschweife trat eine junge Frau herein, die Christoph überschwänglich um den Hals fiel. Hinter ihr stahl sich Raoul in den Raum, der beschämt lächelte.

      »Raoul, Fräulein Daphne!« Christoph atmete auf und wagte zugleich nicht, sich zu rühren. Erst, als Daphne von ihm abließ, entspannte er sich.

      »Guten Abend. Ich hoffe, wir stören nicht«, sagte Raoul, dessen Blick nahezu zeitgleich auf den Blumenstrauß fiel. »Wie ich sehe, hattest du bereits Besuch.«

      »Eifersüchtig?« neckte ihn Daphne, die noch immer dicht bei Christoph stand.

      »Wie hast du ...«, hob er an, doch sie wehrte ab: »Die Blumen sind nicht von mir. Ich war die ganze Zeit bei Raoul und Maman. Aber sie sind wunderschön.« Daphne betrachtete einen Moment lang die Rosen und wechselte dann das Thema: »Ich konnte es nicht erwarten dich wiederzusehen, deshalb habe ich Raoul gebeten, mich zu begleiten. Du leistest uns doch Gesellschaft, nicht wahr? Ohne dich ist die Gala schrecklich langweilig.«

      Christoph lächelte. »Vielen Dank. Ich wollte eben noch meinen Frack anlegen und euch danach empfangen. Wie hat euch das Programm gefallen?«

      »Oh, Maman war begeistert und mich hat dein Gesang tief berührt. Es war fast wie früher, weißt du noch?«

      »Ich habe es nicht vergessen.«

      »Dann gehen wir besser schon einmal vor«, mischte Raoul sich ein, dem die Situation sichtlich unangenehm war. Offenbar hatte er nur widerwillig Daphnes Bitte nachgegeben, Christoph in dessen Garderobe aufzusuchen.

      »Na schön«, entgegnete Daphne, indem sie sich bei ihrem Cousin unterhakte. »Lass uns nicht zu lange warten.«

      Christoph