Pyria. Elin Bedelis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elin Bedelis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754940136
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fuhr Rish fort, als sie keine Antwort erhielt, und schob die Schale, die sie vor sich auf den Boden gestellt hatte, etwas mehr in seine Richtung. »Du musst doch umkommen vor Hunger.« Besorgt musterte sie seine zerwühlten Haare und seine vermutlich ungesunde Gesichtsfarbe, während er auf den körnigen Brei und das Brot in der Schüssel hinabblickte. Sein Magen zurrte sich zusammen bei dem Anblick. Es war, als hätte er Watte gegessen, die nun seinen Bauch vollstopfte und es unmöglich machte, auch nur an Essen zu denken. Er konnte nicht essen, aber auch das konnte er nicht sagen. Er konnte nicht einmal begründen wieso. In den letzten Tagen hatte er fast nichts gegessen, trotzdem bekam er keinen Hunger oder auch nur Appetit. Alles war taub, aber wie sollte er das irgendjemandem begreiflich machen? »Gwyn?«, fragte Rish leise und streckte eine Hand nach ihm aus, als er noch immer nicht antwortete. »Wir machen uns Sorgen um dich«, sagte sie sanft und ihre Hand fand seinen Arm.

      Ihre Berührung kribbelte leicht. Das lag wohl an der Magie, die sie aufrechterhielt, auch wenn sie jedes Mal zu flackern begann, wenn sie sprach und ihre Aufmerksamkeit teilen musste. Gwyn unterdrückte ein Schnauben. Er glaubte ihr, dass sie sich Sorgen machte. Darüber hinaus fiel ihm niemand ein, den es auch nur im Entferntesten kümmern würde, was mit ihm war. Mico hatte bestenfalls ein Eigeninteresse daran, dass er sich nicht vom Mast warf. Es war ein weiterer Grund, weshalb er es nicht ernsthaft in Betracht zog.

      Rish ignorierte sein Schnauben oder hörte es nicht. »Vielleicht würde es dir helfen, darüber zu reden?«, fragte sie leise und dieses Mal flackerte das Licht so bedenklich, dass es sicher gleich zusammenbrechen würde.

      Der ehemalige Feuerspucker schüttelte den Kopf. Er wollte nicht darüber reden. Es passte zu ihr, dass sie eine dünne Haut hatte, aber er glaubte nicht, dass sie wirklich etwas über die Schreie sterbender Männer hören wollte, die durch seinen Kopf dröhnten, oder über den Schnitt an seinem Oberarm oder über die gähnende Leere in seiner Brust. Der Schatten hatte die Wunde, die das Horn des Wüstenwurms hinterlassen hatte, perfekt wieder aufgetrennt, als wollte er ihn daran erinnern, dass er ihn von nun an nicht mehr retten würde, wenn alles aus dem Ruder lief. Von Machairi verstoßen zu werden – zu Recht – lastete schwerer auf ihm als alles, was er selbst verbrochen hatte, und dafür schämte Gwyn sich höchstens noch mehr.

      »Bist du sicher?«, hauchte sie und löste die Hand von ihm. Mitleidig musterte sie ihn und schwieg einen Moment. »Du hast doch nur getan, was du für richtig gehalten hast«, fuhr sie dann etwas zögerlicher fort.

      »Ich habe nicht absichtlich dutzende Menschen getötet!«, fuhr er sie an und erschrak vor sich selbst und das grausige Schuldgefühl schwoll noch weiter an, als sie zurückzuckte und das Licht erlosch. Warum ging sie nicht und ließ ihn allein? Das hätte alles so viel einfacher gemacht. Er wusste doch so schon nicht, wie er das alles weiter aushalten sollte. Es wurde nicht besser davon, dass sie nachbohrte. Trotzdem gab es ihm sicher nicht das Recht, sie so anzufahren. »Tut mir leid«, murmelte er und zog sich noch etwas weiter zusammen. Jetzt, wo es wieder dunkel war, schien der Sumpf in seinem Inneren noch tiefer. Am liebsten hätte er alles vergessen.

      Es dauerte einen Moment, dann glomm das Licht wieder auf, noch schwächer dieses Mal. Es reichte gerade aus, um die Umrisse des Mädchens zu erkennen, das mit ihm in dem winzigen Raum saß. »Niemand denkt das«, versicherte sie vorsichtig. Wieder spürte er ihre Hand auf seinem Arm und glaubte, ihr Mitleid in Wellen durch den Raum schlagen zu fühlen. Es tat gut und gleichzeitig war es unvergleichlich schmerzhaft. Er wollte kein Verständnis, wenn er selbst keines hatte. Es gab nichts zu verzeihen und nachzuvollziehen. Alles, was er an jenem Abend getan hatte, war ein einziger großer Fehler gewesen und hatte im Tod zahlloser Menschen und einem wütenden Machairi resultiert. Die Wut, die er auf sich selbst verspürte, musste jeder teilen, der wusste, was geschehen war. Anders konnte es nicht sein. Anders durfte es nicht sein.

      Gwyn merkte erst, dass er weinte, als ihm ein jämmerliches Schluchzen entfuhr. Wie konnte ein Schuldgefühl nur so wehtun? Es schnürte ihm den Brustkorb zu, drückte ihm die Kehle zusammen und ließ ihn innerlich brennen. Das Feuer war rebellischer, seit er es so weit zurückdrückte, wie er konnte. Es wartete nur darauf, wieder auszubrechen, wieder Zerstörung zu bereiten und vielleicht dieses Mal Menschen zu verletzen, die ihm wirklich wichtig waren. Dann waren sie auch noch auf einem Schiff. Selbst wenn er dem dummen Impuls nachgegeben hätte, hätte er nicht einmal weglaufen können. Das alles war eine wahnsinnige Katastrophe! Was sollte er tun und wie wollte ausgerechnet Rish, die so unbestreitbar gut war, das verstehen?

      »Hey«, flüsterte Rish, als sie hörte, dass er weinte. Das Licht erlosch und er fühlte sich noch schlechter, auch wenn er nicht gedacht hätte, dass das möglich war. Sie wollte ihn umarmen, aber er schob sie fort. Das konnte er nicht ertragen. »Es sind furchtbare Dinge passiert in der Nacht, aber du kannst dir nicht an allem die Schuld geben«, versuchte sie es aus einem anderen Winkel. »Es hätten auch tausende andere Dinge schiefgehen können. Der Plan war reinster Wahnsinn!«

      Gwyn schüttelte den Kopf, auch wenn sie das vermutlich nicht mehr sehen konnte. »Sein Wahnsinn funktioniert immer. Wenn ich nicht so dumm wäre, wären alle in Sicherheit gewesen.« Es war bescheuert, einen Plan des Messerdämons umzuwerfen. Hatte er nicht vorher selbst gesagt, dass es zu wahnsinnig war, um zu funktionieren? Er hatte es noch wahnsinniger gemacht und das hatte alles aus dem fragilen Gleichgewicht gebracht, auf dem der Plan basiert hatte.

      »Nicht Kendra! Du hast sie gerettet.« Ihre warme Hand fasste sein Handgelenk fester, als wollte sie ihre Aussage unterstreichen. »Es war richtig, sie nicht einem so grausigen Schicksal zu überlassen«, versicherte sie und er konnte hören, dass sie lächelte.

      Der Zhaki konnte nicht benennen, warum er zu zittern begonnen hatte. Es war kein wütendes Beben. Es war eine körperliche Reaktion, die vielleicht von der Enge in seiner Brust kam, oder von dem eisigen Schauer, der ihn bei der Erinnerung überlaufen hatte. »Und wenn schon. Ich hätte mich auch festnehmen lassen können, anstatt alle umzubringen!« Für ihn war es schon fragwürdig genug, für das Leben eines Mädchens zahlreiche andere zu opfern. Die Wahrheit war aber noch etwas frustrierender. Er hatte nicht sie beschützt, oder die Prinzessin, die er eigentlich hätte dabeihaben sollen. Auch nicht Vica, Mico und Machairi oder die Faust, die alle irgendwo in Reichweite hätten sein müssen. Nicht einmal den armen Harethi, der in einen Teppich verwandelt gewesen war. Nein, er hatte allein sich selbst beschützt. Es wäre nicht unmöglich gewesen, sich festnehmen zu lassen, als er in die Sackgasse gelaufen war, und vielleicht darauf zu hoffen, dass die anderen ihn befreien würden, bevor sein Kopf über den Boden rollte.

      »Du hast doch selbst gesagt, dass du das nicht vorsätzlich ausgelöst hast. Das war ein Schutzreflex. Ila hat auch darüber gesprochen: Das ist normal. Außerdem hast nicht du diese Menschen getötet, sondern das Feuer.« Wie sie das sagte, klang es tatsächlich, als würde sie sich selbst glauben. Sie verstand nichts.

      Es war in Ordnung, wenn sie Schutzreflexe hatte. Schließlich war sie neu im Anwenden ihrer Magie. Es war auch in Ordnung, wenn damit ein Übel abgehalten wurde, aber bei ihm war es anders. Er hatte sein Leben lang mit dem Feuer trainiert und ein Kontrollverlust wie dieser hätte ihm nicht widerfahren dürfen. Außerdem hatte er ein viel größeres Übel angerichtet als abgewendet und nichts, wirklich nichts konnte das rechtfertigen. Schon gar nicht, wenn er sich absolut sicher war, dass er es hätte aufhalten können. Zumindest hätte er den Schaden früher begrenzen können. Er war nicht ohnmächtig geworden, so wie es ihr jedes Mal passiert war, er war wie im Rausch gewesen, aber theoretisch im Vollbesitz seiner selbst. Die Tode waren unnötig gewesen und das machte es so grausam. »Wenigstens hab ich ansatzweise bekommen, was ich verdient hab«, murmelte er und merkte, wie Rish ihre Hand verschreckt zurückzog.

      »Nein.« Plötzlich klang sie eher bitter als mitleidig. »Seine Reaktion war absolut überzogen und unangebracht.« Ihre Stimme bebte und etwas darin wackelte. Für einen kurzen Moment dachte Gwyn, dass sie sich selbst nicht glaubte, aber dann wurde ihm bewusst, was es wirklich war. Sie fürchtete sich. Noch etwas, woran er schuld war.

      »Es gab nur eine Regel, auf die ich mich eingelassen habe, als ich mich ihm damals angeschlossen habe, anstatt zu fliehen: kein Hintergehen. Ich wusste, was passiert, wenn ich den Plan ignoriere und verändere – schon wieder – und ich habe es trotzdem getan. Das ist nicht seine Schuld.