Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
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nun, Sie sind ja aber ganz wild!« sagte ich lachend.

      »Und Sie sind ein ›gemäßigter Liberaler‹,« erwiderte Schatow lächelnd. »Wissen Sie,« fügte er plötzlich hinzu, »ich habe den Ausdruck ›lakaienhafte Denkweise‹ vielleicht falsch gegriffen; Sie werden mir gewiß sofort sagen: ›Du selbst bist als Sohn eines Lakaien geboren; aber ich für meine Person bin kein Lakai.‹«

      »Das wollte ich durchaus nicht sagen ... Was reden Sie da!«

      »Entschuldigen Sie sich nicht; ich fürchte Sie nicht. Früher war ich nur der Sohn eines Lakaien; aber jetzt bin ich selbst ein Lakai geworden, ein ebensolcher wie Sie. Unser russischer Liberaler ist vor allen Dingen ein Lakai und lauert nur darauf, jemandem die Stiefel zu putzen.«

      »Was für Stiefel? Was ist das für ein bildlicher Ausdruck!«

      »Das ist gar kein bildlicher Ausdruck! Ich sehe, Sie lachen ... Stepan Trofimowitsch hat ganz recht, wenn er sagt, daß ich zusammengequetscht, aber noch nicht totgedrückt unter einem Steine liege und mich winde; das ist ein sehr treffender Vergleich von ihm.«

      »Stepan Trofimowitsch behauptet, daß Sie in die Deutschen vernarrt seien,« bemerkte ich lachend. »Und wir haben ja auch viel geistiges Eigentum der Deutschen in unsere Tasche gesteckt.«

      »Zwanzig Kopeken haben wir von ihnen genommen und hundert Rubel eigenes Geld hingegeben.«

      Etwa eine Minute lang schwiegen wir beide.

      »Diese Anschauungsweise hat er sich zu eigen gemacht, als er in Amerika dalag.«

      »Wer? Wieso dalag?«

      »Ich meine Kirillow. Ich und er haben da vier Monate lang in einer Hütte auf dem Fußboden gelegen.«

      »Sind Sie denn in Amerika gewesen?« fragte ich verwundert. »Sie haben ja nie davon gesprochen.«

      »Was ist davon zu erzählen? Vor zwei Jahren fuhren wir zu dreien auf einem Auswandererdampfer für unser letztes Geld nach den Vereinigten Staaten, ›um an uns das Leben eines amerikanischen Arbeiters zu erproben und auf diese Art durch ein am eigenen Leibe vorgenommenes Experiment den Zustand des Menschen in seiner schlimmsten sozialen Stellung zu konstatieren‹. In dieser Absicht begaben wir uns dorthin.«

      »Herrgott!« rief ich lachend; »da hätten Sie nur in unserem Gouvernement zur Erntezeit irgendwohin als Arbeiter zu gehen brauchen, um das durch ein Experiment am eigenen Leibe zu erproben; die Fahrt nach Amerika konnten Sie sich sparen!«

      »Wir verdingten uns da als Arbeiter bei einem Unternehmer; Russen waren wir insgesamt sechs Mann: Studenten, sogar Gutsbesitzer, die eigene Güter hatten, sogar Offiziere, und alle mit demselben großartigen Ziele. Nun, wir arbeiteten und quälten uns, daß wir ganz herunterkamen; schließlich gingen Kirillow und ich weg; wir waren krank geworden und konnten es nicht mehr aushalten. Der Unternehmer übervorteilte uns gehörig bei der Abrechnung: statt der kontraktmäßigen dreißig Dollar bezahlte er mir acht und ihm fünfzehn; auch waren wir dort wiederholt geprügelt worden. Na, da lagen wir denn, Kirillow und ich, ohne Arbeit in einem kleinen Städtchen vier Monate hintereinander auf dem Fußboden; er hing seinen Gedanken nach und ich den meinigen.«

      »Hat der Unternehmer Sie wirklich geprügelt? Geschieht so etwas in Amerika? Na, aber gewiß hatten Sie ihn geschimpft!«

      »Durchaus nicht. Im Gegenteil, Kirillow und ich waren sogleich zu der Einsicht gekommen, daß ›wir Russen den Amerikanern gegenüber kleine Kinder sind, und daß man in Amerika geboren sein oder wenigstens lange Jahre mit den Amerikanern zusammengelebt haben muß, um mit ihnen auf gleichem Niveau zu stehen‹. Ja, wenn man uns für einen Gegenstand, der eine Kopeke wert war, einen Dollar abverlangte, so zahlten wir ihn nicht nur mit Vergnügen, sondern sogar mit Begeisterung. Wir lobten alles: den Spiritismus, das Lynchgesetz, die Revolver, die Vagabunden. Einmal fuhren wir auf der Bahn, da griff einer in meine Tasche, zog meine Haarbürste heraus und bürstete sich damit; Kirillow und ich wechselten nur einen Blick miteinander und sagten uns im stillen, daß dieses Benehmen in der Ordnung sei und uns sehr gefalle ...«

      »Sonderbar, daß bei uns mancher sich den Gedanken an ein solches Experiment nicht nur durch den Kopf gehen läßt, sondern ihn auch zur Ausführung bringt.«

      »Aber die meisten sind schlappe Kerle,« sagte Schatow noch einmal.

      »So über den Ozean zu fahren, auf einem Auswandererschiffe, nach einem unbekannten Lande, mit der Absicht, ›durch ein am eigenen Leibe vorgenommenes Experiment zu erfahren‹ und so weiter: darin liegt doch wirklich eine hochsinnige Festigkeit ... Aber wie sind Sie denn von dort zurückgekommen?«

      »Ich schrieb an jemand in Europa, und er schickte mir hundert Rubel.«

      Schatow hatte, während er sprach, die ganze Zeit über nach seiner Gewohnheit hartnäckig auf die Erde geblickt, selbst wenn er in Eifer geriet. Nun hob er auf einmal den Kopf in die Höhe:

      »Wollen Sie den Namen des Menschen wissen?«

      »Wer war es denn?«

      »Nikolai Stawrogin.«

      Er stand plötzlich auf, wandte sich zu seinem Schreibtische aus Lindenholz und begann auf ihm herumzukramen. Bei uns ging ein dunkles, aber glaubwürdiges Gerücht, daß seine Frau eine Zeitlang in Paris ein Verhältnis mit Nikolai Stawrogin gehabt habe, und zwar gerade vor zwei Jahren, also als Schatow in Amerika war, allerdings schon lange, nachdem sie ihn in Genf verlassen hatte. »Wenn es so steht, wie kommt er dann jetzt auf den Einfall, den Namen zu nennen und von der Geschichte zu reden?« dachte ich.

      »Ich habe sie ihm bis jetzt noch nicht zurückgegeben,« sagte er, indem er sich wieder zu mir wandte; dann setzte er sich, mich unverwandt ansehend, auf seinen früheren Platz in der Ecke und fragte kurz in ganz anderem Tone:

      »Sie sind doch gewiß mit einer Absicht hergekommen; was steht zu Ihren Diensten?«

      Ich erzählte ihm sogleich alles in genauer historischer Ordnung und fügte hinzu, obgleich ich von meiner früheren Verliebtheit bereits zur Besinnung gekommen sei, befände ich mich doch in noch größerer Verlegenheit: ich sähe ein, daß es sich hier um etwas sehr Wichtiges für Lisaweta Nikolajewna handle, und hätte den dringenden Wunsch, ihr zu helfen; aber das ganze Unglück bestehe darin, daß ich nicht wüßte, wie ich das ihr gegebene Versprechen halten solle, ja, mir jetzt nicht einmal darüber im klaren sei, was ich ihr eigentlich versprochen hätte. Darauf versicherte ich ihm mit allem Nachdruck, daß es ihr durchaus ferngelegen habe, ihn täuschen zu wollen; es liege irgendein Mißverständnis vor, und sie sei sehr betrübt darüber, daß er heute in so ungewöhnlicher Art weggegangen sei.

      Er hatte sehr aufmerksam zugehört.

      »Vielleicht habe ich nach meiner Gewohnheit wirklich heute eine Dummheit gemacht ... Nun, wenn sie selbst nicht verstanden hat, warum ich so weggegangen bin, um so besser für sie.«

      Er stand auf, trat zur Tür, öffnete sie ein wenig und horchte nach der Treppe zu.

      »Sie wünschen diese Person selbst zu sehen?«

      »Gerade das möchte ich; aber wie ist es zu machen?« rief ich, erfreut aufspringend.

      »Wir wollen einfach hingehen, solange sie noch allein ist. Wenn er kommt und erfährt, daß wir dagewesen sind, dann schlägt er sie. Ich gehe oft heimlich zu ihr. Ich habe ihn heute durchgewalkt, als er wieder anfing, sie zu schlagen.«

      »Was Sie sagen!«

      »Allerdings; an den Haaren habe ich ihn von ihr weggerissen; er wollte mich dafür prügeln; aber ich habe ihn eingeschüchtert, und damit war die Sache zu Ende. Ich fürchte, wenn er betrunken zurückkommt und sich daran erinnert, so schlägt er sie gehörig dafür.«

      Wir gingen sogleich nach unten.

       V.

      Die Tür zu der Lebjadkinschen Wohnung war nur zugemacht, aber nicht verschlossen, und wir traten ungehindert ein. Ihre ganze Behausung bestand aus zwei häßlichen