Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
Скачать книгу

      Oder wenn sie mit ihrer Mutter in der Kirche kniet

      Und man die Röte der andächtigen Gesichter sieht.

      Dann geht nach den Freuden der Ehe mein Sehnen,

      Und ich vergieße hinter ihr und ihrer Mutter Tränen.

      Gedichtet von einem Ungelehrten

      infolge einer Wette.

      Gnädiges Fräulein!

      Am meisten bedauere ich, daß ich nicht in Sewastopol einen Arm um des Ruhmes willen verloren habe; ich bin überhaupt nicht da gewesen, sondern war während des ganzen Feldzuges bei der Austeilung gemeinen Proviants tätig, was ich für unwürdig hielt. Sie sind eine Göttin des Altertums; ich aber bin ein Nichts und habe die Grenzenlosigkeit geahnt. Sehen Sie das Obige als Verse an; denn Verse sind dummes Zeug, und man darf in ihnen das sagen, was in Prosa für Dreistigkeit gilt. Kann die Sonne dem Infusionstierchen zürnen, wenn dieses an sie aus dem Wassertropfen schreibt, wo ihrer eine Menge vorhanden sind, wenn man durchs Mikroskop sieht? Sogar jener Verein bei der höchsten Gesellschaft in Petersburg, der gegen die großen Tiere so menschenfreundlich ist und mit den Hunden und Pferden Mitleid hat, verachtet das winzige Infusionstierchen und erwähnt es gar nicht, weil es so klein ist. Auch ich bin ein kleines Wesen. Der Gedanke an eine Ehe könnte humoristisch erscheinen; aber ich werde bald zweihundert frühere Seelen durch einen Menschenfeind besitzen, der Ihrer Verachtung wert ist. Ich kann vieles mitteilen und erbiete mich auf Grund von schriftlichen Beweisen sogar nach Sibirien. Verachten Sie meinen Antrag nicht. Das von dem Infusionstierchen Gesagte ist poetisch gemeint.

      Hauptmann Lebjadkin, Ihr ergebenster

      Freund und hat viel freie Zeit.«

      »Das hat einer in der Betrunkenheit geschrieben und zugleich ein Taugenichts!« rief ich empört. »Ich kenne den Menschen.«

      »Diesen Brief habe ich gestern erhalten,« sagte uns Lisa zur Erklärung; sie war rot geworden und sprach hastig. »Ich sah sofort selbst, daß er von einem Narren herrührt, und habe ihn Mama bis jetzt noch nicht gezeigt, um sie nicht noch mehr aufzuregen. Aber wenn er damit fortfahren sollte, so weiß ich nicht, wie ich mich verhalten soll. Mawriki Nikolajewitsch will hingehen und es ihm verbieten. Da ich Sie als meinen Mitarbeiter betrachte,« fuhr sie, zu Schatow gewendet, fort, »und da Sie in demselben Hause wohnen, so wollte ich Sie fragen, um beurteilen zu können, was noch weiter von ihm zu erwarten ist.«

      »Er ist ein Trunkenbold und ein Taugenichts,« murmelte Schatow wie mit Überwindung.

      »Ist er immer so dumm, wie?«

      »O nein, wenn er nicht betrunken ist, ist er gar nicht so dumm.«

      »Ich habe einen General gekannt, der genau ebensolche Verse schrieb,« bemerkte ich lachend.

      »Sogar aus diesem Briefe ist zu ersehen, daß es ihm nicht an Verstand fehlt,« warf der schweigsame Mawriki Nikolajewitsch unerwartet dazwischen.

      »Er lebt, wie es heißt, mit einer Schwester zusammen?« fragte Lisa.

      »Ja, allerdings!«

      »Und es wird gesagt, er tyrannisiere sie; ist das wahr?«

      Schatow blickte Lisa wieder an, machte ein finsteres Gesicht und brummte: »Was kümmert es mich?« Dann ging er zur Tür.

      »Ach, warten Sie doch!« rief Lisa erregt. »Wo wollen Sie denn hin? Wir haben ja noch so vieles miteinander zu besprechen ...«

      »Worüber sollen wir denn noch reden? Ich werde Sie morgen benachrichtigen ...«

      »Über das Wichtigste, die Druckerei. Sie können mir glauben, daß ich keinen Scherz treibe, sondern ernstlich etwas leisten will,« versicherte Lisa in immer wachsender Erregung. »Wenn wir uns dazu entschließen, das Buch herauszugeben, wo werden wir es dann drucken lassen? Das ist ja doch die wichtigste Frage; denn nach Moskau werden wir doch deswegen nicht reisen, und in einer hiesigen Druckerei ist die Herstellung einer solchen Ausgabe unmöglich. Ich habe mich schon längst dafür entschieden, eine eigene Druckerei einzurichten, wenn auch auf Ihren Namen, und Mama wird es sicherlich erlauben, vorausgesetzt, daß es auf Ihren Namen geschieht ...«

      »Woher wissen Sie denn, daß ich mit dem Drucken Bescheid weiß?« fragte Schatow grimmig.

      »Peter Stepanowitsch hat mir, als ich noch in der Schweiz war, ausdrücklich gesagt, Sie könnten eine Druckerei leiten und verständen sich auf dieses Metier. Er wollte mir sogar ein Briefchen an Sie mitgeben; aber ich habe es vergessen.«

      In Schatows Gesicht ging, wie ich mich noch jetzt erinnere, eine auffällige Veränderung vor. Er blieb noch einige Sekunden stehen und ging auf einmal aus dem Zimmer.

      Lisa wurde ärgerlich.

      »Geht er immer so weg?« fragte sie, sich an mich wendend.

      Ich zuckte die Achseln; aber plötzlich kehrte Schatow zurück, ging geradeswegs auf den Tisch zu und legte das Zeitungspaket, das er mitgenommen hatte, darauf.

      »Ich werde nicht Ihr Mitarbeiter sein; ich habe keine Zeit ...«

      »Warum denn nicht? Warum denn nicht? Es scheint, daß Sie etwas übelgenommen haben?« fragte Lisa in betrübtem, bittendem Tone.

      Dieser Ton schien auf ihn Eindruck zu machen; ein paar Augenblicke sah er sie unverwandt an, wie wenn er geradezu in ihre Seele hineinschauen wollte.

      »Ganz gleich!« murmelte er leise. »Ich will nicht ...«

      Damit ging er endgültig fort. Lisa war ganz bestürzt, anscheinend sogar mehr, als es die Sache verdiente; wenigstens hatte ich diesen Eindruck.

      »Ein höchst sonderbarer Mensch!« bemerkte Mawriki Nikolajewitsch laut.

       III.

      Sonderbar war er allerdings; aber die ganze Sache war doch außerordentlich unklar. Es mußte etwas dahinterstecken. Ich glaubte entschieden nicht an diese Herausgabe eines Buches; ferner dieser dumme Brief, in dem sehr deutlich eine Denunziation »auf Grund von schriftlichen Beweisen« offeriert wurde; über diesen Punkt aber hatten alle geschwiegen und es vorgezogen, von etwas ganz anderem zu sprechen. Dazu dann endlich noch diese Druckerei und der Umstand, daß Schatow plötzlich weggegangen war, gerade weil Lisa von der Druckerei zu reden angefangen hatte. Alles dies brachte mich auf den Gedanken, daß hier schon vor meinem Besuche etwas vorgegangen sei, wovon ich nichts wisse, daß ich mithin überflüssig sei und die ganze Sache mich nichts angehe. Auch war es Zeit, daß ich wegging: für einen ersten Besuch war ich schon lange genug dagewesen. Ich trat an Lisaweta Nikolajewna heran, um mich zu verabschieden.

      Sie schien völlig vergessen zu haben, daß ich im Zimmer war, und stand immer noch in Gedanken versunken auf demselben Flecke am Tische; den Kopf hielt sie geneigt und blickte regungslos auf einen bestimmten Punkt im Teppich.

      »Ah, Sie wollen auch gehen; auf Wiedersehen!« sagte sie in ihrem gewöhnlichen, freundlichen Tone. »Empfehlen Sie mich Stepan Trofimowitsch, und reden Sie ihm zu, recht bald zu mir zu kommen! Mawriki Nikolajewitsch, Anton Lawrentjewitsch geht fort. Entschuldigen Sie, Mama kann nicht kommen, um Ihnen Adieu zu sagen ...«

      Ich ging hinaus und war schon die Treppe hinabgestiegen und vor die Haustür gelangt, als mich ein Diener einholte.

      »Das gnädige Fräulein läßt Sie sehr bitten, noch einmal zurückzukommen.«

      Ich fand Lisa nicht mehr in jenem großen Salon, wo wir soeben gesessen hatten, sondern in dem anstoßenden Empfangszimmer. Die Tür nach dem Salon, in welchem jetzt Mawriki Nikolajewitsch allein zurückgeblieben war, war vollständig zugemacht.

      Lisa lächelte mich an; aber sie war blaß. Sie stand mitten im Zimmer, sichtlich unentschlossen und sichtlich mit sich kämpfend; aber auf einmal faßte sie mich bei der Hand und führte mich schweigend schnell ans Fenster.

      »Ich will unverzüglich dieses Mädchen sehen,« flüsterte sie, indem sie einen leidenschaftlichen,