Die Dämonen. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754173145
Скачать книгу
teilte ihr in diesem Briefe mit, daß Nikolai Wsewolodowitsch bei ihnen viel im Hause verkehre, mit Lisa (ihrer einzigen Tochter) Freundschaft geschlossen habe und die Familie im Sommer nach der Schweiz, nach VernexMontreux, zu begleiten vorhabe, trotzdem er in der Familie des Grafen K*** (einer in Petersburg sehr einflußreichen Persönlichkeit), der sich jetzt in Paris aufhalte, wie ein leiblicher Sohn Aufnahme gefunden habe, so daß er beinahe ganz bei dem Grafen lebe. Der Brief war kurz und ließ seinen Zweck klar erkennen, obgleich er nur die oben angeführten Tatsachen, aber keine Schlußfolgerungen aus ihnen enthielt. Warwara Petrowna überlegte nicht lange; in einem Augenblick hatte sie ihren Entschluß gefaßt, machte sich fertig, nahm ihre Pflegetochter Dascha (Schatows Schwester) mit und fuhr Mitte April nach Paris und dann nach der Schweiz. Im Juli kehrte sie allein zurück, indem sie Dascha bei Drosdows gelassen hatte; Drosdows selbst hatten, nach einer Nachricht, die sie mitbrachte, versprochen, Ende August zu uns zu kommen.

      Die Drosdows waren ebenfalls eine Gutsbesitzerfamilie in unserem Gouvernement; aber der Dienst des Generals Iwan Iwanowitsch (der mit Warwara Petrowna befreundet und ein Kamerad ihres Mannes gewesen war) hatte sie beständig gehindert, jemals ihr prächtiges Gut zu besuchen. Nach dem im vorigen Jahre erfolgten Tode des Generals hatte die untröstliche Praskowja Iwanowna sich mit ihrer Tochter ins Ausland begeben, unter anderm auch in der Absicht, eine Traubenkur zu gebrauchen, die sie in der zweiten Hälfte des Sommers in VernexMontreux vorzunehmen gedachte. Nach ihrer Rückkehr in das Vaterland hatte sie vor, sich in unserm Gouvernement dauernd niederzulassen. In der Stadt hatte sie ein großes Haus, das schon viele Jahre leer stand und dessen Fenster mit Brettern verschlagen waren. Sie waren sehr reiche Leute. Praskowja Iwanowna, in erster Ehe Frau Tuschina, war, wie ihre Pensionsfreundin Warwara Petrowna, ebenfalls die Tochter eines Branntweinpächters der früheren Zeit und hatte ebenfalls bei ihrer Verheiratung eine große Mitgift erhalten. Der Rittmeister a.D. Tuschin war selbst bemittelt gewesen und hatte einige Fähigkeiten besessen. Bei seinem Tode vermachte er seiner siebenjährigen einzigen Tochter Lisa ein hübsches Kapital. Jetzt, wo Lisaweta Nikolajewna schon ungefähr zweiundzwanzig Jahre alt war, konnte man ihr Vermögen kühn auf zweihunderttausend Rubel eigenen Geldes schätzen, ungerechnet das Vermögen, das ihr seiner Zeit als Erbschaft von ihrer Mutter zufallen mußte, die in ihrer zweiten Ehe keine Kinder gehabt hatte. Warwara Petrowna war mit dem Erfolge ihrer Reise anscheinend sehr zufrieden. Ihrer Meinung nach hatte sie sich mit Praskowja Iwanowna bereits in befriedigender Weise geeinigt, und sie teilte gleich nach ihrer Ankunft alles Stepan Trofimowitsch mit; sie war ihm gegenüber sogar sehr offen, was schon seit langer Zeit bei ihr nicht der Fall gewesen war.

      »Hurra!« rief Stepan Trofimowitsch und schnippte mit den Fingern.

      Er war höchst entzückt, um so mehr, da er die ganze Zeit der Trennung von seiner Freundin in größter Niedergeschlagenheit verbracht hatte. Bei ihrer Abreise ins Ausland hatte sie von ihm nicht einmal ordentlich Abschied genommen und »diesem alten Weibe« nichts von ihren Plänen mitgeteilt, vielleicht in der Befürchtung, daß er etwas weiterplaudern werde. Sie war damals auf ihn wegen eines beträchtlichen Verlustes im Kartenspiel ärgerlich gewesen, der plötzlich zutage gekommen war. Aber schon, als sie noch in der Schweiz war, hatte sie in ihrem Herzen gefühlt, daß sie den zurückgesetzten Freund bei ihrer Rückkehr belohnen müsse, um so mehr, da sie ihn schon seit längerer Zeit unfreundlich behandelt habe. Die schnelle, geheimnisvolle Trennung hatte Stepan Trofimowitschs schüchternes Herz befremdet und verwundet, und unglücklicherweise drangen gleichzeitig auch noch andere Sorgen auf ihn ein. Es quälte ihn eine recht bedeutende, schon lange bestehende pekuniäre Verpflichtung, die ohne Warwara Petrownas Beihilfe schlechterdings nicht in befriedigender Weise erledigt werden konnte. Außerdem hatte im Mai des laufenden Jahres die Tätigkeit unseres guten, milden Iwan Osipowitsch als Gouverneur endlich ein Ende genommen; er wurde durch einen Nachfolger abgelöst, und sogar nicht ohne Unannehmlichkeiten. Darauf war, ebenfalls in Warwara Petrownas Abwesenheit, die Ankunft unseres neuen Chefs, Andrei Antonowitsch v. Lembke, erfolgt; damit gleichzeitig hatte sofort auch eine merkliche Veränderung in den Beziehungen fast der ganzen höheren Gesellschaft unserer Gouvernementsstadt zu Warwara Petrowna und folglich auch zu Stepan Trofimowitsch begonnen. Wenigstens hatte er bereits mehrere unangenehme, wiewohl wertvolle Beobachtungen gemacht und war, wie es schien, so allein, ohne Warwara Petrowna, sehr ängstlich geworden. In großer Aufregung argwöhnte er, daß er dem neuen Gouverneur schon als ein gefährlicher Mensch denunziert sei. Er hatte als sicher erfahren, daß mehrere unserer Damen ihre Besuche bei Warwara Petrowna einzustellen beabsichtigten. Über die künftige Frau Gouverneur (die bei uns erst zum Herbst erwartet wurde) hieß es allgemein, sie sei zwar dem Vernehmen nach sehr stolz, aber dafür eine echte Aristokratin, »eine ganz andere Sorte als unsere unglückliche Warwara Petrowna.« Allen war es irgendwoher mit Einzelheiten glaubwürdig bekannt, daß die neue Frau Gouverneur und Warwara Petrowna schon früher einmal in der Gesellschaft einander begegnet, aber als Feindinnen voneinander geschieden seien, so daß schon die bloße Erwähnung des Namens der Frau v. Lembke auf Warwara Petrowna einen peinlichen Eindruck machen werde. Aber Warwara Petrownas mutige, siegesbewußte Miene und der geringschätzige Gleichmut, mit dem sie die Mitteilungen über die Meinungen unserer Damen und über die Aufregung der Gesellschaft anhörte, belebten die gesunkenen Lebensgeister des furchtsamen Stepan Trofimowitsch von neuem und machten ihn in einem Augenblicke wieder heiter. Mit freudiger Dienstwilligkeit und besonderem Humor begann er ihr von der Ankunft des neuen Gouverneurs zu erzählen.

      »Es ist Ihnen, excellente amie, ohne Zweifel bekannt,« sagte er, indem er die Worte in gezierter, stutzerhafter Weise in die Länge zog, »was ein russischer Verwaltungsbeamter allgemein gesagt und insbesondere ein neuer, das heißt neugebackener, neuernannter russischer Verwaltungsbeamter zu bedeuten hat. Aber Sie haben wohl kaum bisher aus eigener Erfahrung kennen gelernt, was es mit dem Beamtenkoller auf sich hat, und was das eigentlich für ein Ding ist?«

      »Beamtenkoller? Nein, ich weiß nicht, was das ist.«

      »Das ist ... Vous savez, chez nous ... En un mot, man stelle einen ganz wertlosen Menschen als Verkäufer von elenden Eisenbahnbilletten an, und dieser wertlose Mensch wird sich sogleich für berechtigt halten, auf Sie wie ein Jupiter herabzusehen, wenn Sie ein Billett lösen wollen, pour vous montrer son pouvoir. ›Warte,‹ denkt er, ›ich werde dir mal meine Macht zeigen!‹ Und so kommt es bei diesen Leuten zum Beamtenkoller. En un mot, da habe ich neulich gelesen, daß im Ausland in einer unserer Kirchen ein Küster (mais c'est très curieux) unmittelbar vor dem Beginn des Fastengottesdienstes (vous savez ces chants et le livre de Iob) eine vornehme englische Familie, les dames charmantes, aus der Kirche hinausgejagt hat, das heißt buchstäblich hinausgejagt, einzig und allein mit der Begründung, es passe sich nicht, daß sich Fremde in den russischen Kirchen umhertrieben; sie sollten zu der dafür angesetzten Zeit kommen. Die Damen fielen beinah in Ohnmacht. Dieser Küster hatte einen Anfall von Beamtenkoller, et il a montré son pouvoir ... «

      »Fassen Sie sich kurz, Stepan Trofimowitsch, wenn es Ihnen möglich ist!«

      »Herr v. Lembke hat also jetzt das Gouvernement bereist. En un mot, dieser Andrei Antonowitsch ist zwar ein Deutschrusse rechtgläubiger Konfession und sogar (das will ich ihm konzedieren) ein auffallend hübscher Mann in den Vierzigen ...«

      »Woher haben Sie das, daß er ein hübscher Mann ist? Er hat Hammelaugen.«

      »Im höchsten Grade. Aber ich konzediere das aus Konnivenz gegen das Urteil unserer Damen ...«

      »Bitte, lassen Sie uns von etwas anderem reden, Stepan Trofimowitsch! Apropos, Sie tragen ein rotes Halstuch; tun Sie das schon lange?«

      »Ich ... ich habe erst heute ...«

      »Und machen Sie sich auch gehörig Bewegung? Gehen Sie täglich Ihre sechs Werst spazieren, wie es Ihnen der Arzt verordnet hat?«

      »Nicht ... nicht immer.«

      »Das habe ich doch gewußt! Schon, als ich noch in der Schweiz war, ahnte es mir!« rief sie in gereiztem Tone. »Jetzt werden Sie nicht sechs, sondern zehn Werst täglich gehen! Sie sind furchtbar heruntergekommen, furchtbar, ganz furchtbar! Sie sind nicht sowohl alt geworden, sondern schlaff und matt. Ich habe einen Schreck bekommen, als ich Sie vorhin sah, trotz Ihres roten Halstuches ... quelle idée rouge! Fahren Sie nun über Lembke fort, wenn