»Ist das wahr?«
»Ich habe mich sogar genötigt gesehen, meine Maßregeln dagegen zu ergreifen. Als man ihm über Sie ›berichtete‹, Sie hätten ›das Gouvernement verwaltet‹, vous savez, da erlaubte er sich die Bemerkung: ›So etwas wird nicht mehr vorkommen.‹«
»Hat er das gesagt?«
»Ja, ›so etwas wird nicht mehr vorkommen‹, und avec cette morgue ... Seine Gemahlin Julija Michailowna werden wir Ende August hier zu sehen bekommen; sie kommt direkt aus Petersburg.«
»Vielmehr aus dem Auslande. Ich bin mit ihr zusammengetroffen.«
»Vraiment?«
»In Paris und in der Schweiz. Sie ist mit Drosdows verwandt.«
»Verwandt? Was für ein merkwürdiges Zusammentreffen! Es heißt, sie sei sehr ehrgeizig und habe hohe Konnexionen?«
»Unsinn! Ihre Konnexionen sind ganz unbedeutend! Bis zum Alter von fünfundvierzig Jahren war sie eine alte Jungfer ohne eine Kopeke Geld; nun ist es ihr gelungen, ihren Lembke zu kapern, und jetzt geht natürlich ihr ganzes Dichten und Trachten darauf, ihm zu einer Karriere zu verhelfen. Sie sind beide Intriganten.«
»Man sagt, sie sei zwei Jahre älter als er?«
»Fünf Jahre älter. Ihre Mutter machte mir in Moskau gewaltig den Hof. Sie wurde nur aus Mitleid zu den Bällen eingeladen, die ich zu Wsewolod Nikolajewitschs Lebzeiten gab. Und diese jetzige Frau v. Lembke saß manchmal die ganze Nacht über ohne einen Tänzer in der Ecke, mit ihrer Türkismouche auf der Stirn, so daß ich nach zwei Uhr ihr den ersten Kavalier zuschickte. Sie war damals schon fünfundzwanzig Jahre alt, wurde aber immer noch wie ein kleines Mädchen im kurzen Kleidchen ausgeführt. Man mußte sich genieren, die beiden bei sich zu haben.«
»Es ist mir, als ob ich diese Mouche vor mir sähe!«
»Ich sage Ihnen, ich kam hin und stieß sofort auf eine Intrige. Sie haben ja doch soeben Frau Drosdowas Brief gelesen; was konnte klarer sein? Was aber fand ich? Frau Drosdowa, diese Närrin (sie ist immer eine Närrin gewesen), sieht mich fragend an, warum ich denn eigentlich gekommen sei? Sie können sich mein Erstaunen vorstellen! Ich merkte sehr schnell, daß diese Lembke um sie fuchsschwänzelte, und bei ihr war dieser Vetter, ein Neffe des alten Drosdow; nun war mir alles klar! Selbstverständlich brachte ich alles in einem Augenblicke wieder ins rechte Geleise, und Praskowja ist nun wieder auf meiner Seite; aber ich war doch empört über die Intrige!«
»Über die Sie jedoch den Sieg davongetragen haben. O, Sie sind ein Bismarck!«
»Auch ohne ein Bismarck zu sein, bin ich imstande, Falschheit und Dummheit zu erkennen, wo ich ihnen begegne. Die Lembke ist falsch, und Praskowja ist dumm. Selten habe ich eine apathischere Frau gesehen, und dazu hat sie noch geschwollene Füße, und dazu ist sie noch gutmütig. Was kann dümmer sein als so eine dumme, gute Seele?«
»Ein moralisch schlechter Dummkopf, ma bonne amie, ein moralisch schlechter Dummkopf ist noch dümmer,« widersprach Stepan Trofimowitsch ihr in wohlanständiger Weise.
»Da haben Sie vielleicht recht. Sie erinnern sich wohl noch an Lisa?«
»Charmante enfant!«
»Aber jetzt ist sie nicht mehr ein enfant, sondern eine junge Dame, und eine junge Dame mit ausgeprägtem Charakter. Sie ist edeldenkend und feurig, und ich liebe es an ihr, daß sie sich ihrer Mutter, dieser vertrauensseligen Närrin, nicht fügt. Um dieses Vetters willen ist es da beinah zum Krach gekommen.«
»Und dabei ist er ja mit Lisaweta Nikolajewna eigentlich gar nicht einmal verwandt ... Hat er denn Absichten?«
»Sehen Sie, er ist ein junger Offizier, sehr schweigsam und sogar bescheiden. Ich bemühe mich immer, gerecht zu sein. Mir scheint, daß er selbst gegen diese ganze Intrige ist und keine Wünsche nach dieser Richtung hat, und daß nur die Lembke schlau manövriert. Er achtete Nikolai sehr. Sie verstehen: die ganze Sache hängt von Lisa ab; aber als ich abreiste, war ihr Verhältnis zu Nikolai das allerbeste, und Nikolai selbst hat mir versprochen, jedenfalls im November zu uns zu kommen. Also es intrigiert da einzig und allein die Lembke, und Praskowja ist einfach blind. Auf einmal sagte sie zu mir, mein ganzer Verdacht sei nur eine Einbildung; ich antwortete ihr ins Gesicht, sie sei eine Närrin. Ich bin bereit, das beim Jüngsten Gericht zu erhärten. Und wenn mich nicht Nikolai gebeten hätte, es vorläufig zu unterlassen, so wäre ich von da nicht weggefahren, ohne dieses falsche Weib entlarvt zu haben. Sie hat sich durch Nikolais Vermittlung beim Grafen K*** eingeschmeichelt; sie hat Mutter und Sohn veruneinigen wollen. Aber Lisa ist auf unserer Seite, und mit Praskowja bin ich zu einer Einigung gelangt. Wissen Sie, daß Karmasinow mit der Lembke verwandt ist?«
»Wie? Der ist mit Frau v. Lembke verwandt?«
»Allerdings. Entfernt verwandt.«
»Karmasinow, der Novellist?«
»Nun ja, der Schriftsteller; was ist Ihnen dabei verwunderlich? Er selbst hält sich freilich für ein großes Tier. Ein aufgeblasener Patron! Sie wird mit ihm zusammen herkommen; jetzt brüstet sie sich dort mit ihm. Sie beabsichtigt, hier etwas einzuführen, so eine Art von literarischem Kränzchen. Er wird auf einen Monat herkommen; er will hier sein letztes Gut verkaufen. Ich wäre in der Schweiz beinahe mit ihm zusammengetroffen, was mir sehr wenig erwünscht gewesen wäre. Übrigens hoffe ich, daß er mir hier die Ehre erweisen wird, mich wiederzuerkennen. In alter Zeit hat er Briefe an mich geschrieben und in meinem Hause verkehrt. Es wäre mir lieb, wenn Sie sich besser kleideten, Stepan Trofimowitsch; Sie werden mit jedem Tage schlumpiger. Ach, was habe ich mit Ihnen für Quälerei! Was lesen Sie denn jetzt?«
»Ich ... ich ...«
»Ich verstehe schon. Bei Ihnen ist alles wie früher: der Verkehr mit den Freunden, das Trinken, der Klub und die Karten, und der Ruf eines Atheisten. Dieser Ruf gefällt mir nicht, Stepan Trofimowitsch. Ich mag nicht, daß man Sie einen Atheisten nennt; besonders jetzt mag ich das nicht. Ich habe es auch früher nicht gemocht, weil das ja doch mit dem Atheismus alles nur leeres Gerede ist. Das muß ich Ihnen endlich einmal sagen.«
»Mais, ma chère ...«
»Hören Sie, Stepan Trofimowitsch, in allen gelehrten Dingen bin ich natürlich Ihnen gegenüber arg unwissend; aber während der Herreise habe ich viel an Sie gedacht. Ich bin zu einer Überzeugung gelangt.«
»Zu welcher denn?«
»Zu der Überzeugung, daß wir beide, Sie und ich, nicht die klügsten Menschen auf der Welt sind, sondern daß es noch klügere gibt als wir.«
»Geistreich und treffend! Es gibt klügere Leute; das heißt, es gibt Leute, die das Richtige besser erkennen als wir; also können wir uns irren, nicht wahr? Mais, ma bonne amie, gesetzt auch, ich irre mich, so habe ich doch mein allgemein menschliches, dauerndes, höchstes Recht, frei nach meinem Gewissen zu handeln. Ich habe das Recht, wenn ich will, kein Frömmler und kein Fanatiker zu sein, und aus diesem Grunde werden mich naturgemäß verschiedene Herren bis zum Ende aller Dinge hassen. Et puis, comme on trouve toujours plus de moines que de raison, und da ich völlig dieser Meinung bin..«
»Wie war das? Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte: on trouve toujours plus de moines que de raison, und da ich völlig ...«
»Das rührt gewiß nicht von Ihnen her; das haben Sie gewiß irgendwoher entlehnt?«
»Das hat Pascal gesagt.«
»Das habe ich mir doch gedacht, daß es nicht von Ihnen herrührte!