Bernard hätte am liebsten die ganze Speisekarte rauf und runter bestellt, nur um noch länger hier bleiben zu können, jedoch musste er um 2300 Uhr zurück auf seinem Stützpunkt sein. Er hatte nur noch wenig Zeit, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Aber wie?
Auf einmal hatte er ‘die Idee’. Er bat Isabelle an seinen Tisch und er frage sie: «Isabelle, willst du meine Frau werden?» - Die Antwort kam prompt, aber nicht wie von ihm erwartet. Sie antwortete: «Mal schauen, vielleicht, wir werden sehen. Wann wollen wir uns das nächste Mal treffen?» - Bernard war abermals baff und er antwortete: «In einer Woche.» «Oh, das ist aber lang, aber ok! Dann sehen wir uns also in einer Woche wieder. Hier im Restaurant. Mach’s gut und tschüss.»
Bernard war ob er Reaktion völlig verunsichert und er konnte sie gar nicht richtig einordnen. Er bezahlte sein Bier und verliess das Restaurant.
Die Tage zwischen dem letzten Sonntag und der folgenden Woche verliefen alles andere als befriedigend. Zum einen konnte Bernard an nichts anderes als an Isabelle denken, zum andern war das Alltagsgeschäft mehr als mühsam. Neben den administrativen Arbeiten standen unzählige Kleindelikte an, die es zu bearbeiten galt: Ladendiebstahl im Einkaufszentrum Carrefour, Vandalismus bei der Präfektur und häusliche Gewalt in einer scheinbar ehrbaren Familie. Was Bernard hingegen am meisten beschäftigte, war der Umstand, dass ab einem Ausflug im nahen gelegenen Parc Naturel Régional de Camargue ein 12-jähriges Mädchen vermisst wurde. Das Mädchen war mit ihren Eltern und den beiden Geschwistern unterwegs und ab einem Zwischenhalt im lichten Wald war das Kind plötzlich verschwunden.
Die Nachsuche der Eltern verlief ergebnislos und sie konnten sich nicht erklären, wo das Mädchen stecken könnte. Der Naturpark war riesig mit Vögeln, freilaufenden Stieren und Pferden, aber auch mit unberechenbaren Sümpfen. Endlich alarmierten die Eltern die Polizei. Bernard war sofort zur Stelle und er organisierte in Abwesenheit seines Chefs das Notwendigste. Vor allem musste es darum gehen, unverzüglich und mit dem grösstmöglichen Aufgebot die Suche nach dem Mädchen einzuleiten. Hilfreich für diese Zwecke waren jeweils die «Sapeurs-Pompiers», die Feuerwehr im Zuständigkeitsbereich. Sie half stets unkompliziert und war sich gewohnt, in unwegsamem Gelände zu wirken.
So zum Glück auch heute. Nach nur kurzer Zeit konnte das Mädchen bei einem Flussbett gefunden werden. Sie wollte einige Fische beobachten und ist dabei ins Straucheln geraten. Der verknackte Fuss erlaubte es ihr nun aber nicht mehr zu laufen und so blieb ihr nichts anderes übrig, als auf Hilfe zu hoffen. – Überglücklich nahmen die Eltern ihr Mädchen gegen Abend in die Arme und sie dankten den Hilfskräften für die Unterstützung. Der Tag war ein voller Erfolg für Bernard, und er ging zufrieden und mit einem Wohlgefühl nach Hause, schloss im Bett die Augen und sah Isabelle vor sich. Wow, welch schöne Frau! Hoffentlich werden wir eins!
Isabelle war die ältere Tochter von Fabienne, der Ehefrau von Paul Bertrand. Fabienne führte das Restaurant «La Cigale», welches für seine Muschelspezialitäten bekannt war. Fabienne war eine gewiefte Geschäftsfrau, welcher man so schnell nichts vormachen konnte. Sie hatte den Laden im Griff. Ab und zu wurde sie von ihren beiden Töchtern, Isabelle und Désirée, unterstützt. Die beiden jungen Frau lebten jedoch zumeist ihr eigenes Leben und so kam es nicht oft vor, beide im Restaurant anzutreffen. Désirée war von Beruf Kunstschmiedin, Isabelle Photographin. Beide hatten ihr künstlerisches Talent wahrscheinlich von ihrem Vater mit auf den Weg bekommen. Paul war von Beruf Künstler, der naiven Malerei zugetan. Leben konnte die Familie Bertrand kaum von den Einkünften des Mannes, womit es mehr als willkommen war, dass Fabienne ein solch glückliches Händchen im Umgang mit Geld hatte.
Bernard konnte es kaum erwarten, bis wieder Wochenende war. Er sehnte sich nach Isabelle, obwohl er sie kaum kannte. Sie hatte ihn einfach verzückt, ihm den Verstand geraubt. Am Sonntag, kurz nach dem Mittagessen, wollte er sich auf den Weg machen. Sein Döschwo zeigte ihm die Schnauze und signalisierte: Ich bin bereit. – Aber weit gefehlt. Die erste Zündung fiel ins Leere, ebenfalls die zweite und bei der dritten klang die Batterie schon erstaunlich müde. Was tun? Glücklicherweise konnte man einen 2 CV auch mittels Kurbel im Motorraum zum Starten bringen, sofern das Vehikel denn wollte. Also setzte Bernard den Hebel an und er bekam prompt den Rückschlag der Kurbel ins Handgelenk zu spüren. Du verfluchtes «Mistding», ging Bernard durch den Kopf, aber er äusserte es nicht, da er wusste, dass seine «Ente» pfleglich behandelt werden wollte. Also sprach er ihr gut zu und siehe da, beim zweiten Mal sprang die Karre an.
Angekommen in Arles platzierte er sein Entchen so, dass er es leicht anschieben konnte, sollte es wieder bocken. Zum Glück gab es in der Nähe des Restaurants «La Cigale» eine Seitenstrasse, die leicht abwärts zum Rhone Ufer führte. Hoffentlich hielt die Handbremse und löste sich der eingelegte Rückwärtsgang nicht. Mit dieser Hoffnung begab sich Bernard ins Restaurant. Dort angekommen hätte seine Enttäuschung nicht grösser sein können. Anstelle von Isabelle begrüsste ihn ein junger Mann, gutaussehend, etwa in seinem Alter und sehr adrett gekleidet. Er erkundigte sich nach seinen Wünschen und wies ihm einen Tisch zu. Bernard bestellte wie beim letzten Mal ein «demi».
Nach etwa einer halben Stunde und einem zweiten «demi» wollte Bernard bereits aufbrechen, als zwei junge, hübsche Damen das Restaurant betraten. Die eine von den beiden war Isabelle, die andere kannte er nicht. Sofort erkannte Isabelle Bernard und sie trat zu seinem Tisch. «Darf ich dir vorstellen? Dies ist meine Schwester Désirée. Wir helfen unserer Mutter ab und zu hier im Restaurant. Der gutgekleidete Kellner ist übrigens unser Bruder Claude. Auch er hilft hier ab und zu aus; so wie heute.»
«Hast du schon etwas gegessen, Bernard? Wie wäre es mit ‘moules et frites’? Eine Spezialität des Hauses. Meine Mutter versteht es hervorragend Muscheln zu kochen und diese sind heute Morgen frisch reingekommen.»
«Liebend gern, wenn du oder ihr auch mitesst», gab Bernard zur Antwort. Natürlich würde er am liebsten nur mit Isabelle alleine essen. Aber, sei es wie es soll, er genoss auf jeden Fall die Nähe zu seiner Angebeteten. Kurz darauf servierte Isabelle zwei Teller; wohlgefüllt und unglaublich fein riechend nach Knoblauch, Kräutern und frisch geschlagenem Rahm. Beide fingen an zu essen und nach kurzer Zeit sagte Isabelle: «Ja, ich will! Ja, ich will dich heiraten.»
Bernard wäre fast vom Stuhl gefallen, verschluckte sich an einem Pommes frites und konnte sich erst wieder langsam fassen, als ihm Isabelle liebevoll auf den Rücken klopfte. «Aber du kennst mich ja noch gar nicht richtig. Du weisst auch nicht wo und was ich arbeite», stammelte Bernard unbeholfen. «Doch», erwidert Isabelle. «Ich denke sehr wohl, dass ich dich kenne, so wie du bist, und dass ich dich richtig einschätzen kann. Ich liebe dich, und der Rest ist mir egal.» Zärtlich legte sie die Hand auf die seine, und der weitere Verlauf des Tages und des Abends soll ihr Geheimnis bleiben.
So kam es, wie es kommen musste. Wenige Wochen später wurde aus Mademoiselle Bertrand Madame Picard. Isabelle und Bernard heiraten in Arles, natürlich im Restaurant ihrer Mutter. Es war ein wunderschönes Fest, und wie auf wundersame Art und Weise verstanden sich die beiden Familien, Picard und Bertrand, auf Anhieb bestens.
Das Ehepaar Bernard und Isabelle musste schon bald wieder weiterziehen: Bernard wurde in die Aquitaine in der Nähe von Bordeaux versetzt. Dort sollte das Ehepaar auch eine Weile bleiben. Schon im Verlauf des ersten Jahres kam zusätzliches Leben in den Ehealltag: Michelle, die ältere Tochter der beiden erblickte das Licht der Welt. Zwei Jahre später gesellte sich Danielle dazu. – Von nun weg war klar, wer das Sagen hatte. Die beiden Mädchen verstanden es von Kindsbeinen an, ihre Eltern um den Finger zu wickeln und sich in der Familie durchzusetzen. Heute sind beide, Michelle und Danielle, erwachsen und wunderschön anzusehen: die eine gross und blond, die andere etwas kleiner und brünett, beide mit vollem langem Haar, ihrer Mutter Isabelle wie aus dem Gesicht geschnitten.
Aber nicht nur die äussere Erscheinung der beiden lässt keinen Zweifel offen, wer die Mutter ist. Auch im Charakter sind sie ihrer Mutter sehr ähnlich: offen, natürlich, spontan und äusserst herzlich. Bernard könnte sich keine liebevollere Familie wünschen.