Sie brach ab und dachte kurz nach.
»Dietram liebt mich und ich denke, ich liebe ihn auch.« Und wieder sah sie Michael mitleidvoll an. »Ich brauche keinen großen Jungen. Ich brauche einen ganz normalen Mann. Und Dietram ist dieser Mann.«
Vielleicht war er wirklich ein großer Junge, ... aber ein solch normales Leben kam für ihn tatsächlich nicht infrage. Niemals.
»Dann wünsche ich dir alles Gute.«
Nora ignorierte den Zynismus in seiner Stimme. Ruhig schloss sie ihre Koffer und wollte offensichtlich nur weg, ohne weiteren Streit, der zu nichts mehr geführt hätte.
»Das wünsche ich dir auch. Und vor allen Dingen wünsche ich dir eine Frau, die all deinen Unsinn mitmacht. Oder, ... für die du all deinen Unsinn, den du im Kopf hast, bereit bist aufzugeben.
... Ich war es leider nicht.«
»Ich glaube, ... diese Frau gibt es nicht.«
»Ich fürchte, da hast du recht. Aber ich würde sie dir gönnen.«
Sie nahm ihre Koffer, küsste ihn ein letztes Mal auf die Wange und ging zur Wohnungstür.
»Nora?«, rief er ihr zärtlich hinterher. Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn fragend an.
Doch er blieb stumm.
Alles war gesagt, so schien es. Er blickte in ihre dunklen Augen, die ihn ein letztes Mal traurig anlächelten. Im nächsten Moment war sie auch schon im Treppenhaus verschwunden.
Gedankenverloren blieb Michael zurück. Wieder einmal war er allein. Stille umgab ihn. Selbst der Straßenlärm hatte eine Pause eingelegt ... so schien es.
Er ging ins Schlafzimmer zurück, sah sich um und betrachtete nachdenklich die Abdrücke, die die Koffer auf der Bettdecke hinterlassen hatten, blickte auf den Wohnungsschlüssel.
War der Abschied wirklich so plötzlich gekommen? Waren all die Frauen, die es vor Nora gegeben hatte, nicht auch irgendwann einfach verschwunden?
Ja, das waren sie. Spätestens, wenn ihnen klar geworden war, dass es an seiner Seite nicht den erhofften gesellschaftlichen Aufstieg geben würde ... von dem sie geträumt hatten.
Michael Eschbronn der Ausnahmestudent und Sohn eines reichen Unternehmers. Und doch, all das bedeutete ihm recht wenig.
Dann war Nora also keine Ausnahme?
Doch, das war sie ... Ihre Ehrlichkeit, die war neu. Sie wollte einen Mann für ein normales Leben ... und dieser Mann war Michael Eschbronn nun wirklich nicht.
Aber bin ich tatsächlich so schwierig? Bin ich unfähig, eine normale Beziehung zu leben?
Doch was ist normal?
Für mich?
Er wusste es nicht. Noch nicht.
2
Tage später.
Lange hielt er sie in den Armen und blickte sie zärtlich an. Seine graublauen Augen hatten in den fast dreißig Jahren ihrer Ehe nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. Kamilla Eschbronn liebte ihren Mann. Noch immer. Vielleicht anders als am Anfang. Aber nach fast dreißig Ehejahren hatten sie sich natürlich verändert, weiterentwickelt. Jeder für sich ... und doch gemeinsam. Ein Geschenk, das es im Leben nicht oft gibt, das wusste sie. Das wussten beide.
Sie küsste ihn, voller Liebe, Dankbarkeit und Respekt.
Einen langen Moment später schob er sie ein Stück weg. Und er betrachtete sie.
»Was ist los? Du bist so ... so sentimental.«
Ja, das war sie, sentimental. Nach dreißig Jahren blieb dem Anderen das nicht verborgen.
»Es ist einfach schön mit dir. Noch immer.«
»Was ist schön mit mir, meine Kleine?«
Sie war lediglich nur einen halben Kopf kleiner als er und doch war sie von Anfang an seine ›Kleine‹ gewesen. Und das gefiel ihr. Und nicht nur das ... Sie ging ganz nah an ihn heran, hob den Kopf und flüsterte ihm ins Ohr:
»Ich freue mich schon darauf, dich heute Abend zu verführen.«
Verschmitzt sah er sie an und es schien, als sei er für einen Augenblick wieder der Fünfundzwanzigjährige, den sie damals kennen und lieben gelernt hatte. Und genauso antwortete er.
»Darauf freue ich mich auch, du böses, böses Mädchen.«
Wieder küsste er sie und drängte sich ganz dicht an sie.
Sie konnte seine Erregung spüren. Deutlich. Ohne Zurückhaltung. Auch das gefiel ihr.
Schließlich löste sie sich von ihm, strich ihm über den Arm und kräuselte die Stirn.
»Ich liebe dich. Und ich wünsche mir, dass unser Sohn, das nach dreißig Ehejahren auch einmal zu seiner Frau sagen kann.«
Ihre Worte hatten den Zauber der letzten Minuten ein wenig getrübt. Aber so war das eben, sie waren nicht nur ein Liebespaar, sie waren auch Eltern.
»Ich fürchte, dein Wunsch wird unerfüllt bleiben.«
Und schlagartig waren sie restlos in der Realität angekommen. Zumindest bis zum Abend.
»Ich hoffe, du hast unrecht.«
Hendrik lächelte sie an.
»Das hoffe ich auch. Aber ...« Er überlegte. »Ich weiß nicht, ob er es jemals lernen wird.«
»Er muss nichts lernen. Er sollte nur endlich anfangen, auf sein Herz zu hören. Dann wird er unter den vielen hübschen Frauen auch die richtige sehen.«
»Was war falsch an Nora?«
»Nichts! Für uns. Aber offensichtlich hat sie ihn nicht wirklich berührt.«
»Aber er leidet.«
»Sei mir nicht böse, doch das ist sicherlich nur verletzte Eitelkeit.«
»Meinst du?«
»Ja, ganz sicher. So seid ihr Männer. Ihr wollt erobern und wisst dann oft nichts mit eurer Eroberung anzufangen.«
»Ich schon.« Wieder zog Hendrik Eschbronn seine Frau fest an sich.
Und sie lächelte.
»Ja, du schon. Und deshalb hab ich dich auch geheiratet. Du hast mich ausgewählt und wusstest von Anfang an warum.«
»Ja, das wusste ich. Vom ersten Moment an.«
Wieder küsste er sie.
»Warum hat unser Sohn nur so wenig von dir?«, sagte sie, nachdem Hendrik sie wieder losgelassen hatte.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte ich auf der Kreuzfahrt einmal mit ihm darüber sprechen.«
»Nein! Bitte, lass ihn. Ich freue mich, ihn endlich nach ... nach einem halben Jahr wiederzusehen. Ich freue mich, dass er nicht diese dumme Wanderung macht, sondern mit uns feiern wird. Unseren dreißigsten Hochzeitstag. Und deshalb bitte ich dich, lass ihn einfach. Und vielleicht findet er auf dem Schiff ja auch ein wenig Ablenkung.«
»Das wird er ganz bestimmt. So wie man mir von der Reederei gesagt hat, sind diesmal sehr viele junge Leute mit an Bord.
Darum mache ich mir also keine Sorgen.«
Kamilla Eschbronn wusste sofort, dass ihren Mann etwas bedrückte.
»Aber ...?«
»Aber?«, wiederholte er die Frage seiner Frau, sah sie nachdenklich an und dachte an die letzten Worte seines Sohnes, die er gestern am Telefon geäußert hatte. »Was hat er jetzt wieder vor? ›Ich komme nur dann mit, wenn ich