Bis gestern waren wir doch noch glücklich, oder? Ein Gedanke, der seine Wirklichkeit verloren zu haben schien.
Ihre Worte, hart und flüchtig, bekräftigten diese Befürchtung.
»Wonach sieht es denn aus?«
Michael schüttelte den Kopf, wollte nicht begreifen, was er sah, was hier vor sich ging.
»Was ist denn passiert? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?«
Für einen Augenblick unterbrach Nora das hastige Vollstopfen ihrer Koffer und blickte ihn aus ratlosen und mitleidigen Augen an.
»Nein, ... oder vielleicht doch. Aber das ist jetzt nicht mehr von Belang.«
Er zuckte die Achseln. Er verstand ihre Worte nicht.
»Was ist nicht mehr von Belang? ... Erklär es mir! ... Wenn ich nichts falsch gemacht habe, warum packst du dann? Und was hast du vor?«
Sie lächelte und sprach, ohne Verständnis für ihre Worte zu erwarten.
»Dein Problem ist, du machst nichts falsch, weil du nichts machst.«
Er zuckte die Achseln. Er verstand noch immer nicht.
»Das stimmt doch nicht. Ich bereite gerade unsere Wanderung vor.«
Ungläubig sah Nora ihn an.
»Genau! Du bereitest diese unsinnige Wanderung vor. Und nur damit beschäftigst du dich. Die ganzen Tage.«
»Aber was ist denn so schlimm daran?«
Sie nickte.
»Du hast recht. Eigentlich gar nichts. Nur ... du bist seit Ewigkeiten mit deinem Studium fertig, hast seit einem halben Jahr deinen Doktortitel. Und was tust du?«
Nora schüttelte den Kopf, und sie fuhr fort: »Du kümmerst dich nicht im Mindesten um deine berufliche Zukunft. Und wohnst noch immer in dieser ... dieser Studentenbude.«
»Nach der Alpenüberquerung wollte ich alles in Angriff nehmen.«
Wieder unterbrach Nora das Packen.
»Michael, du bist ein Träumer. Ich kenne dich jetzt seit zehn Monaten. Und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass du großen Wert auf ein normales Leben legst. Hier ...« Nora reichte ihm einige Briefe. »Die haben mir deine Eltern mitgegeben. Das sind drei weitere Angebote von Universitäten, die dich gern als Dozenten hätten. Ich glaube, dann sind es insgesamt sechs, oder?«
»Ja, und?«
Er nahm die Briefe und warf einen kurzen Blick auf die Absender. Nora packte weiter.
»Du könntest in fünf Jahren Professor sein. Und was machst du?«
»Vielleicht will ich das gar nicht.«
Nora unterbrach das Packen ein weiteres Mal und nickte ... resigniert zustimmend.
»Ja gut, wenn das nichts für dich ist, warum nimmst du dann nicht das Angebot an, das dir dein Vater offeriert hat? ... Nicht jedem bietet sich die Chance, direkt nach dem Studium Juniorchef eines solchen Unternehmens zu werden. Wie viele Mitarbeiter hat das Unternehmen deines Vaters jetzt? ... Dreitausend?«
»Etwa fünftausend«, korrigierte er mit leiser Stimme. »Aber das interessiert mich auch nicht. Ich möchte meinen Weg gehen.«
»Ach, Michael, du bist jetzt siebenundzwanzig. Was ist denn dein Weg? Und wann wirst du das wissen? Vielleicht wenn du vierzig bist?«
Nora schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Du hast dein Studium mit Auszeichnung bestanden, hast deinen Doktor mit ›summa cum laude‹ gemacht. Dir stehen alle Türen offen und was machst du? ... Eine Wanderung über die Alpen.
Ich befürchte, wenn du von deiner Bergüberquerung zurück bist, dann fällt dir wieder etwas anderes ein. Vielleicht eine Wanderung durch die Sahara. Oder das Durchqueren von Feuerland.«
Michael versuchte zu lächeln, versuchte, diesem Gespräch die Endgültigkeit zu nehmen.
»Da bringst du mich auf eine Idee ...«
»Siehst du! ... Und das kommt noch dazu, du nimmst nichts ernst. Mich nicht, diese Stellenangebote nicht und auch deine Eltern nicht.«
»Was haben meine Eltern denn damit zu tun? Es ist mein Leben, oder?«
»Natürlich ist es das. Aber du kannst ihnen nicht verbieten, dass sie sich sorgen machen. Ich war gestern bei ihnen und habe mich von ihnen verabschiedet. Natürlich waren sie traurig darüber, aber viel schlimmer ist es für sie, dass du all deine Fähigkeiten einfach so wegwirfst. Und in dieser Bruchbude hier versauerst.«
Nachdenklich blickte er Nora an. Und sogleich hatte er den Ernst der Situation begriffen. Es war tatsächlich vorbei. Doch ...
»Können wir nicht noch einmal über alles reden?«
»Es tut mir leid.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich mag dich sehr, aber das ist nicht das Leben, wovon ich immer geträumt habe.«
Michael überlegte, blickte an den Koffern vorbei auf das Bett. Ein Doppelbett. Zwei Kissen, zwei Bettdecken, weiß, mit großen roten Blumen. Nora hatte das ausgesucht.
»War es nicht immer schön ... hier? Hatten wir hier nicht immer viel Spaß miteinander? Sogar vorgestern noch?«
Die letzte gemeinsame Nacht voller Liebe, voller Hingabe und Zärtlichkeit.
Nora sah ihn an und wieder schüttelte sie den Kopf.
»Aber das reicht mir nicht. Das ... das Bett allein genügt mir nicht. Sex und deine Träume sind mir zu wenig. Seit ein paar Wochen versuchte ich, es dir wieder und wieder zu erklären. Aber du hast mir überhaupt nicht zugehört. Und ich weiß nicht, warum?
Und jetzt ist Schluss. Es geht nicht mehr.«
Entrückt blickte sie das T-Shirt an, das sie gerade in Händen hielt.
»Ich möchte mir mit einem Mann etwas aufbauen. Ich möchte auch etwas mehr Komfort haben, als es diese Wohnung hier hergibt und ... ich möchte Kinder haben ... und nicht erst in zehn Jahren.
Ich will all das heute, denn ich lebe heute ... und nicht erst, wenn mein Mann weiß, was er will.«
Nora hob den Kopf und blickte ihm traurig und endgültig in die dunkelblauen Augen, die sie noch vor Wochen so verzaubert hatten. Doch der Zauber war vorbei.
»Vielleicht bist du zu intelligent für diese Welt. Vielleicht bin ich aber auch nicht die richtige Frau für dich ... Auf jeden Fall werde ich jetzt gehen. Es tut mir leid.«
Demonstrativ legte sie den Wohnungsschlüssel auf das Bett.
Es war vorbei.
Warum hatte er von alldem nichts mitbekommen? Hatte er in den letzten Wochen tatsächlich nicht richtig zugehört?
Bin ich wirklich dieser Träumer? Bin ich wirklich so lebensfremd?, dachte er. Bedrückt sah er Nora an, bedrückt, enttäuscht und wehmütig.
»Und ... was wirst du jetzt machen?«
Nora überlegte nicht lang, es schien, als gäbe es für sie keine Veranlassung, die Wahrheit zurückzuhalten. Sie fühlte sich ihm gegenüber nicht mehr verpflichtet ... Es war tatsächlich vorbei.
»Dietram Bergen hat mich über das Wochenende auf seine Segeljacht eingeladen.«
Michael kannte Dietram nur flüchtig, von zwei oder drei Partys. Er fand ihn langweilig, spießig, aber irgendwie auch zielstrebig ... mein Haus! ... meine Jacht! ... und jetzt auch: meine Frau?
Und er lächelte. Ironisch, spöttisch. Innerlich verletzt.
»Ach, ist es das? Brauchst du eine Jacht, um glücklich zu sein?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Michael,