»Verstelle Dich nicht, Elvire,« plauderte das Fräulein ungestört weiter. »Auch Du möchtest herrschen –«
»O ja,« entgegnete Elvire zurückschauend, aber im Fenster liegen bleibend. »Ich möchte ewig im Herzen meines Reinhard herrschen.«
»Narrenpossen! Herrschen im Herzen des Mannes? Egal! Ist nicht der Mühe wert! Du verstellst Dich auch nur. Du möchtest ebenso gern einen Thron besteigen.«
»Hier im Hause als Hausfrau – o, ja!«
»Möchtest Völker beglücken.«
»Es müsste mir vom Schicksale ein Völkchen Kinder beschieden sein – dann ganz gern!«
»Kinder? Pfui, Du redest als Braut schon von Kindern? Elvire, wir passen nicht zusammen!«
»Das merke ich auch, nachdem Du mir entwickelt hat, wie ein Schmetterling aus einer Puppe kriecht.«
»Meinst Du mich mit dem Schmetterlinge?« fragte das Fräulein indigniert. »Dein Gleichnis hinkt. Ich fühle Adlerskräfte und meine Adlersfittiche werden mich zu einer Höhe tragen! Verlass’ Dich darauf!«
»Ei – mit dieser schön gelungenen Phrase kannst Du immerhin vor Frau von Wallbott erscheinen,«„ spöttelte Elvire und bog sich schnell weiter hinaus. »Ich sehe einen Wagen daherrollen – vierspännig – sie wird es sein! – Wie? Ein Mann bog sich eben aus der Karosse? Wahrhaftig, es ist ein Herr bei ihr!«
»Voltaire? Ist es Voltaire?« fragte Gertrud, schnell von ihren Adlersträumen genesend und zu einer neugierigen Kindlichkeit überschweifend. Sie riss das andere Fenster auf und heftete die scharfen Augen aufmerksam auf den ziemlich schnell näherkommenden Wagen. Der Herr tat ihr den Gefallen nicht, noch einmal hinaufzublicken. Sie nahm jedoch an, dass es kein anderer als Voltaire sein könne, und stürzte mit dem Ausrufe:
»Ich muss es der Mama Pröhl melden!« zur Tür hinaus.
Mittlerweile rollte der Wagen in den ersten Hof ein, passierte die Zugbrücke und langte gerade vor dem Portale an, als sich der Schlossherr, Junker Wolf und einige der vornehmern Hausbeamten zum Empfange der verehrten Verwandtin des Hauses Rittberg aufgestellt hatten.
Die Benachrichtigung des Fräuleins hatte natürlich die Meinung verbreitet, in dem Begleiter der Frau von Wallbott den fremdländischen Philosophen und Satiriker begrüßen zu müssen, und Herr Reinhard Bünau von Rittberg hatte momentan mit einer kleinen ärgerlichen Verlegenheit zu kämpfen, als er über die Worte nachdachte, die er zur Bewillkommnung des Franzosen für nötig hielt.
Wer malt ein Erstaunen, als sich ihm aus dem Wagenfenster ein liebes, wohlbekanntes Gesicht entgegenstreckte und eine Stimme voll liebenswürdiger Heiterkeit ihm zurief:
»Eheu !Carissime ! Wen glaubt Ihr hierzu sehen? Der ungebetene Gast muss an der Türe stehen!«
»Gellert!« schrie Rittberg im Entzücken ganz ungebührlich laut und sprang allenDehors zuwider mit einem Satze an den Wagenschlag.
»Gellert!« tönte es wie im Echo von Junker Wolfs Lippen, und »Gellert! Gellert! Gellert!« ging es wie ein Lauffeuer bis in die Gemächer der Damen, dass sie alle herbeistürzten, um den geliebten, hochverehrten Mann gleich zu begrüßen. Auch Gertrud eilte herbei und drängte sich heran, bis sie eine Hand fassen und küssen konnte. Mit rührender Freundlichkeit empfing der Professor die Huldigungen der reinsten Freundschaft, welche schärfer als sonst in der Überraschung hervortraten, und Frau von Wallbott weidete sich sichtlich bewegt an der anmutigen Fröhlichkeit, die sich in Gellerts Worten und Bewegungen kundgab. Sie trat willig und gern in diesem heitern Tumulte zurück und wartete lächelnd des Momentes, wo man sie auch eines Willkommens wert halten möchte. Das geschah endlich, als der Professor von allen Händen gestreichelt und geliebkost aus dem Wagen gestiegen war, und sie auch Anstalt traf, denselben zu verlassen.
»Ins Teufels Namen, Gnädigste,« schrie der Oberst mit devotem Handkuss, »wo haben Sie denn diesen seltenen Vogel flügge gemacht?«
»In Leipzig, verehrter Freund,« antwortete die Dame freundlich, und ihr Blick fiel dabei auf Gertrudens Gesicht, das einen bedeutenden Anflug von Erstaunen aufwies. Sie nickte dem jungen Mädchen huldvoll und ungeniert zu, denn sie konnte, ohne sie zu kennen, erwarten, dass jetzt nur Stammverwandte im Schlosse Rittberg anzutreffen sein würden. Ein glühendes Rot überzog Gertrudens Wangen. So hatte sie sich Frau von Wallbott nicht gedacht. Freilich, das war eine geborene Kaiserin! Welche imposante Gestalt! Welch’ ein herablassend gütiger Blick – welch’ ein huldvolles Lächeln!
»Wie heißt Du, Kleine?« fragte sie leutselig und reichte ihr die Hand zum Kusse. Demütig, wie eine Klosternovize legte das kleine Fräulein die Lippen auf diese prächtig weiße Hand und flüsterte: »Gertrud von Spärkan!« -
»Ah – so! Ihre Schwestertochter, Herr Oberst!«
Eine entlassende Miene beendete die kurze Szene und sie referierte dann in kurzer, prägnanter Weise, wie sie nach Leipzig gemusst habe und dort ihrem guten Gellert begegnet sei, reisefertig, um zu ihr nach Gotha zu fahren.
»Es lag in der Natur der Sache, dass ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen wollte, um von der einmal rege gewordenen Reiselust unsers Freundes, sowohl für mich selbst, als auch für Euch, alle Vorteil zu ziehen,« schloss die Dame sehr gut gelaunt. »Hier habt Ihr ihn! Nun mögen die Grazien« – ihr Auge streifte flüchtig über die drei schönen Mädchen hin, die dicht bei Gellert Posto gefasst hatten – »ihr Amt antreten und die Penaten richtig unterweisen, damit es unserm Freunde hier wohlig erscheine.«
Sie grüßte mit graziösem Kopfneigen jeden Einzelnen des Kreises und stieg in königlicher Haltung am Arme ihres Neffen die südlich gelegene Treppe hinauf, um ihr Zimmer im südlichen Turme aufzusuchen.
Margareth hatte sich gleich anfangs mit einer krampfhaften Hast an ihre Brust geworfen, und von allen Umstehenden waren die seltsam betonten Worte vernommen worden:
»Warum hast Du mir das getan, Margareth?«
Jetzt traf die junge Dame, augenscheinlich beängstigt, Anstalt, ihre Tante zu ihrem Zimmer hinaufzubegleiten. Aber ein bedeutungsvoller Blick aus den dunkeln Augen derselben bannte sie erschrocken auf ihrem Platze, und sie senkte wie eine arme Sünderin auf einen Moment die Stirn, um sie dann aber wieder mit allem Ausdrucke fester Entschlossenheit empor zu richten. In diesem verhängnisvollen Augenblicke wendete sich Frau von Wallbott und betrachtete verwundert die blitzartige Verwandlung des schönen Gesichtes.
»In einer Stunde erwarte ich Dich, mein liebes Kind,« sprach sie mit milder Freundlichkeit. »Für jetzt muss ich ruhen – den Abend hoffe ich im Kreise meiner Lieben heiter verleben zu können!«
Sie verschwand. Gertrud schlich sich leise zu Margareth heran, die innerlich von der Einladung ihrer Erzieherin eben nicht erbaut schien, obgleich sie sich bemühete, eine heitere Miene zu zeigen. -
»Margareth,« flüsterte Gertrud, »Margareth – liebt Dich Deine Tante Wallbott? «
Margareth wendete sich rasch zu ihr um.
»Ja, Gertrud! Sie liebt mich ebenso – nein, mehr noch, als eine Mutter mich hätte lieben können,« entgegnete sie mächtig von Erinnerungen bewegt.
»Dann bedauere ich Dich! « sprach Gertrud mit weiser Miene.
»Warum? « fragte Margareth befremdet.
»Weil es mir vorkommt, als wäre man besser daran, wenn man von Frau von Wallbott gehasst würde,« antwortete das junge Mädchen voller Würde.-
Der Professor Gellert sah sie überrascht an und neigte gedankenvoll mehrmals sein Haupt, bevor er zu Frau von Pröhl halblaut sagte:
»Mir ist’s, als entschleiere sich mit Gertruds Worten die Zukunft Fräulein Margareths. Wer weiß, ob sie nicht durch Frau von Wallbotts Liebe ein leidenvolles Leben führen muss. «
Frau von