Gertrud. Luise Reinhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Luise Reinhardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183656
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      »Ein Wort im Vertrauen, lieber Rittberg! Muss ich denn lispeln,« – er sprach das Wort aus, als fehle ihm wenigstens die ganze Zungenspitze – »wenn Frau Tante von Wallbott hier ist?«

      »Nein! Nein!« erklärte Rittberg lächelnd. »Tante Wallbott gehört nicht zur Union der Sprachverbesserer.«

      »Doch, lieber Rittberg, doch! Sie ist die schlimmste gelehrte Dame, die ich kenne, und am Hofe zu Gotha soll schon stark ›gelispelt‹ werden, auch in Weimar und in Kassel! «

      »Natürlich,« fiel Junker Wolf ein. »An allen kleinen Höfen, wo nicht viel Platz für die Füße ist, recken sie umso mehr den Kopf in die Höhe, dem Himmel und ihrem eigenen Ruhme entgegen.«

      »Ich sage es Ihnen, Frau von Wallbott in ihrer Geistesmajestät ist eine gefährliche Dame, lieber Rittberg, gefährlicher, als jede Intrigantin, und ich wette darauf, dass sie jetzt lispelt.«

      »Sie scheinen den Begriff des Lispelns mit dem der modernen Bildung zu parallelisieren,« rief Junker Wolf ihm nach, als der Oberst nach diesen Worten eilig den Saal verließ.

      »Wir werden doch keinen Skandal vom Obersten zu erwarten haben?« fragte der Schlossherr besorgt.

      »Tragen Sie keine Sorge, « beruhigte ihn Frau von Pröhl. »Er wird bei der Anwesenheit Ihrer Tante für nichts Augen haben, als für diese gefährliche, gelehrte und schlimme Dame, denn es gehört, wie die leidige Angewohnheit des Fluchens zu seinen seltsamen Eigentümlichkeiten, eine unbedingte und respektvolle Verehrung für geistig bevorzugte Damen zu haben. Natürlich ist ihm, wie jedem Manne, die Subordination eines geistigen, Wesens fatal, und er sucht sich durch tadelnde Worte zu rächen, allein immer nur hinter den Rücken der gelehrten, Damen. Fürchten Sie keine Betisen von ihm. Er wird der eifrigste Kavalier für Frau von Wallbott sein.«

      Frau von Pröhl schickte sich nun an, dem Professor Gellert eine schleunige Benachrichtigung über die erfolgte Abreise des Herrn von Voltaire zukommen zu lassen, um womöglich dem kränklichen Manne die Strapazen einer Reise zu ersparen. Sie liebte den sanften, geistvollen Mann mit der Hingebung einer zärtlichen Schwester, und sie verfehlte bei ihren gelegentlichen Besuchen der Stadt Leipzig niemals ihn aufzusuchen. Ihre harmlose Heiterkeit sagte dem hypochondrischen Dichter sehr zu, und es gelang ihr jedes Mal, seine Stimmung auf einige Zeit zu verbessern. Zweimal hatte sie ihn auch schon überredet, einen kurzen Aufenthalt in ihrer angenehmen Häuslichkeit zu versuchen und sich durch ihre zartsinnigen Bemühungen zerstreuen zu lassen, allein für die Dauer halfen alle Zerstreuungen nichts. Seine Gesundheit war schwach und das Übel, das ihn folterte, trotzte allen ärztlichen Mitteln. Es war wohl selten ein Mann in dem hohen Grade, wie Professor Gellert, der Gegenstand einer all gemeinen Liebe und Verehrung, und er verdankte diese Auszeichnung nicht allein den hohen Eigenschaften eines Geistes, sondern auch dem reinen Wohlwollen einer Gesinnungen und der Liebenswürdigkeit eines bescheidenen Benehmens.

      Frau von Pröhl hielt es für angemessen, einen Eilboten mit ihrem Briefe abzusenden, und diesen genau über den Weg zu instruieren, den er zu nehmen hatte, um, im Falle Gellert schon von Leipzig aufgebrochen war, ihn noch unterwegs über die Nutzlosigkeit seiner Reise zu unterrichten. Sie beschrieb dem Boten Gellerts Persönlichkeit mit der Umsicht eines Polizeiagenten, und sie überließ sich ganz unbedingt dem Vertrauen, dass ihre beeilten Maßregeln einen günstigen Erfolg haben würden.

      Freilich, in unserem Zeitalter der Geschwindreisen und Dampffahrten möchte ein solches Vertrauen ans Lächerliche grenzen, allein damals drängten sich die Reisenden nicht massenhaft in die Gasthofsräume, nahmen nicht in fliegender Eile ein Mittagsessen an dertable d’hôte ein und befanden sich schon wieder unterwegs, wenn es dem Wirte einfallen wollte, irgendjemanden näher in Augenschein zu nehmen. Damals reiste man gemütlich von einem Gasthofe zum andern, wie es die Kutscher und die Pferde gewohnt waren, und es war Tausend gegen Eins zu wetten, dass sich der Professor Gellert, wenn er um zehn Uhr morgens von Leipzig weggefahren war, sich punkt zwölf Uhr in irgendeinem ›weißen Löwen‹ oder ›wilden Bären‹ der nächsten Landstadt befinden würde, seelenruhig ein Süppchen mit dem Wirte verzehrend.

      Auf diese feststehende Lohnkutscherpraxis baute Frau von Pröhl die Gründe ihrer Hoffnung, und es war anzunehmen, dass sie richtig kalkuliert hatte.

       Note 1

      es wird von vornherein darauf aufmerksam gemacht, dass bei dem Tatsächlichen des Romans die Namen und Örter teilweise verstellt werden mussten

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       Zweites Kapitel.

      E inige Stunden später saßen die beiden Pflegetöchter der Frau von Pröhl, etwas ermüdet vom vielen Schauen, nebeneinander in der weichen Ottomane ihres Turmzimmers und plauderten nach Mädchenart über das Gesehene und Geschehene.

      Wie alles im ganzen Schlosse, so war auch dies runde Kabinett mit geschmackvoller Bequemlichkeit eingerichtet und gestattete selbst von der Ottomane aus einen ergreifenden Überblick in die Weite.

      Gertrud, ganz erfüllt von dem bezaubernd schönen Schlosse, achtete nicht auf das Schauspiel, das sich vor ihren Blicken entfaltete, sondern schwelgte in der Rückerinnerung der prächtigen Dinge, die sie besichtigt hatte, während Elvire, träumerisch versunken, aber mit wohl zufriedenem Lächeln zuhörte und dabei das schöne Panorama vor sich betrachtete. Ein duftiger Hauch hüllte die Ferne in ein unbestimmtes Licht und zog selbst um die näher gelegenen Gegenstände einen leichten Schleier. Der Fluss, von Baumgruppen bald versteckt, bald aber in silberhellem Glanze zwischen grünen Wiesen sich dahin schlängelnd, war von kleinen Kähnen belebt, und eine Fähre durchschritt schwerbeladen mit Holzwagen in träger Langsamkeit das seichte und sumpfige Gewässer. Ihr Blick durchflog die weite Landschaft, und ihr Herz klopfte stärker bei dem Gedanken, dass dies ihre künftige Heimat sei.

      Zur Eintracht und zur vertraulichen Schwesterliebe erzogen, legte sie endlich die Arme um Gertruds Nacken und flüsterte ihr etwas von ihren glückseligen Empfindungen zu. Es war eine Ehre für dies junge, eben aufgeblühte Mädchen, dass sie in die Gefühle einer Braut eingeweiht wurde, und sie richtete auch ganz stolz ihr Köpfchen in die Höhe und legte ihre Stirn an Elvirens Stirn, schelmisch in deren Augen schauend. Es waren ein paar hübsche Mädchen, aber nicht aristokratisch bleich und fein, sondern mit echt bürgerlich blühenden Gesichtern, lebhaftem Mienenspiel und sehr feurigen Augen. Es waltete zwischen ihnen eine gewisse Ähnlichkeit vor, so dass man sie dreist für Schwestern hätte halten können, obwohl sie nur von mütterlicher Seite Geschwisterkinder waren. Elvire war etwas größer und schlanker und der Ausdruck ihrer Augen weniger keck, sonst aber von derselben lebhaften Zärtlichkeit, wie die ihrer Pflegeschwester.

      »Du kannst lachen!« rief Gertrud halb schmollend. »Den schönsten, reichten, besten und klügsten Mann auf der ganzen Welt hast Du erobert! Wärest Du es nicht Elvire, ich könnte Dich beneiden!«

      »Ahme mir doch nach,« scherzte Elvire, indem sie die langen Nackenlocken des jungen Mädchens um den Finger drehte und sie wieder am Chignon befestigte. »Es hat Dich ja heute ein noch schönerer Mann schon mit der Myrte krönen wollen.«

      Gertrude schlug mit kindischem Trotze nach Elvirens Hand und richtete hochmütig ihre Stirn auf.

      »Der Junker?« rief sie bei diesem, entschiedene Abneigung ausdrückenden Manöver. »Wie? Ist das Dein Ernst? Was würde wohl Onkel Exzellenz zu diesem Junker Habenichts aus Preußen sagen!«

      Elvire sah frappiert von der Seite zu ihr auf.

      »Du hast ja Vermögen,« warf sie ein.

      »Ach so, und da meinst Du, der Junker Wolf könne sich auf meine Güter niederlassen, da er selbst keinen Platz auf der Erde hat, den er sein nennen kann. Nein, Elvire, daraus wird nichts. Ich habe im Sinne, zu einem Ehegemahle hinaufzusteigen, wie Du, aber nicht hinab. Während Du als Freifrau Bünau von Rittberg in der Welt paradieren