Die Damen hatten Erbarmen mit dem hungrigen Oberst und verschoben die Bewunderung der prachtvollen Myrtenbäume bis zu einer gelegenern Zeit.
Während er seinem Appetite folgte und dem Geschäfte des Sättigens mit allem Eifer oblag, plauderten die Damen mit Junker Wolf und dem Schlossherrn von den bevorstehenden Festlichkeiten, und Elvire bemerkte schlau lächelnd:
»Sie erwarte etwas ganz Besonderes von Poesie, denn der Professor Gellert habe sie ausführlich über alle Umstände der Verlobung und über den Charakter des Bräutigams befragt.«
»Er hat unsern Vetter Levin vor zwei Jahren kennengelernt,« fiel Junker Wolf ein, »und ihn damals etwas urwüchslich gefunden. Vielleicht liegt hierin das Motiv seiner wissbegierigen Forschungen, mein gnädiges Fräulein, und Sie irren sich in Ihrer Voraussetzung, als habe er die Notizen zu einem Hochzeitscarmen gesammelt. Mein Vetter Levin verehrt den Professor als Menschenkenner und als Dichter, allein ich muss befürchten, die Verehrung ist nicht gegenseitig.«
Margareth hob ihre sanften blauen Augen unwillig zu dem Junker auf:
»Gellert würde einem Ruhme als Menschenkenner keine Ehre machen, wenn er meinen Verlobten nicht als einen Edelstein anerkennen wollte,« sprach sie rasch einfallend.
»Nun, nun, Margareth,« scherzte der Junker, »kommt einmal eine Fabel von einem ungeschliffenen Edelsteine ans Tageslicht, so weiß ich, wer damit gemeint ist.«
Rittberg lächelte zu diesem Einfalle und nickte zustimmend mit dem Kopfe. Eine Feuerglut überströmte das schöne, weiße Gesicht der jungen Braut, als sie dem Beifallsblicke ihres Bruders begegnete, und sie wendete sich in großer Bewegung zu Frau von Pröhl, indem sie eine ganz abweichende Frage an sie richtete.
Diese beobachtete sie scharf.
»Woher die Aufregung?« fragte sie sich heimlich. »Ist Graf Levin ein roher Landjunker? Hat sie Ursache, sich ihrer Wahl zu schämen? Was hat sie, die Überfluss an Bewerbern erwarten musste, dazu vermocht, sich einem Manne zu verloben, der ihr an Bildung nachsteht? Nun, wir werden ihn ja sehen und werden selbst beurteilen können, wie sich die Fäden des Netzes um dies schöne Mädchen geschürzt haben. Gott gebe nur, dass er ihrer würdig ist, denn jetzt ist alles zu spät!«
»Wir erwarten heute auch noch unsere Tante Wallbott von Gotha,« unterbrach Rittberg die schwermütige Gedankenflut, welche Frau von Pröhl zu überschwemmen drohte. -
Der Oberst ließ mit gut gespielter Verzweiflung Messer und Gabel fallen und schrie kläglich:
»Was Teufel! Donnerwetter –diable –wollt’ ich sagen! Heute schon? Bringt sie den Leibaffen des Königs von Preußen, der sich zu ihrem und zu aller Entzücken jetzt in Gotha aufhält, mit?«
»Sie meinen Voltaire?« fragte Junker Wolf.
»Voltaire ist schon abgereist,« berichtete Rittberg unangenehm berührt.
»Schon abgereist?« fragte der Oberst verwundert. »Himmelelement, Lischen, wollte nicht Professor Gellert seinetwegen nach Gotha? «
»Allerdings, « antwortete Frau von Pröhl. »Ich werde ihn sogleich davon zu benachrichtigen suchen, damit er den Weg nicht vergeblich macht. Geht Voltaire nach Berlin zurück?« fügte sie zu Rittberg gewendet hinzu.
»Schwerlich! Der König wünscht es nicht, sagte mir der Präsident von Maupertuis.«
»Er wünscht es nicht!« wiederholte der Oberst im Tone übermäßiger Verwunderung. »Hölle und Teufel, das muss einen verwünscht tüchtigen Haken haben! «
»Was wird es weiter für Gründe haben,« meinte Frau von Pröhl. »Wahrscheinlich haben sich die ›großen Geister‹ gezankt, und da der König nicht fortgehen kann, so schickt er seinen guten Freund fort.«
»Vielleicht ärgert sich der König von Preußen nur über Frankreich, weil es sich von dem schlauen Diplomaten Kaunitz für Österreich interessieren lässt, und der arme Untertan Frankreichs muss für die böse königliche Laune büßen,« warf Junker Wolf ein.
»Mir wäre es ganz gelegen, wenn unser König sich überhaupt dermaßen ärgerte, dass er alle Friedensbeschlüsse über den Haufen würfe. Österreich hält doch keine Ruhe, bis es Schlesien wieder hat; es verlautet, dass Kaunitz seine ganze Macht aufbietet, um Maria Theresia zur Allianz mit Frankreich zu bewegen.«
»Es ist möglich, dass Voltaires Ungnade mit diesen politischen Ereignissen teilweise zusammenhängt,« unterbrach ihn Rittberg, »allein im Grunde ist das Zerwürfnis zwischen dem Könige und Voltaire rein persönlicher Natur. Er soll bei einer Gelegenheit, wo es sehr unpassend war und den König ganz besonders kompromittierte, gesagt haben: ›Man solle es nur mit den Verordnungen des hohen Herrn machen, wie er es mit seinen französischen Aufsätzen zu machen pflege, in welchen er das Gute ungeheuer hervorstreiche und das Schlechte still durchstreiche.‹ Der König erfuhr den Ausfall sogleich wieder, und da ihm mehrfach Dinge vorgekommen waren, die ihm seinen Günstling widerwärtig machten, so sendete er ihm seine Entlassung. Wie gesagt, es ist aber möglich, dass unser König die Veranlassung benutzte, um Voltaire loszuwerden, weil er sich über die französische Wetterwendigkeit ärgerte.«
»Was sagt aber Frau von Wallbott zu der extravaganten Ungnade des Preußenkönigs?« fragte der Oberst. »Mich wundert nur, dass die Dame, deren Mund Frankreichs Sprache redet, als sei sie nicht im lieben Deutschland geboren, zur Hochzeit nach Rittbergen kommen will, statt dass sie ihren angebeteten Philosophen, der durch seine Geisteskraft der ganzen französischen Nation ein Übergewicht über alle andere zivilisierten Völker Europas verliehen hat, nach Frankreich begleiten sollte.«
Frau von Pröhl brach in ein heiteres Lachen aus.
»Das musst Du auswendig gelernt haben, lieber Pröhl!« rief sie und wiederholte den ganzen Satz sehr pathetisch.
»Der Ärger hat es mir eingeprägt, Lischen,« erwiderte der Oberst. »Ich weiß es noch wie heute – Kreuzbataillon, wenn ich daran denke, schwillt mir der Kamm. – Es war Soiree bei Lischens Bruder, und der ganze gelehrte Kram tat sich dabei auf. Herr von Voltaire kam spät und schlich wie eine Meerkatze, buckelnd, wenn er mit einer Durchlaucht oder einer Exzellenz sprach, und naseweis gegen denjenigen, welcher mit ihm gleichen Standes war, im Saale umher. Nachdem er eine Menge Sottisen gesprochen, die nur halb verstanden wurden, entfernte er sich wieder, weil der König nach ihm verlangte. War es doch gerade, als wären wir alle miteinander dumme Jungens gegen diesen Kerl mit seinem französischen großen Geiste. Die Damen, wie immer bei solchem Geistesfirlefanz taten ganz verrückt, und da war es, wo Ihre gnädige Tante von Wallbott den erhabenen Ausspruch tat. «
»Meine Tante mag aber nicht Unrecht haben, lieber Oberst,« entgegnete Rittberg von dem Zeloteneifer des Herrn von Pröhl ergötzt. »Die Zeit wird es lehren, dass Voltaire von bedeutendem Einflusse auf die menschliche Geistesbildung gewesen ist. Er gehört doch unbestritten zu den scharfsinnigsten Männern der ganzen, weiten Welt, und Frankreich wird dereinst stolz darauf ein, die Wiege dieses großen Geistes –«
»Donner und Blitz, Rittberg,« unterbrach der Oberst seine Rede, »mögen die Franzosen den Kerl wiegen bis zur Ewigkeit, ich habe nichts, gar nichts dagegen und bin froh, wenn ich nicht dabei sitzen muss, um alle die Wiegenlieder für ihn mit anzuhören. Dereinst? – Dereinst? – Warten wir es ab, ob es ein ›Dereinst‹ für ihn gibt. Die Franzosen haben kein ›Dereinst‹. Sie müssen sich mitavoir undêtre begnügen.«
Ein helles Gelächter belohnte ihn für diesen guten Einfall, und man erhob sich gutgelaunt von der Frühstückstafel, um sich in einzelne Gruppen zusammenzustellen. Das allgemeine Gespräch hörte dadurch natürlich auf und man wählte zwanglos das Thema nach den verschiedenartigen Gemütszuständen. Frau von Pröhl versuchte jetzt mit einigen feinen Wendungen die Gefühle Margareths zu sondieren, allein ihre Bemühungen zerschlugen an dem geflissentlichen Ausweichen der jungen Dame, so dass sie zuletzt davon abstand, und das Nutzlose solcher Einmischungen einsehend, ihre Wissbegierde beschränkte.
Man trennte sich bald, teils um von der Morgenfahrt auszuruhen, teils um die Sehenswürdigkeiten des Schlosses in Augenschein