Der Baron fuhr heftig auf: »Wenn solche Bindungsmittel nicht ausreichend wären, wo gäbe es dann ein Mittel, um ein menschliches Glück festzustellen? Etwa durch den Schaum der Leidenschaft, die man durch den Namen Liebe profaniert? Und wenn dieses Gift verraucht ist, Margareth? Wenn das sinnlich getrübte Auge wieder klar wird und hellsehend genug, um die menschliche Gemeinheit zu erkennen und zu begreifen? Margareth, auf welchen Abwegen wandeln Sie? Gott hat sich Ihrer zur rechten Zeit erbarmt, um Sie für größere und edlere Lebenszwecke zu erhalten!«
»Ihre Ansicht befremdet mich nicht,« entgegnete das Fräulein mit herzlicher Freundlichkeit, »weil darin die Gedanken enthalten sind, die mich seit meiner Verlobung mit dem Grafen Levin gefoltert und verfolgt haben. Aber die stumme Beredsamkeit der Leidenschaft, die sich in Levins Zorn ausprägte, als er mir das Symbol meiner Treue zurückgab, hat meine Bedenklichkeiten und Zweifel gehoben.«
Alexander schüttelte mit der Gebärde großer Verwunderung den Kopf.
»Gerade das, was meine Meinung bestätigt, das hebt Ihre Zweifel auf?«
»Meine Behauptung wird Ihnen verständlicher sein, wenn ich Ihnen erkläre, dass sein Zorn aus dem Schmerze entsprang, meine Neigung nicht so ungeteilt zu besitzen, wie er sie mir weihete! Nur dem, der selbst liebt, ist dieser Schmerz erklärlich!«
»Sie verstehen ihn zu würdigen?« fragte Alexander mit Ironie.
»Im tiefsten Mitgefühle und in einer entsetzlichen Sorge um sein Wohlergehen!« sprach Margareth leise und gefühlvoll.
»Diese Sorge macht Sie kalt gegen meine bewährte und geduldigere Zuneigung?«
»Vielleicht! Der Mensch kennt sich selbst zu wenig, und wenn er sich erkennt, ist es zu spät,« versetzte sie ausweichend.
»Das Glück meiner Zukunft ist Ihnen weniger wichtig?«
»Es erscheint mir weniger gefährdet!« sagte sie wehmütig.
»Das fragt sich! Nachdem ich durch die Großmut des Schicksals zu neuen Hoffnungen ermutigt wurde, verschränken Sie mir mit Härte jede Aussicht auf ein Glück, das ich jetzt erst, nach dem drohenden Verluste zu schätzen weiß.«
»Haben Sie Geduld, Alexander!« bat Margareth sanft. »Sie kennen Ihre Empfindungen auch nicht genug, um sich nicht durch jede Auseinandersetzung zu übereilten Schlüssen verleiten zu lassen. Würden Sie es lieber sehen, wenn ich jetzt leichtsinnig handelte?«
»Jetzt – jetzt leichtsinnig?« erwiderte der Baron mit Überhebung. »Der Fall ist gewesen! Jetzt würden Sie nur Ihrer würdig handeln, wenn Sie ohne Beschränkung und mit vollem Vertrauen Ihre Hand in die meine legten!«
Margareth lächelte ganz wenig.
»Auch wenn ich jetzt, geschreckt durch die Verwirrung meiner Empfindungen, belehrt durch meine tiefe und schmerzhafte Betrübnis, ganz bedeutende Zweifel in die notwendige Wärme meines Gefühles für Sie zu setzen versucht wäre?« fragte sie.
Er fasste schmeichelnd ihre Hand.
»Die Wärme, welche ich beanspruche, leuchtet mir aus Ihren geistvollen Augen heute, wie damals entgegen, wo Sie von mir auf den Thron meines Herzens erhoben wurden!« rief er schwärmerisch. »Sie verkennen die Poesie der Liebe, teure Margareth, und verwechseln in der reinen Unschuld ihres Herzens eine leichte Wallung, die vergänglich ist, wie der Duft einer Blüte, mit dem erhebenden, himmelanstrebenden Ernste einer heiligen Begeisterung, die allein das Erdenglück der Menschen zu schaffen vermag. Zu der Höhe sich emporzuschwingen, wo die Glut des Herzens bis zur unvergänglichen Wärme gemildert und die Seele, als Hüterin alles irdischen Stoffes, unsere Läuterung beginnt, das ist unsere Pflicht. Sie trägt den Lohn schon hier auf Erden in sich, aber sie verheißt uns höhere Seligkeit in dem Jenseits, wozu wir uns hier nur mutvoll vorbereiten!«
»Die Macht dieser Pflicht muss aber durch die Wärme und Poesie der Liebe unterstützt werden, wenn sie nicht die Heiterkeit unsers irdischen Daseins gänzlich verdunkeln soll,« fiel Margareth lebhaft ein.
»Und ich halte es der Würde einer Jungfrau für unangemessen, mit der Weisheit des Verstandes ein Bündnis zu schließen, das nur unter der Einwirkung gegenseitiger Herzensflammen die richtige Weihe enthält.«
Ihre frommen stillen Augen richteten sich bei diesen Worten in die Ferne, als müsse sie dort den suchen, welchen sie an ihrer Seite zum Lebensgefährten wünschte. Alexander beobachtete sie scharf.
»Sie erwarten ›von der Weisheit des Verstandes‹ kein genügendes Glück?« fuhr er kurz und empfindlich gemacht durch ihren Widerspruch, auf.
»Nein,« antwortete sie einfach und ruhig.
»Würden Sie mir dieselbe Antwort vor Jahresfrist gegeben haben?«
»Nein!« sagte sie ebenso besonnen und kurz.
Alexander bemerkte, dass sie sich mit Überlegung jeder geistreichen Verstrickung entzog und ihren Seelenzustand streng in den Grenzen klaren Verständnisses erhielt. Sonst eine Freundin enthusiastischer Phrasen, hatte sie bis jetzt ihre Ausdrucksweise beschränkt und sich auf der Bahn stiller Bedächtigkeit bewegt. Die Wendung des Gespräches schien ein ungünstiges Ende für ihn zu versprechen, und dahin durfte er es nicht kommen lassen. Die Zukunft musste ihm offen bleiben. Was ihm dann nicht gelungen war, musste der gewichtigern Überredung seiner Tante überantwortet werden. Seine Entsagung wäre ihm nach diesem Wiedersehen bei weitem schwerer geworden, als früher, und er sah nicht ein, weshalb er den Besitz eines Mädchens wegen einer kleinen Herzensverstimmung aufgeben sollte, das ihm seit Jahren als ein Lohn seiner Bestrebungen vorgeschwebt hatte.
»Sie haben mich also früher Ihrer Liebe wert befunden?« fragte er teilweise bewegt von dem Gedanken, etwas eingebüßt zu haben, was er in diesem Augenblicke hoch anschlug. »Sollte jeder Funken dieser Neigung erloschen sein?«
Margareth heftete klar und groß ihr Auge auf ihn, ließ aber die direkte Frage unbeantwortet und warf nur aufgeregt die Worte hin:
»Es gab eine Zeit, wo mir die Erklärung Ihrer Neigung ein Glück verheißen hätte, aber ich bin der Überzeugung, dass ich es Ihnen danken muss, frei und ungefesselt geblieben zu sein. Ehren Sie die Stürme in meiner Brust, Alexander, und lassen Sie der Zukunft ihr Recht. Was die Zeit ausgleicht, muss dem Kampfe entzogen werden, denn die Zerstörungen des Kampfes heilen selten mit der Zeit. Ich gehöre durchaus nicht zu den weiblichen Naturen, die kampfbereit ins Leben stürzen, die opferfähig ihr eigenes Herz auf den Altar der Selbstverleugnung legen und in der kühlen Verherrlichung eines imaginären Ruhmes sich selig fühlen. In mir schlafen Wünsche, die mich anders leiten, als Sie denken. Der Zügel, den mir meine Geistesbeschäftigungen angelegt haben, ist – zerrissen! Wie ich mein Glück erreichen werde, das meine Träume füllt, ob ich es jemals erreiche – das sind trostlose Fragen, welche die dicht verschleierte Zukunft enthüllen wird.«
Ihr Blick flog leidenschaftlich in die Ferne. Das Feuer und der Glanz, welcher darin glühte, verriet besser noch als ihre Rede die wahre Beschaffenheit ihres Innern. Erschrocken sprach der junge Mann, mehr für sich, als für das Fräulein:
»Sie – die weiße Taube – es ist entsetzlich!«
Ein Schrei, leise aber verräterisch dem Herzen entspringend, das in glühender Erinnerung aufzuckte, drang zu ihm und wendete seine Aufmerksamkeit wieder zu Margareth.
Sie saß totenbleich, die Hände gegen die Brust gepresst da. Ein Geisterlächeln wehte über ihre Lippen. In den süßesten Stunden traulicher Liebe hatte der Graf sie so genannt. »Meine weiße Taube!« Ein entsetzliches Weh durchrieselte sie und raubte ihr die mühsam behauptete Fassung. Alexander sprang auf, um ihr hilfreich zur Seite zu sein. Sie wies ihn zurück und bat ihn mit abgewendetem Gesichte »sie nun zu verlassen.« Zögernd willfahrte er ihr. Er beobachtete mit Schrecken die leidenschaftlichen Bewegungen, mit welchen das junge, sanfte Mädchen ihre Stirn gegen die Polster des Diwans presste, um ihre Aufregung zu bemeistern.
Mit solchen heftigen Gemütswallungen nicht