Gertrud. Luise Reinhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Luise Reinhardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754183656
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gewesen war, was sie beim jähen Verluste des Grafen Levin so tiefbetrübt betrauerte.

      »In der trübseligen Situation einer mit vollem Rechte verlassenen und verachteten Braut wäre es unzart von mir, die Worte eines Mannes anzuhören, die eine Hoffnung auf meine jetzige Lage aussprechen.«

      »Allerdings, wenn dieser Mann nicht mit dem Rechte sprechen könnte, den ein lange bestandenes Seelenbündnis geben muss!« entgegnete Alexander ernst und traurig.

      Er fand erst jetzt die nötige Ruhe, um das Mädchen näher zu betrachten, das eigentlich, so lange er zu denken vermochte, seine Einbildungskraft beherrscht hatte. Der Ausdruck ihres Wesens war unbestreitbar ein verschiedener, als der, welchen er von ihr in der Ferne gehegt.

      Schon ihre äußere Erscheinung zeigte dies. Früherhin machtlos dem Willen ihrer Tante ergeben und der eigenen Willenskraft nicht vertrauend, bewies schon die schüchterne Sanftmut ihres Blickes, dass sie zu den weiblichen Naturen zählte, die innerlich nicht leicht unabhängig werden, sondern des Rates und der Stütze bedürfen. Jetzt stand sie verändert vor ihm.

      Die einzige bittere Erfahrung, wodurch sie ein beglückendes Verhältnis gestört sah, weil sie sich dem stärkern Wesen ihrer Tante nicht mit der Freimütigkeit entgegengestellt, die sie hätte retten können, diese einzige bittere Erfahrung hatte sie gegen schwache Unterwerfung gestählt. Ob damit aber auch ihre Energie dergestalt geweckt worden war, dass sie ihre schwer bezahlte Unabhängigkeit behaupten und das tiefgewurzelte Bedürfnis, sich einem stärkern Geiste unterzuordnen, bezwingen konnte, darüber musste die Zukunft entscheiden.

      Für jetzt erschien sie dem prüfenden Blicke des Baron Lottum gereifter und selbständiger, als jemals, und ihre Haltung verriet weder Unterwerfung, noch den guten Willen, sich von den Erklärungen seiner Huldigungen geschmeichelt zu fühlen.

      Wäre er selbst freier von den Fesseln einer Geistesrichtung gewesen, die seine Beurteilungskraft in die Schranken idealer Lebensanschauungen bannte, so würde er gesehen haben, dass die Sprache der Natur in der Brust Margareths den künstlichen Bau der eingelernten Lebensphilosophie merklich untergraben und erschüttert hatte. So aber sah er die Veränderung, die dem Fräulein einen neuen, ungewohnten Reiz mitteilte, und verstand sie nicht zu zergliedern. Er horchte gespannt und sehr verwundert hoch auf, als Margareth ganz ohne Schüchternheit antwortete:

      »Dies Seelenbündnis hat seine Rechte und seine Gültigkeit eingebüßt, bester Alexander. Mit dem Momente, wo ich dem Grafen Levin die Rechte eines Verlobten eingeräumt hatte, schloss ich die Tore der Vergangenheit, und mit dem Abschiedsblicke meines Verlobten hat sich für mich die freie Benutzung der Gegenwart abgeschlossen. Was Sie also beanspruchen können, sind die Wirkungen der Zukunft, und ich vertraue es Ihrer eigenen Diskretion an, darüber nichts zu hoffen, nichts zu bitten und nichts zu beschließen.«

      Der Baron blickte mit sonderbar gemischten Gefühlen auf das Mädchen. Die Überlegung ihres Bescheides imponierte ihm, aber der Inhalt desselben weckte Bestürzung in ihm. Mit dieser Bestürzung kämpfte die beleidigte Eitelkeit.

      »Betrachten Sie sich noch nicht als ganz frei?« fragte er gereizt.

      »Der äußerlichen Verpflichtung nach – ja!« antwortete sie gelassen.

      »So dächte ich, dass der Herstellung unserer frühern Bande nichts entgegen stände?«

      »Der Herstellung früherer Bande gar nichts, mein lieber Freund,« meinte sie, still traurig ihre Blicke erhebend. »Ja, ich bekenne sogar, dass für mich ein Trost darin liegen würde, die trübselige nächste Zeit unter der Bemühung, mich selbst wieder zu finden, zu verleben, allein Sie fordern andere Gefühle von mir, als ich geben kann–«

      »Nein! Margareth, ich will nichts, als den Verkehr unserer Seelen, wie damals, wo ich zwischen Ihnen und meiner Tante lebte!« rief der junge Mann mit Erhebung.

      Margareth schüttelte ungläubig den Kopf: »Ich habe mich einmal in dem unseligen Zwiespalte befunden, den eine Verkennung von Gefühlen zu Wege bringt, und ich bin entschlossen die Freundschaft der Männer zu vermeiden.«

      »Damit würden Sie einen großen Teil meines Geschlechtes berauben,« sprach Alexander tadelnd.

      »Aber einen Einzigen, umso mehr beglücken!« ergänzte das Mädchen mit strahlenden Augen.

      Sie sah wunderschön in dieser Begeisterung aus, und es mochte sich wohl der Wunsch in dem jungen Herrn regen, dieser ›Einzige‹ sein zu können, trotzdem entgegnete er:

      »Das sind Lehren, die der Egoismus einer Leidenschaft erfunden hat!«

      »Und die schönste Eigenschaft dieser Leidenschaft ist der Egoismus!« fiel Margareth ein.

      Gleich darauf errötete sie, wie ein Mairöschen, und fügte hinzu: »Die meisten Menschen leben verstrickt in dem Egoismus der Eigenliebe und scheuen die Opfer, welche eine Hingabe für das Glück eines Einziggeliebten fordert, aber, so tief ich auch durch meine verfehlte Erziehung in den Banden dieses Egoismus lag, der widrige Missklang, der sich jetzt durch mein Dasein zieht und mein Leben auf lange Zeit durchtönen wird, hat mich radikal geheilt.«

      »Was Sie sagen, bekundet eine gänzliche Verkennung Ihrer Natur und Ihrer jetzigen Verhältnisse,« erwiderte Alexander sanft. »Der Vorwurf, den Sie meiner Tante, die nach ihren Grundsätzen Ihre Erziehung angeordnet hatte, damit machen, fällt sofort in ein Nichts zusammen, wenn man Sie kennenzulernen sucht. Die Stufe der Bildung, die Sie dadurch erreicht haben, erhebt Sie weit über die meisten Frauen der Gegenwart.«

      »Ohne mich aber zu befähigen, gleich der einfachsten Bäuerin, den Mann meiner Wahl zu beglücken.«

      »Würden Sie das wünschen?«

      »Ja! Mir fehlt aber die Natürlichkeit und Einfachheit des Sinnes dazu. Ich habe beides eingebüßt unter den Sophismen, die das Weiberherz kristallisieren.«

      »Welche böse Macht hat Ihnen denn diese Ansichten beigebracht?«

      »Der Hauch wahrer, natürlicher Liebe!«

      Der Baron biss sich auf die Lippen. Sein feines blasses, echt aristokratisches Gesicht färbte sich, und eine schlecht verhehlte Empfindlichkeit machte, dass er stumm vor sich niedersah.

      In diesem Ausspruche lag die Erklärung, dass Fräulein Margareth die Liebe des Grafen höher wert hielt, als alle die subtilen Beziehungen, die jemals zwischen ihnen gewaltet hatten. Der direkte Tadel ihrer Erziehung war ein unerhörter Angriff auf die Weisheit eines vorwärtsstrebenden Menschengeschlechtes und auf den Enthusiasmus für Seelenschönheit und Herzenskeuschheit. Sie verletzten den jungen Mann umso tiefer, als er im Begriffe gewesen war, dem Vorbilde seines jüngern, weit höher begabten und feiner organisierten Freundes Wieland zu folgen, der die Welt durch den Briefwechsel mit seiner Seelengeliebten entzückte.

      Margareth von Rittberg vereinte unbestritten noch bedeutendere Elemente in sich, um sie der allgemeinen Vergötterung würdig zu machen, als die Dame, welcher Wieland mit graziösem Entzücken Huldigungen streute. In der törichten Eitelkeit: ›berühmt zu werden, ohne sich allzu bedeutend anstrengen zu müssen,‹ hatte der Baron sich der Überzeugung hingegeben, dass es nur eines Wortes bedürfe, um Margareth für seine Sache zu entflammen. So sonderbar es klingen mag, wenn man eine Herzensangelegenheit eine ›Sache‹ nennt, so war für den Moment wenigstens kein anderer Ausdruck dafür zu finden, da es sich keineswegs darum handelte, eine Gattin zu erwerben, sondern nur eine schöne und liebenswürdige Vertreterin einer Mode, mit der man damals zu kokettieren pflegte. Freundin eines bedeutenden Geistes zu sein, gehörte zu den Errungenschaften eines emporblühenden Zeitalters, und die berühmt werdenden Männer gefielen sich in dem Verfahren, an eine begabte Frau die sublimen Gedanken zu adressieren, wofür der rohere Weltbürger noch kein Interesse zeigte. Dass sich Margareth, die bis zu seiner Abreise nach der Schweiz in den Sphären der Erhabenheit geschwebt hatte, in der Rolle einer einfachen Hausfrau besser gefallen könnte, als in dem epochemachenden Verklärungsschimmer einer geistreichen Dame, gab seiner idealen Liebe zu ihr einen derben Stoß und machte ihn sehr verdrießlich.

      Während er seinen Gedanken nachhing, sagte Margareth ganz mit der schwesterlichen Zärtlichkeit, die sie unrichtig