»Ich werde meiner Pflegeschwester Gertrud diesen schwierigen Teil unserer Wünsche zur glücklichen Lösung übergeben,« sagte sie freudig, und fügte bei dem mehr als verwunderten Blicke ihres Verlobten hinzu:
»In Gertrud schlummern merkwürdig diplomatische Talente; überlassen wir ihr getrost die Beschwichtigung meiner Pflegemutter. Trotz ihrer Jugend und Unüberlegtheit findet sie gewiss den rechten Weg zum Herzen der Mama Pröhl.«
Nachdem sie über diesen Punkt einig geworden waren, erhoben sie sich und wandelten den Weg mit sehr er leichterten, frohen Herzen zurück, den sie unter Ahnungen einer schönen Zukunft betreten hatten. Die Gewissheit füllte ihre Phantasie mit andern Lebensanschauungen, und in der Ruhe ihres Innern hob sich ihr Mut. Am Eingange des Parkes erwartete sie der Kammerdiener, nahm den Mantel der jungen Dame wieder über den Arm und folgte ihnen in der angemessenen Entfernung. Sowie das junge Paar die Halle betrat, kam ein Bedienter ihnen entgegen. Rittberg schien dies erwartet zu haben.
»Nun?« fragte er, stehenbleibend.
»Der Bote von gestern ist zurück,« rapportierte der Bediente, und ein ganz wenig sichtbares Lächeln umzuckte seinen Mund, als er hinzufügte: »Er kann den Herrn Professor Gellert nicht auffinden!«
»Gut! Weiter!« befahl der Schlossherr ganz ernsthaft, während Elvire ungeniert lachte.
»Der Herr Professor Gellert hat sich bei Frau von Wallbott melden lassen. Er befindet sich jetzt bei ihr! Der Baron von Lottum ist soeben eingetroffen und wünscht den gnädigen Herrn zu sprechen!«
Er verbeugte sich und trat zurück. Fräulein Elvire begab sich der vorgeschriebenen Etikette gemäß nach ihrem Zimmer zurück, verabschiedete sich zeremoniös auf dem Balüstre vom Schlossherrn und wurde erst an ihrer Tür vom alten würdigen Kammerdiener verlassen.
Note 4
Eine durch Familientradition verbürgte Tatsache.
Sechstes Kapitel.
I m sonnig durchstrahlten, südlich belegenen Turmkabinett saß während dieser Zeit der Professor Gellert im Bogenfenster der Frau von Wallbott gegenüber. Ihr schneller Atem und die fliegenden Schatten über den stolz drohenden Augen verrieten, dass das Gespräch zwischen ihnen eine Wendung genommen hatte, die im Stande gewesen war, die Ruhe ihres Gemütes zu beeinträchtigen. Sie griff mehrmals nach dem Riechfläschchen, das mit Essigäther gefüllt, an einem Kettchen um ihren Hals hing, und zog den erfrischenden Duft ein. Gellert bemerkte ihre Aufregung sehr wohl, waffnete sich aber der vorliegenden Sache zu Liebe mit bedeutenden Quantitäten stoischer Kälte, die sonst einem weichen Sinne fremd war.
»Sie tadeln mich also, lieber Professor,« sprach nach geraumer Stille die Dame mit wiedergewonnener Haltung und Fassung, und ein ironisches Zucken des Mundes verkündete, dass sie sich auch gegen den Einfluss der sanften Weisheit ihres Freundes bewaffnet hatte.
»Von Ihnen hätte ich dies am allerwenigsten erwartet!«
»Warum nicht von mir? Oder meinen Sie, liebe Gnädige, die Freundschaft für Sie solle mich blind für das Unglück machen, das Sie über ein gutes, zärtliches Mädchenherz verhängt haben?« erwiderte der Professor gelassen.
»Unglück? «wiederholte Frau von Wallbott frappiert und schlug ihre Herrscherblicke zu Gellert auf. Sie konnte es sich gar nicht vorstellen, dass irgendein Mensch in Zweifel darüber sein könne, wie nur ein furchtbarer Irrtum Margareths sie zu der Verlobung mit dem Grafen Levin verleitet habe.
»Unglück? Ich habe Margareth vor einem unabsehbaren Elende bewahrt!«„ fügte sie mit dem stolzen Klange ihrer ausdrucksvollen Stimme hinzu, die jeden Widerspruch im Keime zu erdrücken pflegte.
»Kurzsichtige Sterbliche! Sie wollen aus der Zukunft lesen? Sie glauben nicht zu irren?« rezitierte Gellert etwas emphatisch, um den leisen Tadel zu verstecken.
Frau von Wallbott machte eine abwehrende Bewegung und rief:
»Margareth wird zur Einsicht kommen! Ich garantiere es Ihnen!«
»Zur Einsicht kommen,« wiederholte Gellert bedenklich. »Die Einsicht ist das Werk des Verstandes, der die Änderungen und Verbesserungen unserer Lebenspoesie übernimmt; aber leidet nicht oft das unschuldige Glück der Jugend, wenn wir den natürlichen Schmuck des Herzens der Politur gescheiter Einfälle unterwerfenNote 5) ? Margareth liebt doch wahrscheinlich den Grafen Levin, sonst hätte sie sich ihm nicht verlobt.«
»Liebt? Liebt? Sie könnte einen Mann ohne Wert lieben?« wendete Frau von Wallbott geringschätzend ein.
»Was tut der Wert der Bildung bei der Liebe zur Sache?« warf Gellert ernsthaft ein.
»Das sagen Sie – der feine Denker, der moralisierende Philosoph? Das sagt derselbe Gellert, welcher seine Zuhörer durch die Rede von dem Einflusse der schönen Wissenschaften auf das Herz, auf das Gemüt und auf die Sitten zum Entzücken hingerissen hat?«
»Schließt diese Rede denn die Einwirkung der Liebe auf den Geist aus?« fragte Gellert mit leichtem Lächeln.
»Nennen Sie die rohe Zärtlichkeit der Jugend Liebe?« fragte die Dame hoheitsvoll.
»Ja! ja!« rief mit ungewöhnlicher Kraft und Energie der weise Mann. »Ja, verehrte Freundin, die Zärtlichkeit der Leidenschaft ist Liebe, und veredelt sich diese Zärtlichkeit im geheiligten Bündnisse, so weihet sie die Erde zum Himmel!«
»Professor, Sie dauern mich mit Ihrer Schulweisheit! Meine Erfahrungen in der Liebe und Ehe haben mich anders belehrt!« sprach Frau von Wallbott mit Pathos.
Gellert schwieg mit jenem leichten geduldigen Lächeln, womit er immer die Anmaßungen dieser Dame ertrug.
»Margareth ist gerettet aus den Händen niedriger Leidenschaft. Sie wird glücklich werden, sobald sie sich in den Sphären erst wieder zurechtfindet, aus denen sie sich momentan, durch Irrtümer verleitet, entfernt hatte. Sie wird glücklich werden,« wiederholte die Dame im erhobenen Tone der Selbstgefälligkeit, »und sie wird es in späterer und ruhigerer Zeit lernen, mich zu preisen!«
»Sie dauern mich, Gnädige,« replizierte Gellert mit sanftem Spotte ihre eigenen Worte.
Frau von Wallbott sah ihn mit gereizter, gallicht bitterer Miene an. Dies war so ein Moment, den Gellert ›ihr innerliches Stampfen mit dem Fuße‹ nannte. Sie ertrug auf die Länge von niemandem Widerspruch, und eine Entgegnung, wie sie sich Gellert jetzt erlaubte, gestattete sie nur ihm. Gellert nickte ihr ganz gemütlich zu und wiederholte:
»Ja, ja! Sie dauern mich, dass Ihre langgepflegte Weisheit Sie schließlich so irreführt, um die kühle Zärtlichkeit der Freundschaft für ebenso beglückend zu halten, wie die Liebe.«
»Und wenn ich wirklich in diesen Irrtum verfallen wäre, wenn ich Alexanders edle und enthaltsame Liebe als eine laue Empfindung der Freundschaft gelten lassen wollte, so würde ich dennoch behaupten: Margareth wird glücklicher mit ihm, als mit dem Grafen Levin, dessen rau natürliche und begierdenvolle Leidenschaft abschreckend hässlich erscheint.«
»Erschien sie wirklich dem jungen Fräulein Margareth auch abschreckend hässlich?« fiel Gellert gutmütig und ironisch zugleich ein.
»Margareth war sich selbst nicht klar! Sie ist nun erwacht und wird zum Bewusstsein ihrer innern Entwürdigung kommen.«
»Wird sie das wirklich? Gnädige – Sie dauern mich!«
Frau von Wallbott warf ihm einen zornigen Blick zu und sprach ungewöhnlich eifrig:
»Weichen wir denn plötzlich so sehr weit von unsern Meinungen ab? Ich denke nicht! Ich will und beanspruche nur eine unbegrenzte Selbstbeherrschung in der Leidenschaft, die man