Zukunft?. Mary Specter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mary Specter
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752910193
Скачать книгу
Erhardt ist ebenfalls aufgestanden.

      „Entschuldigung, mein Name ist Bernd Richter. Ich bin gezwungen mich zu verstecken, und diese Dame, er zeigt dabei auf Lisa, hat mich quasi gerettet.“

      Lisa macht große Augen und für einen Moment ist ihr zerfurchtes Gesicht geglättet. „Was für gute Manieren Sie haben, mein Junge!“

      Willi bittet die beiden zu Tisch und holt noch zwei tiefe Teller. Dann setzt er sich zu ihnen.

      Lisa isst hastig, während der junge Mann lustlos in dem dicken Brei herumstochert.

      Erhardt, der bis jetzt stumm neben dem Freund sitzt, ergreift das Wort: „Wie alt sind Sie eigentlich und wer ist hinter Ihnen her?“ Er stellt die Frage mit einer gewissen Schärfe in der Stimme.

      Der Fremde schaut auf. „Ich bin 38 Jahre alt und wurde geschickt, ein aus der geschützten Zone entlaufenes Mädchen zurückzuholen. Wenn die Schergen der Drachenlady es vor mir erwischen, ist es so gut wie tot.“

      Lisa vergisst vor Staunen den Löffel abzulegen. Dicke Bohnen planschen auf die Tischdecke.

      „Ein Mädchen? Wie alt?“

      „Nun ich würde sagen: Mitte zwanzig.“

      Jetzt sehen sie den Fremden an, als wäre er total verrückt geworden. Seit Ewigkeiten haben sie keine so junge Frau mehr zu Gesicht bekommen. Willi schüttelt den Kopf. „Wie ist das möglich? Züchtet ihr da drin etwa junge Leute?“

      Erhardt lacht: „Künstliche Menschen! – würde mich nicht mal wundern!“

      Bernd macht ein ernstes Gesicht. „Ich kenne keine Details, aber etwas sehr merkwürdiges geschieht in diesen Laboratorien und es ist nichts Natürliches. Wir müssen das Mädchen finden!“

      Zur gleichen Zeit in Chemnitz

      Graue Nebelschwaden legen sich wie Leichentücher über die geschundene Stadt. In einer Siedlung aus alten Wohnwagen, ausrangierten Bussen und Wellblechhütten bewegt sich die schwarze Gestalt im Schutz der Dunkelheit.

      Aus einem kleinen weißen Wohnwagen dringt leise Musik. Der Anstrich kann den Rost nicht verbergen, der sich durch die Karosserie frisst.

      „PROST auf mich!“ Mit einem Lächeln steht Helene vor dem einzigen Spiegel in der spärlichen Behausung. Sie ist heute 46! Noch jung und doch allein! Ihre ältere Schwester hat sich vor elf Jahren das Leben genommen.

      Die Bank kündigt den Kredit und der Versicherungsvertreter erledigt den Rest. Falsche Beratung führt zum Ruin des kleinen Geschäftes.

      Die Ehe musste an den Sorgen und Streitereien zerbrechen. Nur ein halbes Jahr später stirbt die Mutter. Wie es heißt: an gebrochenem Herzen. Durch die Revolten überall im Land verliert Helene ihren Vater aus den Augen. Er ist der warmherzigste Mensch, den sie kennt.

      Helene hält sich also allein über Wasser. Im einzigen noch gebliebenen Städtischen Krankenhaus ist sie das Mädchen für alles. Von Putzen bis Sterbehilfe tut sie alles für einen Hungerlohn. Sie beschwert sich nie. Das Elend, welches sie täglich erlebt, macht ihr bewusst, wie gut sie es dennoch hat: Dach über dem Kopf, Essen, noch relativ jung – es ist viel, was sie in dieser schrecklichen Zeit noch besitzt.

      Im Radio beginnen die Nachrichten.

      Draußen nähert sich die schwarze Gestalt dem Wohnwagen. Die Stimmen und das Licht lassen sie vermuten, dass sich mehrere Personen im Wagen aufhalten. So nimmt sie die Wellblechhütte einige Meter weiter ins Visier. Die Tür ist mit einem Strick am Haken notdürftig verschlossen. Die Gestalt lächelt und löst den Strick mit wenigen Handgriffen.

      Helene ist Profi

      Helene ist Profi. Sie übersieht die Hektik auf der Stadion 4 des Städtischen Krankenhauses.

      Sie geht ins Dienstzimmer und erkundigt sich bei der Oberschwester nach den bevorstehenden Aufgaben.

      „Setz dich erst mal, Mädchen!“

      Schwester Karin schiebt Helene zu einem der Stühle und macht sich dann an der altersschwachen Kaffeemaschine zu schaffen.

      Helene setzt sich seufzend. Sie ist erstaunt über die Freundlichkeit der Vorgesetzten.

      „Ist irgendetwas passiert?“

      Die mit beträchtlicher Leibesfülle bedachte 68jährige Oberschwester setzt sich schwerfällig zu Helene: „Du hast es also noch nicht gehört!“

      „Was?“, fragt Helene.

      Karin macht große Augen: „Eine Tote ist gefunden worden, unmittelbar neben deiner Behausung und wie sie zugerichtet worden ist …!

      Sie macht eine Pause. „Vergewaltigt und dann regelrecht ausgeweidet!“

      Sie schüttelt sich und flüstert: „Es hätte dich treffen können!“

      Helene wird blass: „Direkt neben mir, da wohnt Angela!“

      Die Oberschwester nickt: „Wohnte. Sie war 53 Jahre alt und sah noch ziemlich gut aus. Ich kannte sie auch!“

      Helene faltet die Hände und drückt dabei so fest zu, dass die Knöchel weiß hervortreten.

      „Oh Gott, wäre sie doch zu mir gekommen, ich hatte sie eingeladen auf ein Bier, gestern Abend. Aber sie meinte, sie müsste noch die Einnahmen der letzten Woche abrechnen.“

      Helene lächelt gequält. Angelas kleiner Trödel-Laden wirft so gut wie nichts mehr ab.

      Die Oberschwester rückt ein Stück näher an sie heran. So riecht bei Helene den nach Zwiebel stinkenden Atem der alten Frau. Sie weicht ein Stück zurück.

      „Es heißt, sie sei fachmännisch ausgeweidet worden.“ Die Oberschwester nickt vielsagend.

      „Organhandel!? Aber weswegen dann die Vergewaltigung?“ Helene schüttelt den Kopf.

      Karin erhebt sich schnaufend.

      „Sieh dich doch um … lauter alte Weiber. Wenn man dann noch jünger ist und auch noch gut aussieht, erübrigt sich die Frage!“

      Sie dreht sich um, um zu gehen. Doch dann bleibt sie stehen, dreht den Kopf, als wollte sie etwas sagen und sieht Helene besorgt an: „Sieh dich vor, Mädchen!“

      In Dresden

      In Dresden sieht es nach den heftigen Schneefällen und den immer wieder tobenden Stürmen aus wie nach einem Krieg. Ruinen wohin man sieht.

      Ein toter Stadtteil soll man meinen! Aber das ist nicht so! Im Schatten der Ruinen leben nicht nur Ratten, verwilderte Hunde. Ganz oben an der Nahrungskette ein Rudel Wölfe. Die Hunde sind zu klug, um sich irgendwo einzeln blicken zu lassen, die Ratten nicht nach dem Geschmack der Wölfe. Doch der Hunger treibt sie immer wieder in die Altstadt. Im Randgebiet, wo die Ärmsten der Armen hausen, merkt kaum jemand, wenn einer der verwahrlosten Einzelgänger fehlt. Unter Leitung der Alpha-Wölfin geht das zwölfköpfige Rudel durchaus strategisch vor. Die weiße Wölfin ist ausgesprochen klug.

      Nur ein großes schwarzes Männchen kann ihr Paroli bieten.

      Es bricht ebenfalls in das ungeschützte Armenviertel ein. Jedoch beschränkt es sich auf Hühner und andere Kleintiere. Aus irgendeinem Grund mag es die Menschen. Der Schwarze hat sich mit den Menschen arrangiert, während die weiße Jägerin mit ihrem Rudel üppige Beute in ihr Lager schleppt.

      Wütend wirft Nele Kurfürst ihre Handtasche in einen der weißen Ledersessel. Während ihr Leibwächter mit gekreuzten Armen vor der Brust stehenbleibt, geht Nele zur gläsernen Theke am Anfang des in völligem Weiß gehaltenen Raumes. Sie gießt aus einer Karaffe Cognac in ein feingeschliffenes Glas. Während sie die goldene Flüssigkeit langsam schwenkt, zeigen sich tiefe Falten auf der sonst glatten Stirn.

      „Was