"Verzeiht, aber gehört Euch dieses Schiff?", fragte Julian.
"Das kann man so sagen, mein Freund.", antwortete der Fremde. "Aber wo bleiben denn meine Manieren. Ich bin Odobar, Prinz des Nebels und Sohn des Statthalters von Bar Golan, der Handelsmetropole Raspetaniens. Mit wem habe ich das Vergnügen?"
"Ich bin Julian aus Anthem Gows und ursprünglich bin auch ich in Raspetanien geboren. Es freut mich, Euch kennen zu lernen, Odobar."
"Ganz meinerseits, Julian. Immer schön, einen Landsmann zu treffen. Was kann ich denn für Euch tun?"
"Nun, wenn dies Euer Schiff ist, liege ich dann richtig in der Annahme, dass Ihr bald nach Raspetanien zurücksegelt?"
"Das ist absolut korrekt, mein Freund. Noch heute Abend brechen wir auf in Richtung Apuerto. Falls Euch dieser Name nichts sagt, dabei handelt es sich um die nördlichste Hafenstadt ganz Afrikas. Noch dazu ist sie ungefähr gleich weit entfernt von der Hauptstadt Raspetaniens, Aschakrhan und Bar Golan, meiner Heimatstadt. Ich schlage dann natürlich den Weg Richtung Süden, nach Bar Golan, ein. Aber warum interessiert Euch das? Wollt Ihr mich begleiten?"
"Ja, wenn das möglich ist, würde ich sehr gerne mit Euch nach Raspetanien segeln. Es ist von äußerster Dringlichkeit."
"Tatsächlich? Dann ist es gut, dass wir einander begegnet sind. Denn bei dringlichen Angelegenheiten vermag ich Euch zu helfen. Worum genau geht es, mein Freund?" Odobar war sehr hilfsbereit und zögerte nicht einen Moment, Julian seine Hilfe anzubieten. Und das, obwohl er ihn nicht einmal kannte. Julian hätte auch einfach lügen können und in Wirklichkeit Motive haben können, Odobar zu schaden und er hätte ihm trotzdem geholfen. Das war der Geist von Raspetanien. Man begegnete allen als gleichgestellt und so konnte man natürlich auch allen Hilfe anbieten, auch wenn einige diese Hilfe gar nicht verdienen würden. Julian erklärte Odobar sofort, was eigentlich los war.
"Es ist sehr wichtig, dass ich mit den Herrschern von Raspetanien spreche, denn Anthem Gows braucht dringend Eure Unterstützung. Erudicor, die goldene Stadt, steht kurz vor einem Angriff durch einen seltsamen Magier und seine 75 000 Mann starke Armee. Allein können wir diesen großen Angriff niemals abwehren. Wir benötigen unbedingt Eure Hilfe. Der Kaiser persönlich schickt mich, um Euch darum zu bitten."
"Verstehe, das ist eine ernste Sache. So gerne ich Euch helfen würde, Freund, kann ich es leider nicht. Aber mein Vater kann es. Er als Statthalter von Bar Golan ist einer der fünf Herrscher von Raspetanien und somit befugt, Truppen an andere Reiche zu entsenden. Dennoch muss zuvor die Entscheidung von allen Mitgliedern des Rats der Fünf abgesegnet werden. Denn wie Ihr vielleicht wisst, lautet das Motto unseres Landes "Ohne Konsens keine Konsequenz"."
"Das ist mir bekannt.", sagte Julian, der nicht begeistert darüber war, dass sich erst der Rat der Fünf beraten musste, bevor sie Truppen zur Unterstützung schicken würden.
"Gibt es denn keine Möglichkeit, schneller Unterstützung von Euch zu erhalten?", fragte Julian schließlich.
"Nein, so funktioniert unser Land nun mal. Bisher hat sich dieses System immer bewährt und wir werden jetzt bestimmt nichts daran ändern. Alles, was ich Euch ans Herz legen kann, mein Freund, ist, mit mir nach Bar Golan zu reisen und meinem Vater mitzuteilen, was Ihr mir gerade erzählt habt. Ich bin sicher, dass sowohl er als auch der Rest vom Rat der Fünf einsichtig sein werden."
"Wie viele Krieger denkt Ihr, könnte Euer Reich entbehren, um Anthem Gows zu unterstützen?"
"Ich denke um die 15 000 werden wohl abkömmlich sein."
"Was, so viele?", platzte es aus Julian heraus. Die schiere Anzahl ließ ihn staunen.
"Überrascht Euch das? Wir sind ein großes Reich und da muss natürlich eine entsprechende Anzahl an Kriegern vorhanden sein, damit wir nicht einfach überrannt und erobert werden."
"Aber dann seid Ihr doch bestimmt das größte und mächtigste Reich der Menschen?"
"Nein, dieser Titel steht Ganredlah zu. Kaiser Aloisius Rabenkrang versteht es meisterhaft, stetig neue Truppen ausbilden. Wenn es zu wenige Krieger in seinem Reich gibt, dann zwingt er einfach Bürger, die gar nicht wollen, Krieger zu werden. Sie können dann entweder kooperieren oder sterben. Er verkauft es dem Volk so, als ob es ihre Entscheidung wäre. Als ob irgendjemand sich lieber töten lassen würde, als ein Krieger zu sein. Wenn man allerdings Krieger für so einen Kaiser sein muss, wäre der Tod wahrscheinlich die bessere Alternative."
"Aber das ist ja furchtbar. Wie kann er so etwas tun?"
"Weil er ein rückständiger Mensch ist, der über ein riesiges Reich herrscht. Er kann tun, was er will und niemand hält ihn davon ab. Denn die Menschen fürchten einen Kaiser. Und das sollten sie auch. Deshalb wird unser Reich von mehreren Personen regiert, damit nicht einer die völlige Kontrolle an sich reißen kann. So etwas wie in Ganredlah darf niemals in Raspetanien passieren, aber auch genauso wenig irgendwo anders. Aber genug davon, kommt Ihr nun mit, mein Freund?"
"Ja, ich werde Euch begleiten. Dann sehe ich mir Bar Golan an und überzeuge den Rat der Fünf davon, Anthem Gows zu unterstützen."
"Keine Sorge, mein Freund. Ich werde Euch helfen."
"Vielen Dank,