"Wir sind da. Dort drinnen befindet sich Hofmagier Azurro für gewöhnlich."
"Vielen Dank, Theodor."
"Ich lebe, um zu dienen." Mit diesen Worten verschwand Theodor. Julian klopfte an die Tür des Raums.
"Tretet ein.", drang die Stimme des Hofmagiers nach draußen. Julian tat wie ihm geheißen und fand sich in einem großen Raum mit etlichen Portalen wieder. Sie alle besaßen große, goldene Torbögen. Wohin sie wohl führten?
"Ich grüße Euch, Hofmagier Azurro.", begrüßte Julian den Magier.
"Seid ebenfalls gegrüßt, Julian. Nun denn, habt Ihr schon entschieden, wohin Ihr als erstes reisen möchtet?"
"Werden mich diese Portale etwa dorthin bringen?"
"Ja, in der Tat. In jeder Hauptstadt unserer verbündeten Reiche gibt es ebenfalls einen Raum mit solchen Portalen. Also, wohin soll's denn gehen?"
"Ich habe mir gedacht, ich reise als erstes nach Raspetanien."
"Ausgezeichnete Wahl, ich hätte besser nicht wählen können. Das Portal ist allerdings kaputt. Ihr müsst den langen und beschwerlichen Weg nehmen."
"Was? Ist das ein Scherz? Warum ist es dann eine ausgezeichnete Wahl?"
"Weil Raspetanien ein wichtiger Verbündeter sein wird und es wichtig ist, ihre Hilfe unverzüglich zu erlangen."
"Wichtiger als Shanto Gyar?"
"Unter Umständen schon. Außerdem könnt Ihr dann von Raspetanien aus über das Portalsystem in die anderen Reiche reisen."
"Na schön, aber was, wenn der düstere Magier schon vorher angreift?"
"Das wird er nicht. Ich habe in die Zukunft gesehen und bin mir sicher, dass seine Armee erst in etwas mehr als zwei Monaten eintrifft."
"Moment, Ihr könnt in die Zukunft sehen?"
"Aber ja doch. Das ist eine Spezialität der Wassermagie."
"Wassermagie? Was hat Wasser denn mit der Zukunft zu tun?"
"Habt Ihr schon mal vom Zeitfluss gehört, Julian?"
"Nein."
"Ist ja auch egal, es funktioniert jedenfalls. Ich versichere Euch, dass uns genug Zeit bleibt, um Unterstützung anzufordern und es bleibt auch noch genügend Zeit für diese Unterstützung, bei uns einzutreffen."
"Ach ja, das hatte ich noch gar nicht bedacht. Sie müssen die Truppen ja noch bis Erudicor schaffen. Das dauert doch ewig. Da brauchen wir doch noch mehr als ein Jahr Zeit."
"Nein, Julian. Vier der Reiche sind nahe an Anthem Gows. Die beiden, die weiter entfernt liegen, könnten sich verspäten, aber sie werden letztendlich auch an der Schlacht teilnehmen."
"Habt Ihr das alles auch in der Zukunft gesehen?"
"Nicht direkt. Aber ich bin davon überzeugt. Es muss einfach funktionieren. Wir dürfen nicht verlieren, sonst sind Erudicor, Anthem Gows und bald schon die ganze Welt verloren.
"Dann werde ich mich wohl nach einer schnellen Pferdekutsche umsehen müssen.", gab Julian von sich und verlor keine Zeit.
Kapitel V: Das Reich der Gleichheit
Bevor er vom Kaiserpalast losgestürmt war, hatte Julian Theodor noch einmal um Hilfe gebeten. Dieser erklärte ihm, dass Pferdekutschen für Reisen außerhalb sich am äußeren Rand der Stadt, außerhalb der goldenen Stadtmauer befanden. Dort sollte er eine bekommen. Julian machte sich dorthin auf. Um die Kutsche auch bezahlen zu können, hatte ihm Theodor wieder den Geldbeutel gegeben, den er ihm schon am Vortag für das Essen mitgegeben hatte. Als er die Altstadt verließ, kam er an einer Station mit Kutschen vorbei. Diese fuhren ausschließlich innerhalb der Stadtmauer aber außerhalb der Altstadt. Damit konnten Leute die weit vom Zentrum entfernt wohnten schneller dorthin gelangen, sollten sie einmal wichtige Angelegenheiten dort klären müssen oder einen Ausflug dorthin machen wollen. Obwohl es noch sehr früh war, herrschte hier bereits reger Betrieb. Schließlich setzte sich Julian in eine Kutsche, deren Fahrer ihm versicherte, dass sie zum Südtor fuhr. Gegen 5 Silberlinge, was im Vergleich zum überteuerten Essen im "Zum Goldhaus" geradezu ein Schnäppchen war, wurde Julian bequem bis zum Südtor kutschiert. Er teilte sich die Kabine mit drei anderen Leuten, die ebenfalls nach Süden wollten. Einer stieg irgendwo auf halber Strecke aus, die zwei anderen fuhren ebenfalls bis zum Südtor. Nach einer Fahrt von ungefähr einer Stunde, wobei die Kutsche stets zügig unterwegs war, erreichten sie das südliche Stadttor und als Julian dieses passiert hatte, erspähte er sofort Stallungen, bei denen sich Pferde herumtrieben. Dort fragte er nach, wann die nächste Pferdekutsche losfahren würde.
"Tut mir leid, mein Herr, aber die Kutschen fahren erst ab 10 Uhr."
Es war gerade 8 Uhr morgens.
"Ich muss aber so schnell wie möglich ans Meer. Wie kann ich noch dorthin gelangen, ohne ewig zu warten?"
"Nun, lasst mich mal sehen. Ihr könntet ein Pferd kaufen und selbst reiten. Wie viel Geld tragt Ihr bei Euch?"
"Wie wäre es mit 25 Silberlingen?"
"Zu Eurem Pech kostet ein Pferd aber 150 Silberlinge."
"Aber ich brauche dringend eines. Ich muss doch die anderen Reiche davon überzeugen, dass sie uns Unterstützung schicken. Ich bin im Auftrag des Kaisers unterwegs."
"Im Auftrag des Kaisers? Das kann ja jeder behaupten. Habt Ihr denn etwas, dass das auch beweist?"
Da fiel Julian das Siegel ein, welches ihm Kaiser Theron verliehen hatte. Er zeigte es dem Mann und schon bald saß er auf einem schnellen Schimmel, der alles gab, um Julian so schnell es ging ans Meer zu bringen. Der Mann bestand darauf, dass Julian auch noch eine Karte von Europa mitnahm, um seine Route verfolgen und überwachen zu können. Bei einer Karte, die so undetailliert ein so großes Gebiet zeigte, war das nicht einfach, doch es musste reichen und war besser, als keine Karte. Julian konnte außerdem nicht reiten, doch der Mann war so freundlich, ihm die Grundzüge schnell beizubringen. Es war zwar noch eine Herausforderung, aber es funktionierte. Während er weiter südwärts, in Richtung Meer ritt, dachte Julian darüber nach, was ihm das kaiserliche Siegel für Vorteile bringen würde. Davon abgesehen war er schon sehr aufgeregt, Raspetanien endlich zu besichtigen. Er besaß keine Erinnerungen daran aus seiner Kindheit. Umso spannender war es nun, das Reich zu bereisen, in dem er geboren war. Doch davor erwartete ihn noch ein langer Weg. Schon bald gab Julians Pferd alles und brachte ihn schnell voran. Doch nachdem er den ganzen Tag bis abends geritten war, wurde das Pferd langsamer. Es hatte die Grenze seiner Belastbarkeit erreicht und brauchte dringend Nahrung. Also hielt Julian in einem kleinen Dorf, welches sich in einem von Bergen umgrenzten Tal befand. Soweit er wusste, musste er noch in Anthem Gows sein. Die Leute im Dorf waren sehr freundlich und als Julian ihnen das Siegel des Kaisers zeigte, boten sie ihm und seinem Pferd Verpflegung sowie eine Unterkunft für die Nacht an. Es war sinnlos, in der Nacht weiter reiten zu wollen. Das Pferd konnte nicht so gut sehen und Julian ebenso wenig. So konnte schneller ein Unfall geschehen, der Julian nur noch mehr Zeit kosten würde. Dafür hatte er keinen Platz in seinem Plan. Also ruhte er sich über die Nacht aus und am nächsten Tag brach er früh auf. Am Abend zuvor hatte er sich noch von den Leuten im Dorf zeigen lassen, wo genau sie sich befanden. Ohne Zweifel lag das umliegende Land noch in Anthem