»Nein, der Angeklagte schwitzte sehr, weiter habe ich nichts gesehen.«(Gelächter.)
So oft Menschen versammelt sind, um einen Andern richten und verurtheilen zu hören, lassen sie nie eine Gelegenheit unbenutzt, wo sie lachen können.
»Es ist gut, geht wieder an Euren Platz,« sagte der Präsident zu dem Zeugen, welcher sich freute, zuerst aufgerufen worden zu sein, weil er auf diese Weise von einem guten Platze aus die ganzen Verhandlungen mit anhören konnte, ohne daß ihm ein Wort entging.
Der zweite Zeuge war einer der drei Freunde des Pfarrers, die ihn am Abende vor dem Verbrechen besucht hatten.
Es war ein Mann von sechzig Jahren, von allgemein anerkannter Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit.
Nachdem er die gewöhnlichen Einleitungsfragen beantwortet hatte, fragte ihn der Präsident:
»Wie benahm sich der Pfarrer Raynal an jenem Abende gegen seinen Neffen?«
»Ganz wie ein Vater; er schien eine herzliche Zuneigung zu ihm zu haben.«
»Wie benahm sich während dieser Zeit der Angeklagte?«
»Wie ein junger Mann, welcher die ihm bewiesene Liebe dankbar anerkennt.«
»Wurde von der Feindschaft gesprochen, welche zwischen den beiden Brüdern geherrscht hatte?«
»Ja.«
»Was sagte der Pfarrer in dieser Beziehung?«
»Er bedauerte sie.«
»Hatte Herr Raynal schon vor jenem Abende diesen Umstandes gegen Sie erwähnt?«
»Ja; Herr Raynal war einer meiner intimen Freunde und vertraute mir alle seine Gedanken an.«
»Wie äußerte er sich über seinen Bruder Onesimus Raynal?«
»Ich bin es der Wahrheit schuldig zu sagen, daß er ihn zuweilen als einen Mann von heftigem Character schilderte. Aber in der Folge hatte sich seine Meinung von ihm sehr geändert und er hat oft den Wunsch gegen mich ausgesprochen, diesen Bruder wiederzusehen und zu umarmen.«
Die beiden folgenden Zeugen sagten in dem nämlichen Sinne aus, sie fügten aber noch hinzu, der Pfarrer habe ihnen erzählt. daß er im Laufes des Tages eine Summe von zwölfhundert Franken eingenommen habe.«
»Diese Summe bestand in Fünffrankstücken,« bemerkte Jeans Vertheidiger, »und die zwölfhundert Franken, die man bei dem Angeklagten gefunden hat, waren zwei Bankbillets und zehn Louisd’ors.«
»Der Herr Pfarrer hat uns nicht gesagt,« erwiderten die Zeugen, »in welchen Münzsorten jene zwölfhundert Franken bestanden haben; er erzählte uns nur, daß er sie erhalten habe.«
»Uerigens,« setzte der Staatsanwalt hinzu, »hat der Angeklagte sie auch umwechseln können.
»Auch wünschten wir eben deßhalb Gewißheit zu haben, ob die zwölfhundert Franken in Fünffrankenstücken bestanden haben, um die Anklage auffordern zu können, den Wechsler auszumitteln, bei dem sie umgesetzt worden wären.«
Kein Zeuge konnte das Gericht über diesen Punkt aufklären.
Der junge Mann, welcher die erste Anzeige von dem Verbrechen gemacht hatte, wurde hierauf vernommen. Er wußte nichts zu sagen, als daß er schon am Abend zu dem Pfarrer gekommen war; da er aber von der Haushälterin hörte, daß ihr Herr Besuch hatte, so habe er ihn nicht stören wollen und sei daher am folgenden Morgen wieder zu ihm gegangen. Da ihm ans sein Klopfen Niemand öffnete und eine Todtenstille im Hause herrschte, habe er es auf sich genommen, die Thür mit Gewalt zu öffnen.
Die Entlastungszeugen wurden jetzt gehört. Alle stimmten darin überein, die musterhafte Aufführung Jean Raynals bis zu dem Tage des Verbrechens zu versichern, aber von diesem Augenblicke an konnte Keiner etwas über ihn sagen.
Der Croupier des Spielhauses war ebenfalls eingeladen worden.
»Kennen Sie diesen jungen Mann?« fragte ihn der Präsident, auf den Angeklagten zeigend.
»Nein,« Herr Präsident.«
»Sie erinnern sich nicht, ihn an Ihrer Spielbank gesehen zu haben?«
»Es kommen so viel Leute zu uns, daß es fast unmöglich ist, uns die einzelnen Gesichter zu merken.«
»Oer Angeklagte behauptet, am B. April zwölfhundert Franken bei Ihnen gewonnen zu haben; erinnern Sie sich dessen nichts Sie selbst sollen sie ihm ausgezahlt haben, wie er sagt.«
»Ich zahle Alles aus und es gehen täglich mehrere hunderttausend Franken durch meine Hände. Es würde mir also unmöglich sein, mich zu erinnern, ob ich Jemandem eine so unbedeutende Summe von zwölfhundert Franken ausgezahlt habe.«
»Nun, es ist Gottes Wille!« murmelte Jean.
Mit den übrigen Zeugen war es der nämliche Fall.
Alle Einwohner von Lafou, deren Häuser in der Nachbarschaft des Pfarrhauses lagen, waren eingeladen worden. Einige von ihnen waren spät zu Bett gegangen, Andere waren vor Tagesanbruch wieder aufgestanden, Einige sogar hatten gar nicht geschlafen. Aber kein Einziger von ihnen konnte sagen, daß er im Laufe des Tages oder während der Nacht Jemanden in das Pfarrhaus hatte gehen sehen, als den Angeklagten.
Mit jedem Augenblick häuften sich die moralischen Beweise gegen Jean mehr an. Er war vernichtet, die Gedanken vergingen ihm. Zuweilen glaubte er, er sitze für einen Anderen hier, und auf der anderen Seite war er selbst so entsetzt über dieses Zusammentreffen erschwerender Umstände, daß er sich fragte, ob er nicht wirklich seinen Oheim ermordet habe.
Nach Vernehmung der sämmtlichen Zeugen erhob sich der Staatsanwalt und unterstützte die Anklage durch folgende Rede:
»Meine Herren Geschworenen, es giebt Verbrechen, wegen deren Ihre Gerechtigkeit sich in gar keine Diskussion mit Ihrem Gewissen einzulassen braucht und über die Sie ohne Bedenken das Verdammungsurtheil aussprechen können, wenn Sie die in Gefahr gebrachte Gesellschaft rächen wollen. Das Verbrechen, über das Sie heute zu richten haben, gehört zu dieser Klasse. Es ist unter Umständen begangen worden, welche keinen Zweifel über seinen wirklichen Urheber zulassen. Der Mörder ist der, den Sie Vor sich haben; er ist es, der seit zwei Monaten die erschwerendsten Beweise sich um ihn hat aufhäufen sehen, ohne einen einzigen derselben widerlegen zu können. Wenn in Ihrem Geiste noch der mindeste Zweifel bleiben sollte, so erinnern Sie sich der einzelnen Umstände, und der Zweifel wird schwinden, das Licht der Ueberzeugung wird an seine Stelle treten. Zum Glück kann man auf die Justiz das Wort der heiligen Schrift anwenden: Gott sprach, es werde Licht, Und es ward Licht.«
Der Staatsanwalt fuhr sich mit dein Tuche über den.Mund, damit seine Zuhörer Zeit haben sollten, ein Gemurmel der Bewunderung durch den Saal laufen zu lassen; dann fuhr er mit dem gemachten Effect zufrieden, in seiner Rede fort:
»Wenn wir die einzelnen Kettenglieder der Anklage zusammenfügen, so werden wir sehen, ob die Wahrheit nicht klar der Augen liegt. Ein einziger Mensch ist im Laufe des 15. April zu dem Pfarrer Valentin angekommen, wenn wie die drei Freunde ausnehmen, die ihn ans Abende besucht haben und von denen nicht die Rede sein kann, ein Einziger hat während der Nacht vom 15. zum 16. sein Haus wieder verlassen, und dieser Einzige ist Jean Raynal. Während der Zeit welche der Angeklagte in dem Hause seines Oheims zugebracht, ist ein Verbrechen begangen worden, oder Vielmehr zwei Verbrechen, denn es sind zwei Schlachtopfer, deren Tod wir heute zu rächen haben. Auf wen kann der Verdacht fallen, als auf den einzigen Menschen, den man an jenem Tage zu dem ehrwürdigen Pfarrer von Lafou hat kommen sehen? Und welche Beweise findet die Anklage gegen diesen Menschen? Hier werde ich fast von Mitleiden mit dem Angeklagten selbst ergriffen, der hartnäckig die That leugnet, anstatt durch ein offenes Geständniß die Gerechtigkeit milder zu stimmen. Dieser Mensch leugnet, er leugnet! und man findet bei ihm eine Summe von zwölfhundert Franken, während eine ganz gleiche Summe dem unglücklichen Pfarrer gestohlen worden ist! Er leugnet und an seinen Kleidern finden sich die Spuren des edlen Blutes, das er vergessen hat! Er leugnet, und in einem Briefe, den