»Ihr Vor- und Zuname?« fragte er den jungen Mann.
»Jean Raynal,« antwortete dieser.
»Woher kommen Sie?«,
»Zuerst von Paris, dann von Lyon.«
»Was hatten Sie in Lafou zu thun?«
»Meinem Oheim einen Brief meines Vaters zu überbringen.«
»Die beiden Brüder haben seit mehreren Jahren in Feindschaft gelebt?«-
»Seit zweiundzwanzig Jahren.«
»Und Sie beabsichtigten?«
»Eure Aussöhnung zwischen ihnen herbeizuführen.«
»Ganz recht,« sagte der Beamte, indem er ein Papier überblickte, welches das Protokoll einer Aussage zu sein schien. »Nun, mein Herr, Sie sind angeklagt, Ihren Oheim und die Frau, die er in seinem Dienste hatte, ermordet zu haben.«
»Ich?« erwiderte Jean lachend.
»O lachen Sie nicht,I denn die Sache ist höchst ernsthaft! Sie sind ferner angeklagt, Ihrem Oheim die Summe von zwölfhundert Franken entwendet zu haben, den Ertrag einer Sammlung, die er für die Armen seiner Gemeinde veranstaltet hat.«
»Herr Procurator,« erwiderte Jean, »was Sie mir da sagen, ist unmöglich, physisch unmöglich, und ich konnte mich nicht enthalten, zu lachen, weil ich nicht allein meinen Oheim und Toinette nicht ermordet habe, sondern weil ich weiß, daß sie sich in diesem Augenblicke so wohl befinden, wie Sie und ich.«
»Sie leugnen also diese That?«
»Zuerst leugne ich, daß ich der Thäter bin, und dann, ich wiederhole es Ihnen, leugne ich auch, daß sie begangen worden ist. Erlauben Sie mir, Ihnen eine Frage vorzulegen.«
»Sprechen Sie.«
»Wann soll mein Oheim und seine Haushälterin ermordet worden sein?«
»Diese Nacht.«
»Sie.sehen« Herr Procurator, daß dies ein Irrthum ist, da ich bei meinem Oheim übernachtet habe.«
»Eben deshalb wird Ihnen das Verbrechen zur Last gelegt.«
»Aber mein Herr, ich schwöre Ihnen, daß ich unschuldig bin und baß mein Oheim lebt und gesund ist. Ich habe gerade unter ihm geschlafen; wäre er ermordet worden, so hätte ich Geschrei oder sonst ein Geräusch vernommen, denn man kann nicht zwei Personen ermorden, ohne daß wenigstens Lärm im Hause entsteht.«
»Was soll ich Ihnen darauf sagen? Sie sind als der wahrscheinliche Thäter des Verbrechens denuncirt. Antworten Sie mir jetzt: wollen Sie mir die Papiere zeigen, die Sie bei sich haben?«
Jean zog seine Brieftasche hervor und übergab sie dem königlichen Procurator. Dieser untersuchte den Inhalt.
»Hier sind zwei Billets zu fünfhundert Franken und zehn Louisd’ors in ein Papier gewickelt,« sagte er.
»Nun?«
»Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß Sie beschuldigt sind, Ihrem Oheim zwölfhundert Franken entwendet zu haben?«.
»Aber diese zwölfhundert Franken hier habe ich in Lyon gewonnen.«
»Wo denn?«
»In einem Spielhause,« antwortete Jean erröthend.
»Also Sie sind ein Spieler. In der That spricht Ihr Oheim in einem Briefe an Ihren Vater, den er ehe er zu Bette ging, geschrieben hat und der sich in unseren Händen befindet, von diesem Fehler. Er sagt Folgendes,« fuhr der Procurator, indem er ein Papier aus den vor ihm liegenden Acten nahm: »Jean spielte rathe ihm davon ab und lies ihm die Moral. Das Spiel ist eine Leidenschaft, welche zu allen Verbrechen führen kann.« — Ihr Oheim hat sich leider nicht geirrt!«
»Sie glauben also, daß ich der Urheber dieses schändlichen Verbrechens bin?«
»Es ist mir nicht erlaubt, eine Meinung darüber zu haben, aber ich sage, daß leider die schwersten Verdachtsgründe gegen Sie vorhanden sind. Die zweiundzwanzigjährige Feindschaft zwischen den beiden Brüdern, Ihr unerwarteter Besuch, der Mord, der nur durch einen Menschen begangen sein kann, der im Hause gewesen ist, da nirgends ein Einbruch von außen zu bemerken ist, die entwendete Summe von zwölfhundert Franken und eine gleiche Summe, die Sie bei sich haben, Ihre beabsichtigte Abreise von Nimes mit der ersten abgehenden Diligence, welche die größte Aehnlichkeit mit einer Flucht hat; dies Alles ist höchst verdächtigt.«
»Aber es ist entsetzlich, Heer Procurator,« rief Jean, indem er vernichtet aus einen Stuhl sank, »daß so viele Verdachtsgründe sich gegen einen Unschuldigen vereinigen können, denn ich schwöre es Ihnen bei Allem, was heilig ist, daß ich dies bin!«
Indem der junge Mann dies sagte, bedeckte er sein Gesicht mit beiden Händen, denn er lachte nicht mehr und konnte seine Thränen nicht zurückhalten.
»Aber das ist noch sonderbarer,« sagte der Procurator, indem er sich vorbeugte und einen Arm des Angeklagten mit ganz besonderer Aufmerksamkeit betrachtete, »kommen Sie doch näher.«
Jean näherte sich ihm, ohne zu begreifen, was er von ihm wollte.
»Geben Sie mir Ihren rechten Arm.«
Jean that es.
»Es ist Blut aus Ihrem rechten Aermel,« sagte der Beamte.
»Blut?«
»Hier sehen Sie.«
In der That sah man große Blutstropfen auf dem Aermel von Jean’s Oberrocke, die, obgleich jetzt getrocknet doch offenbar neu waren.
»Können Sie dagegen etwas einwenden?« fuhr der Procurator fort, durch diesen letzten Beweis vollkommen ueberzeugt, daß er den wirklichen Mörder des Pfarrers vor sich habe, der sich durch den zuverlässigen Ton der vollkommensten Unschuld, mit dem er leugnete, als ein um so größerer Bösewicht zeigte.
»Blut?« wiederholte Jean; »wissen Sie auch gewiß, daß es Blut ist, was Sie hier sehen? Ich sehe nichts mehr, Herr Procurator; die Sinne vergehen mir, es ist mir, als wollte es mir den Kopf zersprengen!. . . Blut!. . . mein Gott! wie ist das Blut hierher gekommen?. . . das ist ja entsetzlich!«
»Es ist gut,« erwiderte der Procurator, indem er sich wieder niedersetzte und in einem Tone, der nicht die geringste Theilnahme mehr verrieth; »ich will mein Protocoll machen, dann werden wir zur Confrontation schreiten.
»Zur Confrontation?« wiederholte Jean mechanisch.
»Ja, Sie müssen mit den beiden Leichnamen confrontirt werden.«
»Mein Oheim und Toinette sind also wirklich todt?«
»Nun, das wissen Sie doch?«
»Ich träume also nicht? fuhr der junge Mann fort, indem er um sich blickte; »ich bin wirklich angeklagt, zwei Menschen ermordet zu haben, ich, ich, Jean Raynal, der eben noch im Begriffe war, fröhlich und heiter abzureisen, der vor zwei Stunden noch ruhig schlief! und ich habe Blut an meinem Rocke!. . . und dies Alles ist wirklich wahr!. . . Darüber könnte man wahnsinnig werden, Herr Procurator« oder auf der Stelle des Todes sein!«
»Schon gut, schon gut,« erwiderte der Beamte, der immer fester von der Schuld des jungen Mannes überzeugt wurde; »das ist jetzt Sache der Justiz.«
»Und wozu soll diese Confrontation mit den Leichnamen nützen?«
»Die Justiz hofft, daß der Anblick der Schlachtopfer einen solchen Eindruck auf den Verbrecher machen wird, daß er eingesteht.«
»Aber es wird mir wohl erlaubt sein, den Leichnam noch einmal zu umarmen?«
»Sie wollen ihn umarmen?«
»Nun ja, meinen guten Oheim, der mich schon so lieb hatte, der so gut gegen mich war, der mich bei