Höllenteufel. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176665
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Seine Gläubiger hatten dies wohl in den falschen Hals bekommen, denn tags darauf tau­chten wieder zwei von den unangenehmeren Typen bei ihm auf und machten ihm klar, dass es voll­kommen uner­heblich war, ob er noch etwas schuldig sei oder nicht. Er sei mittler­weile Teil der Familie, семья́, wie ihn der Schläger wis­sen ließ, und als ob ihre physische Präsenz nicht genug Nach­druck verlieh, zog er auch noch zwei Fotos aus der Ta­sche. Auf dem einen war Wellner mit einer seiner jun­gen Gäs­te zu sehen, wie sie zusammen einen Einkaufswagen scho­ben. Sofia, er erinnerte sich gut an sie. Auf dem zweiten Bild war sie nur schwer zu erkennen und Wellner hatte Mü­he gehabt, sie überhaupt zu identifizieren, so übel zu­ge­richtet war sie.

      „Sie war erst fünfzehn und wird aussagen, du seist das ge­wesen, und zwar als du sie zum Sex gezwungen hast“, hatte der Mann ihm mitgeteilt, und auf seinem Sackgesicht, so wie Wellner es beschreiben würde, hatte sich ein breites Grinsen breitgemacht.

      „Und außerdem, was willst du, Towarischtsch? Du verdienst doch gut Geld damit, oder?“

      Der Gedanke an den darauffolgenden Schlag auf seine Schul­­­­ter ließ ihn heute noch zusammenzucken. Nicht auszu­denken, wenn ihn das Sackgesicht mit seinen kochtopf­gro­ßen Fäusten aufgemischt hätte. Natürlich hatte Wellner sei­ne weitere Mitarbeit versichert und das nicht nur wegen der un­verhohlenen Drohungen. Er hatte schließlich längst begrif­fen, dass er sich des Menschen­handels strafbar gemacht hatte und außerdem war seine Tätigkeit tatsächlich mittlerweile sehr einträglich. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass er seinerzeit ziemlich cleveren Geschäftsleuten auf den Leim gegangen war, die genau wussten, was sie taten und welche Knöpfe sie drücken mussten.

      Als sie schließlich nach etwa acht Jahren die Tätigkeiten in das Schlösschen verlegten, hatte er praktisch immer mindes­tens drei Mädchen zu betreuen, die mitunter auch mehrere Wochen in dem Anwesen verbrachten. Zu diesem Zeitpunkt begannen auch die Partys, bei denen in unregelmäßigen Abständen offensichtlich sehr gut betuchte Gäste auf das Schloss kamen und ein Wochenende lang ihre sexuellen Fan­tasien ausleben konnten. Nur wenige Monate nachdem Well­ners Arbeit in das Schloss verlegt worden war, wurde ihm zum ersten Mal die Aufgabe zu­teil, eine junge Frau, die kurz zuvor aus seiner Obhut abge­holt worden war, ver­schwinden zu lassen. Ein Betriebsunfall, hatte man ihm ge­sagt, doch da es nicht bei dieser einen bleiben sollte, wurde ihm schnell klar, dass seine семья́ ihr Angebot erweitert hatte und nun die abscheulichsten, perversesten Bedürfnisse ihrer Klientel bediente. Die Be­zeichnung full service hatte sich bei der Be­spre­chung in sein Hirn gefressen, bei der er zwei Mitglieder aus der Führ­ungsriege kennenlernte. Einen smar­ten Busi­ness­man, der rein äußerlich eher ein Oligarch zu sein schien als ein Mit­glied der russischen Mafia. Und ei­ne eben­so wir­kende Rus­sin, atemberaubend schön, viel­leicht Mitte drei­ßig, die so eis­kalt über Ware, Termine und Service sprach, dass es selbst den mittlerweile abgebrühten Wellner anekelte und er sich fragte, wie eine Frau derartig grauen­volle Taten an anderen Frauen nicht nur zulassen, sondern sogar orga­ni­sieren konnte. Zu die­sem Zeitpunkt war er so tief verstrickt in die Ma­chen­schaften und verdiente so viel Geld, dass an ein Aufhören nicht mehr zu denken war – selbst wenn sich dann und wann der zarte, schwer zu hörende Ruf eines noch rudimentär vor­handenen Gewissens bei ihm regte.

      Der Ordner, den er jetzt aufgeschlagen vor sich gelegt hatte, stand für eine zweite Änderung in dem geschäftlichen Ge­baren. Waren in den ersten Jahren nur Frauen aus dem Osten hergebracht worden, gelegentlich auch aus asiatischen Län­dern, wurden seit geraumer Zeit zusätzlich Mädchen und Jungen in dem Anwesen untergebracht, die aus mittel- und west­eu­ropäischen Staaten stammten und nach der hiesigen Zwi­schenstation ihren Weg in andere Länder nahmen, vor­wie­gend in den Nahen Osten, aber auch nach Russland und Nord­amerika. Die Anzahl der Bestellungen gezielter Phä­no­typen war im Laufe der Zeit deutlich ge­stiegen. Und um ge­nau solch eine Bestellung handelte es sich bei dem Ordner, des­sen Inhalt er jetzt vor sich ausbreitete. Genauer gesagt war diese Akte schon weit in der Bear­bei­tung vor­ange­kommen, denn einer der Beschaffer hatte bereits ein Opfer aus­gespäht, das den Kriterien entsprach. Die Beschaffer wa­ren Männer und Frauen, deren echte Namen nur Wellner kann­te. Die Kommunikation lief über Pre­paid­handys, die nach jedem Einsatz vernichtet wurden, und zu Gesicht be­kam er sie nur bei der Übergabe von Unter­lagen oder der Ware. Diese Übergaben fanden an unter­schied­lichen Treff­punkten statt und Wellner wusste, dass die Be­schaffer keine Ahnung von der Existenz dieses Anwesens hatten. Genau­sowenig wie die Schleuser, die die Mädchen oder – wie in diesem Fall – Jungs, an anderer Stelle entge­gennahmen, um sie ihrem Ziel näher zu bringen. Näher­ bringen deshalb, weil auf dieser Reise mindestens zweimal eine Übergabe statt­fand. Wellner hatte sich seinerzeit über­legt, warum die­ses Ri­siko eingegangen wurde, doch irgend­wann hatten es ihm sei­ne Chefs erklärt: Zum einen wurde dadurch deutlich er­schwert, dass nach einer Verhaftung am unteren Ende des Netzwerks die Verbindungen zu den Köpfen und Auf­traggebern verfolgt wer­den konnte. Zum anderen solle er­reicht werden, dass jeder Mitarbeiter auf genau seinem Ge­biet spezialisiert ist – was die genaue Ortskenntnis mit einbe­zog. So kannte jeder Einzel­ne Risiken und Vorteile bestimm­ter Streckenab­schnitte und konnte gegebenenfalls schnell über Alter­na­tivrouten ent­schei­den. Diese Erklärungen leuch­­teten Well­ner immer noch ein. Aber auch horizontal war das Netz vor Aufdeckung bestens abgesichert, so musste er selbst dafür sorgen, dass die Beschaffer, die sich unter­ein­ander nicht kann­ten, niemals treffen durften. Die Prepaid Handys, die er stets zuge­schickt bekam, durften auf keinen Fall in dem Schlösschen und im Umkreis von dreißig Kilo­metern eingeschaltet wer­den. Sollte einmal ein Handy in die Hände der Ermittlungs­behörden fal­len, war so sichergestellt, dass eine nachträg­liche Aus­wertung der Verbindungen und der Funkzellen nicht in die Nähe des Hauses führen würde. Überhaupt war er verpflich­tet, für die mobile Kommu­ni­kation jedes Mal unterschied-liche Stellen aufzusuchen, was einen erheblichen Fahrauf-wand bedeutete. Aber so konnte man die Polizei im Fall der Fälle zuverlässig vom Vertei­lerzentrum, wie er seinen Wir­kungsbe­reich nannte, fern­zu­hal­ten. Das Anwesen und seine Person stellten natürlich grund­­sätzlich einen sehr sensiblen Knoten dar, deswegen waren die Versicherungen seine Loyalität betreffend auch ent­­sprech­end scharf gewählt.

      Die Bilder des Jungen, die er vor sich ausgebreitet hatte, zeig­­­ten ein etwa zwölfjähriges Kind mit strohblonden Haa­ren und riesigen, auffallend blauen Augen. Die Fotos, offen­sicht­lich mit einem starken Teleobjektiv aufgenom­men, lie­ßen er­kennen, dass der Junge von zarter Statur war, was sich auch in den feinen Gesichtszügen widerspiegelte. Es musste wohl die andro­gyne Ausstrahlung sein, die den Auftrag­ge­ber ans­prach, vermutete Wellner, der wusste, dass dieser Jun­ge für einen Kunden aus Saudi Arabien ausgesucht wor­den war. Wellner langte in die Brusttasche seines Hem­des, fischte die Packung Богатыри heraus und zündete sich eine der Ziga­ret­ten an. Packung und Benzinfeuerzeug warf er auf den Tisch. Innerhalb der nächsten zwei, drei Tage sollte Juri des Jungen habhaft werden, dann würden sie sich auf einer abseits gelegenen Straße weitab einer Behausung treffen und die Übergabe ver­anstalten. Das Prepaid Handy hatte er be­reitge­legt. Um sech­zehn Uhr war eines der Zeitfenster, um mit Juri Kon­takt aufzunehmen. Sollte er dies nützen, würde er das Mobil­telefon irgendwo auf einem Parkplatz im Süd­schwarz­wald einschalten und fragen, ob Juri schon bereit sei, die Ware zu übergeben. Bewusst hatte man einfachste Se­nioren­handys gewählt, die weder über GPS verfügten noch in der Lage waren, über Schnickschnack wie Skype, Massen­ger oder WhatsApp zu kommuni­zieren. Wellner trat wieder ans Fen­ster. Vor seinem inneren Auge sah er sich mit Schnee­schaufel und Sandblechen bewaffnet Wege ebnen, um mit dem Wa­gen eine Stelle im Nirgendwo auf­zusuchen, nur da­mit er das Telefonat führen konnte. Miss­mutig blickte er auf das Handy. Hier würde er es gemäß den Anwei­sun­gen kei­nes­falls einschal­ten! Aber sein Entschluss stand fest. Er würde heute keines­falls mehr das Haus verlas­sen. Der nächs­­te Ter­min für ein Telefonat wäre übermorgen.