Höllenteufel. Andre Rober. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andre Rober
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754176665
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des Opfertischs, nahm den Kopf des Mädchens in beide Hände, so dass seine Finger ent­lang der Wangen und die Handflächen über dem Kiefer­gelenk lagen. Obwohl die Szene wahrhaft gruselig war, und Sarah darum betete, dass die junge Frau nichts von alldem mitbekam, schien die Berührung sehr zärtlich, fast liebevoll zu sein. Behutsam dreht der Mann den Kopf der Rot­haa­­rigen, bis ihr Gesicht der Decke zugewandt war. Dann mur­melte er erneut einige Verse, diesmal in Altgriechisch. Nach­dem er verstummt war, legte er seine Stirn auf die des Mäd­chens und verharrte mindestens eine Minute. Schließ­lich gab er ihr einen sanften Kuss und nahm danach seine Position hinter dem Altar wieder ein. Abermals ertönte ein Gesang und Sarah fiel jetzt erst auf, dass der Mann über eine sehr schöne Stimme verfügte und die Töne treffsicher hervor­brachte. Als der Choral be­endet war, zog der Unbekannte den Dolch und hielt ihn mit der stumpfen Seite der Klinge an den Hals seines Opfers. Er strich damit nach unten, über die linke Brust, den nackten Arm, zurück und über den Bauch in Richtung Schoß. Sarah hielt die Luft an, so sehr verinner­lichte sie, was sie vor sich sah. Es war faszinierend und un­säg­lich abstoßend zu­gleich, und als die Klinge in den Geni­tal­bereich des Mäd­chens wanderte, hielt sie diese entsetz­li­che Spannung, die von ihr Besitz ergriffen hatte, schier nicht mehr aus! In ihr tob­te der Kampf zwischen dem Wunsch, die Augen zu schlie­ßen oder das Video anzuhalten und dem Sog, der sie mitriss und dazu brachte, jedes noch so kleine Detail auf­zunehmen, mit den Augen, mit den Fingern, die zu Fäusten verkrampft waren, mit der Luft, die sie atmete! Unfähig sich zu bewegen, unfähig wegzusehen ver­folgte sie, wie der Priester, als den sie den Mann nun wahr­nahm, mit dem Klingenrücken das Bein des Mädchens her­unterfuhr, über den Rücken des nackten Fußes, zurück nach oben, nur um für einen Sekundenbruchteil im Schritt zu verweilen und im Anschluss das andere Bein hinunter­zufahren. Das leise Mur­meln des Mannes und die uner­träglichen, mächtigen Bil­der lösten fast einen Schwindel bei Sarah aus! Wie hypno­tisiert verfolgte sie, wie das Messer das Bein wieder hinauf, über den Bauch, den Arm, die Brust und den Hals wanderte und er es schließlich mit der Spitze zum Kehlkopf weisend auf ihrem Brustbein ablegte. Er schwang die Kutte zurück, kletter­te auf den Altar und setzte sich, fast wie zu einem Ge­schlechtsakt knapp unterhalb der Hüften auf das Mäd­chen. Als er die Kutte zurechtgezogen hatte, beugte er sich vor, nahm den Dolch und hob ihn weit nach oben, ging ins Hohl­kreuz, schnellte nach vorne und ließ die Waffe auf das Mäd­chen niedersausen! Sarah zuckte nicht einmal mit den Wim­pern, als das Messer mit einem dumpfen Geräusch in das Holz des Altars schlug – knapp neben dem Hals der Rot­haarigen! Der Priester schrie laut, legte seinen Kopf auf der Brust des Mädchens ab und verharrte mehrere Minuten. Schließlich richtete er sich auf, schlug die Kapuze nach hin­ten und kletterte von dem Altar. Ohne jeglichen Pathos steu­er­te er die Kamera an und streckte den Arm aus. Un­mit­telbar danach wurde das Bild schwarz und das Video war zu Ende.

      Sarah schnappte nach Luft! Hatte sie die ganze Zeit den Atem angehalten? Erst mit dem einströmenden Sauerstoff nahm sie den Rahmen des Bildschirms wieder wahr, weitete sich ihr Sichtfeld und sie sah den Schreibtisch, das Fenster, ihre Hände mit den Abdrücken ihrer Fingernägel, Thomas, der unbeweglich neben ihr saß. Wie konnte es sein, dass die­se schrecklichen Bilder sie derart in den Bann gezogen hat­ten? Sie blickte zu ihrem Partner. Auch er atmete sehr tief und schien dem eben gesehenen nachzuhängen. Immer wie­der schloss er die Augen und schüttelte ganz leicht den Kopf. Nach einer Weile sah er sie mit festem Blick an. Er war in der Realität an­gekommen.

      „Ich kann es nicht glauben“, sagte er, doch Sarah wusste nicht, was er meinte: die grausamen, grotesken Bilder, oder aber seine Reaktion darauf. Hatte er die Szene genau so er­lebt wie sie? Voller Emotionen, Neugier, Faszination? Ver­spürte er in diesem Moment dieselbe Scham, weil er, wie sie, dem Schauspiel fast lüstern gefolgt war? Sie vermochte es nicht zu beurteilen.

      „Ich brauche eine Pause und etwas Ablenkung“, brach er nach einer gefühlten Ewig­keit das Schweigen.

      „Ich bin zu einhundert Prozent bei dir“, befürwortete sie dankbar den Vorschlag.

      Thomas erhob sich und nahm seinen Anorak von der Stuhl­lehne.

      „Einmal um den Block?“, fragte er.

      Sarah nickte, nahm ihrerseits ihre Jacke von dem Garde­ro­benständer und folgte ihrem Partner auf den Flur. Den Weg zum Aufzug und die Fahrt ins Erdgeschoss brachten sie schwei­gend hinter sich, auch als sie nebeneinander bis zum Haupteingang gingen, sagte keiner ein Wort. Erst als sie durch die Glastür in die strenge Kälte getreten waren, be­gann Sarah ein Gespräch.

      „Ich weiß nicht, wie es dir ergangen ist, aber das, was dieser Mann in der Kutte in dem Video veranstaltet hat, ist wi­derlich pervers.“

      Sie zog die fellbesetzte Kapuze enger.

      Thomas sah sie von der Seite an und meinte dann:

      „Ja, das war abscheulich. Aber du hast doch bei deinem letzten Fall in Husum auch Schreckliches gesehen? Und das sogar in Realität und nicht auf Video?“

      Sarah hatte sich schon gedacht, dass er, bevor sie vor einem halben Jahr nach Freiburg wechselte, genau studiert hatte, was sie zuvor im Norden gemacht hatte. Folglich waren ihm die Details ihres letzten Falls bestens bekannt.

      „Ja, allerdings habe ich da ja lediglich die Bilder der Leichen gesehen, und nicht live mitverfolgen können, wie der Täter seinen Opfern diese schrecklichen Dinge angetan hat.“

      „Nun, zu dem Mord ist es diesmal Gott sei Dank nicht ge­kommen“, sagte Thomas. „Aber du hast Recht, ich habe mir die ganze Zeit über verschiedene Fragen gestellt: Was geht in diesem Kopf vor? Was hat das Mädchen mitbekom­men? Was nimmt er noch für Handlungen vor, vor allem auch se­xu­eller Natur? Schließlich kann bei solchen Opfer­un­gen die Sexualität eine entscheidende Rolle einnehmen. Im­mer­hin wissen wir, dass das Mädchen nicht oder zumindest nicht im Sinne der ursprünglichen Definition missbraucht wurde. Trotz­­dem hat mich die Art, wie er den Dolch geführt hat, an pervers-sexuelle Handlungen erinnert.“

      Sarah hob den Blick und sah in Thomas‘ sorgenvolles, nach­denkliches Gesicht.

      „Du hast dir auch ausgemalt, was passiert wäre, wenn es sich nicht um eine Art Übung gehandelt hätte, sondern die tat­­sächliche Opferungszeremonie?“

      „Allerdings“, antwortete er. „Stell dir vor, er hätte all die Bewegungen mit der scharfen Seite des Messers vollführt. Nicht nur, dass er Arme, Beine, Hände und Füße geritzt hät­te. Möglicherweise hätte er auch gezielt Verstümme­lun­gen vorgenommen.­ Nach diesem Video mag ich mir nicht im An­satz vorstellen, vor welch schrecklichen Taten das arme Mäd­­chen sich selbst gerettet hat. Ich habe nämlich eine Be­fürchtung.“

      „Und die wäre?“, fragte Sarah, da Thomas nicht von sich aus fortfuhr.

      „Das Mädchen war nicht festgeschnallt, sondern betäubt. Wir wissen, dass er die Opferung sozusagen im Leerlauf durch­gespielt hat. Ich befürchte, dass er bei dem finalen Akt auf eine Betäubung verzichtet und sie stattdessen mit den Lederriemen fixiert hätte. Immerhin, so die Fachliteratur, zieht ein sadistisch veranlagter Täter einen sehr großen Teil seines Thrills und seiner Befriedigung aus der Reaktion des Opfers. Die Todesangst in den Augen, das Schreien…“

      Sarah schüttelte sich, ihr war ein Schauer übergelaufen.

      „Und Gott sei Dank ist ihr die Flucht so rechtzeitig gelun­gen, dass er sie noch nicht hatte verletzen können.“

      Thomas nickte.

      „Und wir können einigermaßen sicher sein, dass wir das Schlimmste schon gesehen haben. Egal, was auf den zwei an­deren Videos zu sehen ist, er wird ihr nichts angetan haben. Also rein physisch, meine ich. Wobei ich mich wirklich frage, wieso ihr Angriff auf ihn und die an­schließ­ende Flucht nicht zu sehen war. Es war das letzte Video auf der Kamera.“

      „Vielleicht hat er nochmal geübt und dabei vergessen, die Kamera einzuschalten?“, mutmaßte Sarah.

      „Das scheint mir im Moment die einzig logische Erklärung zu sein“, pflichtete Thomas ihr bei. „Komm, lass uns an der Tankstelle einen Snack holen und dann die Videos weiter durchsehen. Ich