Scarlett Taylor. Stefanie Purle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Purle
Издательство: Bookwire
Серия: Scarlett Taylor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742778482
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ist verschwunden? Seit wann?“

      „Circa eine Woche“

      Wieder Stille am anderen Ende. Ich höre Rascheln, dann ein Klimpern, wie von einem Schlüsselbund. „Ich bin in zehn Minuten bei Elviras Büro, wir treffen uns dort“, sagt er und legt auf.

      Ein paar Sekunden lang lausche ich auf das Rauschen, dann blicke ich auf das Display. Er hat einfach aufgelegt. Nachdem ich mindestens zwei Minuten wie verdattert vor mich hingestarrt habe, hole ich die Kulturtasche wieder aus der Schublade, nehme das Buch und stopfe beides in einen schwarzen Rucksack. Das Buch ist zu schwer und zu groß, um in eine meiner Handtaschen zu passen. Wenigstens hat der Rucksack goldene Schnallen und Reißverschlüsse, ansonsten würde ich damit aussehen, als wäre ich unterwegs zum Zeltlager. Ich kippe den Vanilla-Latte hastig herunter, werfe mir meinen Mantel über und fahre zu Elviras Büro.

      Ich parke hinter dem Reisebüro und stelle meinen wunderschönen schwarzen Panther auf seinen angestammten Platz. Als ich aussteige, öffnet sich auch die Autotür eines schwarzen Transporters in der Ecke des Parkplatzes. Ich schnalle mir meinen Rucksack um und schließe mein Auto ab, während ich beobachte, wie ein großer Mann in grauem Wollmantel mit hochgestelltem Kragen aus dem Transporter steigt. Mit großen Schritten kommt er auf mich zu. Sein Haar ist wie Salz und Pfeffer, schwarz mit vereinzelten weißen Strähnen an den Schläfen und im Nacken. Er trägt es halb lang und hat es lässig nach hinten gebürstet. Sein Teint weist eine leichte Bräune auf, aber nicht diese falsche Solariumbräune, sondern eine, die man bekommt, wenn man viel draußen arbeitet. Schwarze Bartstoppeln zieren seinen markant eckigen Kiefer. Er ist wahrscheinlich Mitte dreißig, wirkt gebildet und kultiviert. Einen Dämonologen hätte ich mir allerdings anders vorgestellt.

      „Scarlett Taylor?“, fragt er, die Hände in die Taschen seines Mantels gesteckt und sieht mich von der Seite an.

      „Ja. Und du bist Chris?“

      Er nickt und reicht mir die Hand. Ich strecke ihm meine entgegen und seine riesige Hand umschließt meine fast komplett. Sein Händedruck ist warm und fest, aber nicht zu fest. Ich bemerke weiche schwarze Härchen auf seinem Handrücken.

      „Lass uns reingehen“, schlägt er vor und deutet mit dem Kopf auf das Gebäude.

      Ich hole meinen Schlüssel hervor und er lässt mich vorangehen. Als ich die Glastür mit der Aufschrift „Reisebüro“ aufschließe, besehe ich mir rasch unser Spiegelbild darin. Chris ist so groß, dass ich gegen ihn klein und zierlich wirke, was ich nun wirklich nicht bin. Er überragt mich um mindestens dreißig Zentimeter und seine Schultern wirken wie breite Flügel hinter mir. Ich schließe auf und mache das Licht im Inneren an. Chris läuft vor in Richtung Kaffeeküche, und noch bevor ich hinter uns abschließen und ihm nachkommen kann, höre ich, wie er die Trennwand des geheimen Büros zur Seite schiebt. So geheim ist dieses Büro also scheinbar gar nicht! Ich frage mich, wer noch von seiner Existenz weiß und warum Elvira mich niemals eingeweiht hat.

      Als ich ihm ins Büro folge, sitzt er schon auf dem Ledersessel und blättert durch einen Kalender. Ich setze mich ihm gegenüber hin und sehe ihm ein wenig unbeholfen zu. Seite für Seite überfliegt er Elviras Notizen, seine Stirn liegt dabei in Falten und seine moosgrünen Augen bekommen einen sorgenvollen Ausdruck. Es herrscht unangenehmes Schweigen zwischen uns und ich weiß nicht, wie ich es brechen soll, da ich ihn nicht in seinem Tun unterbrechen möchte. Wenn er Elvira kennt und von diesem Büro und ihrer Arbeit als Parapsychologin weiß, dann kann er vielleicht mehr über ihr Verschwinden herausfinden als ich. Ich beobachte, wie er sich einen Zettel und Stift nimmt und eine Adresse aus dem Kalender abschreibt.

      „Vor einer Woche hast du sie zuletzt gesehen?“, bricht er endlich das erdrückende Schweigen und sieht mich kurz an.

      „Ja. Also, nein“, stammle ich und er zieht eine Augenbraue hoch. „Gesehen habe ich sie zuletzt vor zehn Tagen. Aber sie hat mir eine Mail geschickt, in der stand, dass ihr vor sieben Tagen etwas zugestoßen ist“ erzähle ich. „Keine Ahnung, wie sie diese Mail dann verschicken konnte, aber so stand es dort.“

      Chris hebt den Kopf und blickt mich nachdenklich an. „Sie wird ein Programm genutzt haben, mit dem sie täglich oder wöchentlich die Mail zurücksetzen konnte. Erst als sie es nicht mehr tat, wurde sie sieben Tage später abgeschickt. So etwas kann man heutzutage ganz leicht einrichten“, erklärt er und mustert mich eindringlich. „Viele in unserer Branche benutzen solche Programme, nur zur Sicherheit.“

      Das macht Sinn, denke ich und verlagere unbehaglich unter Chris´ Blicken mein Gewicht auf dem Sessel. Er sieht mich an, als wolle er sich mein Gesicht genauestens einprägen, um später ein Phantombild von mir zeichnen zu können. Meine Wangen werden heiß und ich senke den Blick.

      Chris wendet sich wieder dem Kalender zu, faltet den Zettel mit der Adresse und steckt ihn unter seinem Mantel in die Brusttasche seines karierten Hemdes. „Wann hast du die Mail von ihr bekommen?“

      „Gestern“

      Chris dreht den Kalender zu mir. Mit dem Finger deutet er auf eine Notiz von Elvira. „Vor acht Tagen hatte sie diesen Auftrag. Dieser waagerechte Strich hier oben bedeutet, dass sie dort hingefahren ist. Wäre es ein Plus, würde das bedeuteten, dass sie wieder zurückgekehrt ist. Ist sie aber nicht“, stellt er fest und zeigt mir die vielen Plus-Symbole neben anderen Notizen. Nur bei dem letzten Termin ist ein Minus zu sehen. Sie kam also nicht zurück um den kleinen Strich auszuführen, der das Minus in ein Plus verwandelt hätte.

      Ich nicke. „Das wusste ich nicht“, gebe ich zu.

      Chris zuckt mit den Schultern. „Ich denke mal, du weißt so einiges nicht“, sagt er beiläufig und steckt den Stift zurück zu den anderen in die umfunktionierte Kaffeetasse. „Was hast du bislang unternommen um Elvira wiederzufinden?“ fragt er, lehnt sich im Sessel zurück und faltet die großen Hände vor seinem Bauch.

      Ich sehe ihn an. Irgendetwas möchte ich sagen, kann es aber nicht. Mein Mund will sich öffnen, aber es klappt nicht. Ich bringe nur ein dumpfes „Hmpf“ heraus.

      Er beobachtet mich und wiederholt seine Frage. „Was hast du unternommen, um Elvira zu finden?“, fragt er betont langsam und richtet sich im Sessel auf. Seine raue Stimme nimmt einen drohenden Unterton an.

      Von mir kommt wieder nur ein geistloses, gemurmeltes Grunzen. So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann keinen klaren Gedanken fassen.

      Chris steht auf und geht mit zwei großen Schritten um den Schreibtisch herum auf mich zu. Er geht vor mir in die Hocke und nimmt mein Gesicht in beide Hände.

      „Was hast du unternommen um Elvira zu finden?“, fragt er nun ein drittes Mal, wobei er mir tief in die Augen sieht. Seine Hände umfassen meine jetzt glühenden Wangen.

      Wieder möchte ich etwas sagen, kann es aber nicht. Ich weiß tief in meinem Inneren, dass irgendwas nicht stimmt, dass dort irgendetwas ist, das ich vergessen habe und nicht aussprechen kann.

      Chris erhebt sich, legt meinen Kopf in den Nacken, zieht mein Augenlid hoch und besieht es sich im Licht der Deckenlampe genauer. Dann stößt er einen leisen, gemurmelten Fluch aus und lässt mich los. Er wirkt verärgert und besorgt zugleich, fährt sich rasch durch die Haare und presst die Lippen aufeinander. Dann greift er nach meinem Hals, fährt mit seinen Fingern fahrig daran herum, zieht mein Shirt nach vorn und blickt in meinen Ausschnitt. Ich will erschrocken protestieren, sitze aber wie von einem unsichtbaren Seil gefesselt und geknebelt da. Dann greift er nach meinen Handgelenken, zieht die Ärmel meiner Bluse hoch und sucht nach etwas. Als er mein Armband sieht, ein einfaches Silberarmband mit einem Herzanhänger, betrachtet er es genauer. Es scheint aber nicht das zu sein, wonach er gesucht hat, denn er lässt mein Handgelenk seufzend fallen. Langsam beugt er sich wieder zu mir herunter, sieht mir tief in die Augen, während er meine Schultern umfasst.

      „Du bist verhext worden, Scarlett“, sagt er leise und langsam. „Elvira hat dir mit Sicherheit ein Amulett hinterlassen. du hättest es tragen sollen.“

      Ich blicke ihn verdutzt an, immer noch unfähig zu sprechen.

      Er zieht an einem Lederband an seinem Hals und holt ein Amulett hervor, welches er