Kapitel 7
Nachdem ich mich von meiner Mutter verabschiedet habe, fahre ich nach Hause. Die Nummer von diesem Chris steht tatsächlich in dem Handy, welches Elvira mir hinterlegt hat. Darunter der Vermerk „Dämonologe“.
Ich habe keine Ahnung was ich sagen soll, wenn ich ihn anrufe. Wird er mich für verrückt halten, oder hat er schon Schlimmeres gehört?
Ich steige aus meinem schwarzen Panther und höre hinter mir ein anerkennendes Pfeifen. Als ich mich umdrehe, steht dort mein arroganter, namenloser Nachbar. Ich stöhne genervt und krame meine Sachen zusammen.
„Neues Auto, Schneider? Hast du im Lotto gewonnen, oder was?“, fragt er, die Arme vor der Brust verschränkt, als er langsam auf mich zuläuft. „Nicht schlecht, Sommersprosse!“
Ich kann gar nicht so viel seufzen und mit den Augen rollen, wie ich gerne würde. „Danke“, murmle ich und laufe mit meinen Sachen im Arm an ihm vorbei.
„Ganz in Schwarz heute? Gibt es was zu betrauern? Soll ich dir Trost spenden?“, säuselt er und setzt einen lächerlichen Hundeblick auf, mit gesenkten Lidern und gespitzten Lippen, während er neben mir hertrottet.
Ich lehne dankend ab und krame den Haustürschlüssel aus meiner Manteltasche. Mein Nachbar lehnt sich an die Hauswand, dicht neben mir, kratzt sich den Hinterkopf und lugt auf die Sachen in meinem Arm. Ich presse sie noch dichter an mich, um sie vor seinen neugierigen Blicken zu schützen.
„Was hast du da?“, will er wissen, beugt sich vor und deutet mit dem Finger auf mein Buch. Seine Augen weiten sich und er saugt die Luft ein. „Hat das Moppelchen etwa endlich wieder einen Job?“ rät er und grinst mich an.
„So in etwa“, antworte ich knapp und husche durch die Tür. „Und nenn mich nicht Moppelchen!“
Er bleibt mir dicht auf den Versen, hüpft leichtfüßig die Treppen neben mir hoch und lächelt mich dabei an. „Erzähl doch mal, Schneider. Es scheint ein guter Job zu sein, wenn ich mir so deinen neuen Wagen anschaue“, bohrt er auf seine lästige Art weiter, während er um mich herumtänzelt.
Vor meiner Wohnungstür bleibe ich stehen, wende mich ihm zu und zwinge mich, ihm fest in die stahlblauen Augen zu sehen. „Das geht dich nichts an!“, sage ich bestimmt und straffe die Schultern.
Er weicht keinen Zentimeter zurück und begegnet meinem Blick. Offenbar denkt er nach, wobei er immer noch dieses schiefe Grinsen auf den Lippen trägt.
„Ich hab’s!“, sagt er schließlich. „Du bist Edelnutte für Kunden mit speziellen Wünschen!“, sagt er und zeichnet mit den Händen die Figur einer übergroßen Sanduhr in die Luft.
Verärgert forme ich die Augen zu Schlitzen und mahle mit meinem Kiefer. „Nein“, zische ich und funkle ihn an. „Ich habe einen Job als Auftragskillerin bekommen, und mein Boss sagte, es wäre nicht schlimm, wenn ich mal danebenziele. Er würde sich dann um die Beseitigung der Leiche kümmern.“
Mein dämlicher Nachbar lacht, legt mir die Hand auf die Schulter und sagt, dass es doch nur ein Scherz gewesen sei und ich nicht böse sein soll.
Ich sehe ihn nicht mehr an und verschwinde in meiner Wohnung, wo ich die Tür hinter mir zuknalle. Dieser Dreckskerl, denke ich. Er schafft es immer wieder mich auf die Palme zu bringen, und dabei kenne ich noch nicht einmal seinen Namen! Er hat sich mir nie vorgestellt, und auf seinem Briefkasten klebt nur ein unbeschriftetes Namensfeld. Nach einer Weile mochte ich ihn nicht mehr fragen, weil er das bestimmt als Flirtversuch aufgefasst hätte. Somit ist dort das süffisante Lachen meines namenlosen Nachbarn, welches sich im Hausflur langsam entfernt, leiser wird und mit dem Schließen seiner Wohnungstür endlich verstummt.
Ich lasse meine Sachen auf den Boden plumpsen, werfe meinen Mantel daneben und gehe in die Küche. Noch immer leicht aufgebracht, werfe ich meine Kaffeemaschine an und bereite mir einen Vanilla-Latte zu. Wahrscheinlich würden mich die dummen Sprüche meines Nachbarn nicht so aufregen, wenn er nicht so oft ins Schwarze treffen würde. Er nennt mich Sommersprosse oder Moppelchen, er weiß, dass ich Single und arbeitslos bin, er spielt vor meinen Augen mit seinen Muskeln, blinzelt mich mit seinen stahlblauen Augen an und weiß genau, wie er sich in Szene setzen muss. Es ärgert mich, dass mein Gesichtsausdruck mich offensichtlich verrät, denn er sieht wirklich verdammt gut aus, wie ein Model aus einem Hochglanzmagazin. Und natürlich bin ich in gewisser Weise neidisch auf seinen Lebensstil. Ich weiß zwar nicht, was er genau macht, aber er scheint gut zu verdienen und bei Frauen hat er natürlich die freie Auswahl. Und das nutzt er aus, denn er nimmt sich, wen er kriegen kann, manchmal auch mehrere an einem Abend. Er ist das, was ich nicht bin: Erfolgreich, gutaussehend und immer in bester Gesellschaft.
Ich schlage mit der Faust auf die Arbeitsplatte und strafe mich für meine Gedanken und dafür, dass so ein arroganter Dreckskerl es überhaupt schafft, in meinen Kopf zu gelangen.
Als mein Vanilla-Latte fertig ist, nehme ich ihn und setze mich ins Wohnzimmer an den Schreibtisch. Mein Ex hatte diesen Schreibtisch gekauft, weil er auch nach der Arbeit meistens noch etwas am Computer zu tun hatte. Mir hatten ein Laptop und ein Sofa gereicht, aber nun, da ich diesen Schreibtisch nach der Trennung behalten habe, kann ich ihn auch nutzen. Vielleicht werde ich mir vorübergehend auch so ein kleines, geheimes Büro einrichten, wie Elvira es in ihrem Reisebüro hat.
Als ich an Elvira denke, wird mir seltsam flau im Magen. Habe ich etwas vergessen? Hätte ich noch etwas tun sollen? Ohne erkennbaren Grund, verspüre ich ein schlechtes Gewissen meiner Tante gegenüber. So habe ich mich noch nie gefühlt und ich weiß nicht, woran es liegt. Doch so schnell dieses flaue Unbehagen gekommen ist, so schnell ist es auch wieder verflogen.
Ich hole meine Sachen aus dem Flur und setze mich wieder. Das große Buch mit dem eingebrannten Stern auf dem Deckel lege ich neben meinen Laptop. Ein paar der Dinge aus der schwarzen Kulturtasche lege ich in die kleinen Fächer, die eigentlich für Notizzettel und ähnliches gedacht sind. Eine Handvoll Edelsteine packe ich in eine Kristallschale, in der zuvor Pralinen waren. Sie glitzern und schillern im Sonnenlicht. Die bronzene Figur eines Kobolds stelle ich neben meinem Laptop. Er hockt auf einer kleinen Kugel, hat die Hände gefaltet und die spitzen, fledermausartigen Flügel auf seinem Rücken angelegt. Seine Nase ist dick und rund, die Augen hält er geschlossen. Ich frage mich, warum Elvira wollte, dass ich diese hässliche Figur eines Trolls, Zwerges, Kobolds, oder was auch immer, besitze.
Die Flaschen und Gläser mit Tinkturen, Weihwasser und Pülverchen lasse ich in der Tasche und stelle diese in eine der leeren Schubladen. Dann nehme ich das Handy in beide Hände. Als ich an das Schattenwesen, welches laut Elviras Buch ein Dämon ist, denke, läuft mir erneut ein Schauer über den Rücken. Am liebsten würde ich dieses Haus niemals wieder betreten und Zoe den Schlüssel zurückgeben. Aber das geht nicht. Elvira verlässt sich auf mich. Alleine schaffe ich das jedoch nicht. Also nehme ich all meinen Mut zusammen und tippe auf das Hörersymbol neben Chris´ Namen.
Es klingelt. Dreimal, viermal, fünfmal. Gerade als ich auflegen will, nimmt jemand ab.
„Hallo?“, sagt eine dunkle, raue Stimme.
Ich schlucke. Was soll ich jetzt sagen? Warum habe ich mir nicht vorab überlegt, wie ich mein Anliegen formulieren soll?
„Hallo? Wer ist da?“, hakt die Stimme am anderen Ende nach.
„Ähm... Hier ist Scarlett Taylor. Ich bin die Nichte von Elvira Taylor, von ihr habe ich auch Ihre Nummer.“
Kurz ist Stille, ich höre ihn atmen. „Ja?“
„Ja... ähm... Also, ich glaube, ich brauche Ihre Hilfe“, stammle ich.
„Wobei?“
Ich schlage das Buch auf und blättere zu der Seite mit der eingeklebten Zeichnung des Schattenwesens. „Nun ja, es geht um so eine Art Schattenmann.“
„Kann ich bitte mit Elvira sprechen? Ist sie da?“, fragt er und ich höre einen genervten Unterton in seiner Stimme.
„Nein, sie ist