Was Menschlich Ist. Sebastian Kalkuhl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Kalkuhl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754921586
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er sich eine gemurmelte Entschuldigung, schließlich sollte er längst nicht mehr hier sein, aber…

      Die gesamte Szene zog seinen Blick wie magnetisch an. Bis jetzt hatte Dorian seinem Meister noch nie einen Menschen bringen müssen und hätte es auch heute nicht, wenn er nicht so verflucht unvorsichtig gewesen wäre. Anstelle zur Tür zu gehen hätte er einfach nur in die Hölle verschwinden müssen. Stattdessen hatte die Neugier gewonnen und flüsterte ihm nun erneut ins Ohr, wie sehr er insgeheim herausfinden wollte, was als nächstes geschah.

      Von einem flimmernden Licht umhüllt hielt Luzifer den leblosen Körper des Menschen im Arm, murmelte unverständliche Worte vor sich hin. Dorian wollte sich damit zufriedengeben und endlich verschwinden, als sein Meister erneut die Augen öffnete. Ein goldenes, heißkaltes Glühen ging von ihnen aus, wie alles an ihm. Dämonen nannten ihn den Lichtbringer.

      Die Neugier setzte sich durch. Dorian verharrte in seiner Position und schaute zu, wie Luzifer dem Menschen buchstäblich in den hintersten Winkel seiner Seele schaute, bis sich Schweißtropfen auf der Stirn des Engels bildeten. Nie hatte er auch nur ansatzweise so angestrengt ausgesehen.

      ›Was tut Ihr?‹, fragten Dorians Gedanken. Er wollte sich schlagen dafür. Hätte er das wissen müssen, wäre es ihm gesagt worden. Was war los mit ihm, warum stand er immer noch hier?

      Ein Flügelschlag, das Licht zuckte flackernd durch den Raum. Dorian fuhr zusammen und stolperte rückwärts, als ihn eine Schockwelle erfasste und erneut an die Wand drückte. Seine Flügelspitzen schürften über den steinernen Boden, die empfindliche Haut riss auf und so sehr Dorian sich auch beherrschen wollte, er musste einen erstickten Schrei von sich geben.

      Zwischen Tränen in den Augen schaute er wieder in den Raum hinein, obwohl er das schon längst nicht mehr wollte, und dieses Mal blieb ihm beinahe das Herz stehen.

      Der Mensch in den Armen seines Meisters trug Flügel. Ungelenk und zitternd spreizte er sie in einem schmerzhaft anmutenden Winkel vom Körper ab, als könnte er kaum mit ihnen umgehen. Schwarze Federn umgaben ihn, die Dorian nur zu gut kannte, denn es könnten seine sein.

      Mit einem erstickten Atemzug schlug der Mensch die Augen auf, blutrot statt braun. Die Haut sah blasser und glatter aus als gerade noch, wie sorgfältig aus Stein gemeißelt.

      »Nein.« Dorian bemerkte nicht, wie er das Wort laut sagte und zuckte zusammen, als seine Stimme aus dem Nichts zu ihm sprach. Luzifers Präsenz wog immer schwerer auf ihm. Warum war er noch hier?

      Mit dem Rücken zu Wand richtete sich Dorian auf, ging einen zaghaften Schritt Richtung Tür, sie öffnete sich von allein. ›Sieh nicht hin‹, versuchte er sich zu sagen, während sein Blick wieder und wieder an der Person, die doch ein Mensch sein sollte, hängenblieb. Flügel wie er. Augen wie Luzifer.

      ›Verschwinde endlich von hier!‹

      Dorian spürte eine aufkeimende Wut um sich herum, die nicht seine war. Er erwischte sich bei der Hoffnung, dass Luzifer ihn im Affekt umbrachte, dann müsste er nicht mehr nachdenken. Aber ein schneller Tod wäre gnädig, und so eine Strafe wartete mit Sicherheit nicht auf ihn.

      Mit aller Kraft riss er sich von dem Anblick los, drehte sich um und rannte. Er vergaß den Abhang draußen, rutschte an der Felskante ab und fiel mehrere Meter tief, bevor er sich in der Luft fing und einigermaßen sanft am Fuß des Gebirges landete. Kaum, dass er auf festem Boden stand, gaben seine Knie nach und er sackte in sich zusammen, schürfte sich Hände, Ellbogen und Knie auf. Der Schmerz holte ihn zurück in die Gegenwart, raus aus diesem Raum, in dem Luzifers Licht noch immer bis nach draußen schien.

      ›Wie kann ein Mensch Flügel haben?‹

      Der Gedanke setzte sich fest, ehe Dorian es verhindern konnte. In seiner Verzweiflung holte er aus und schlug sich selbst mit der flachen Hand ins Gesicht, doch das förderte nur noch mehr Fragen zutage. Je mehr er sie zu verdrängen und vergessen versuchte, desto höher türmten sie sich auf und begruben ihn unter sich, bis er zusammengekrümmt auf dem kochend heißen Boden lag. ›Wie kann ein Mensch aussehen wie ich? Was hat Luzifer mit ihm gemacht, dass… Was macht er jetzt noch mit ihm?‹

      Dorian schlug sich noch einmal, als ein furchtbarer Verdacht in seinen Verstand kroch, doch es half nicht. Ihm wurde nur schwindelig und kurz darauf übel. ›Und wer bin ich dann?‹

      Allein der Gedanke fühlte sich wie Verrat an seinem Meister an. Dorian zwang sich, ruhig zu atmen.

      ›Luzifer lügt mich nicht an‹, dachte er, wischte sich die Tränen weg und suchte Trost in dieser Tatsache. ›Er sagt mir, was ich wissen muss. Er vertraut mir. Er liebt mich. Wenn das anders wäre, hätte er mich nicht nach meinem Fall gerettet.‹

      Das waren die unerschütterlichen Wahrheiten dieser Welt. Seine Augen konnten lügen, und er sich das alles in seiner Panik eingebildet haben. Luzifer wusste, was er tat. Das alles hatte seine Gründe und einen Sinn, den Dorian nur nicht verstand.

      Dorian schloss die Augen und sah schwarze Federn vor sich, seine Federn. Er war hier der Gefallene und der Mensch ein Mensch. Er würde hierbleiben und warten, bis Luzifer nach ihm verlangte. Was aus dem Menschen wurde, musste ihn nicht kümmern.

      4

      Chris

      25. Oktober

      Hölle

      Als Chris zu sich kam, fühlte sich die Luft zwar immer noch unangenehm an, aber wenigstens tat die Hitze nicht mehr weh. Entweder hatte er sich daran gewöhnt oder es war abgekühlt.

      ›Oder ich bin tot‹, dachte er und wartete ab, bis ihm sein Gehirn mehr Informationen lieferte. ›Als Letztes hab ich ein Licht gesehen, das kommt also hin. Was den Rest angeht…‹

      Er spürte sich bäuchlings auf heißem Stein liegen. Chris blinzelte und sah zuerst nur Schemen um sich herum, bis das Bild langsam aufklarte. Seine Augen mussten sich vollkommen an die Dunkelheit gewöhnt haben, denn nun erkannte er mehr als graue Schemen um sich herum.

      Der Raum ähnelte mehr einer Höhle, denn einem Zimmer. Wände, Boden und Decke bestanden alle aus dem gleichen Fels, dunkelrot, an manchen Stellen gräulich oder von Adern aus Obsidian durchzogen, die Chris wie aus einem Fiebertraum bekannt vorkamen. Rechts und links befanden sich zwei Türen, vor ihm winzige Fenster aus dunklem, matten Glas. Draußen flackerten Funken oder weit entfernte Feuer.

      Seine Gedanken tanzten wirr, als säße ihm eine fremde Präsenz im Kopf, die ihm einredete, dass alles in Ordnung sei und er sich keine Sorgen machen müsste. Aus Mangel an Alternativen versuchte Chris zuerst, sich darauf einzulassen, schaffte es aber beim besten Willen nicht.

      Sein Rücken fühlte sich merkwürdig an, wund und schwer. Ein zusätzliches Gewicht lastete auf ihm, und fühlte sich an wie ein zu schwerer Rucksack, als er sich aufsetzte. Nur mit Mühe blieb er gerade sitzen und fiel nicht direkt nach hinten.

      ›Warte.‹ Ihm lief ein Schauer über den ganzen Körper. ›Was ist, wenn das-‹

      Chris versuchte, das Gewicht zu verlagern. Es ließ sich bewegen und steuern, fühlte sich an wie zwei Gliedmaßen, mit denen er gerade ungelenk und in Zeitlupe durch die Gegend fuchtelte. Je mehr er es versuchte, desto sicherer wurde er und desto weniger fühlte sich die Welt real an. Alle Eindrücke drangen nur noch wie durch zentimeterdicke Watte zu ihm, seine Gedanken blieben stehen, sein Körper fühlte sich fremd an.

      In einem Anflug Panik fühlte Chris auf seinem Rücken nach. Fast sofort stießen seine Finger auf zwei riesige Fortsätze, die aus seinen Schultern ragten, mit weicher Haut bespannt, von hunderten Federn besetzt. Kaum, dass er sie berührte, zuckte ein Schmerz durch seinen gesamten Körper und hinterließ erst ein taubes Gefühl, dann fühlte sich alles hundertfach intensiver an. Chris schrie auf, sank zu Boden, und begann trotz der Hitze zu zittern.

      ›Scheiße, das sind Flügel. Ich habe Flügel.‹ Wie um die Erkenntnis zu bestätigen, pochte der Schmerz durch seine Schultern. Selbst die Luft tat weh. ›Das kann alles nicht wahr sein.‹

      Plötzlich