Ein Schloss für Mara. Rita Lamm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Lamm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741822643
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beim Museum für Neue Kunst und über den Sommer mache ich für Touristen Stadtführungen.“

      „Das ist sicher auch eine interessante Abwechslung.“

      „Geht so“, antwortete Mara. Auf gerade diese Abwechslung hätte sie liebend gerne verzichtet.

      „Lassen Sie mich raten. Sie sind Bühnenbildner?“

      „Nein. Ich bin Schauspieler.“

      Ein Jogger mit hochrotem Gesicht rannte an ihnen vorbei. Mara betrachtete den Schweißfleck auf seinem T-Shirt.

      „Sie sind wirklich Schauspieler?“

      „Ja natürlich.“

      „Ach, übrigens, ich heiße Oscar und Sie?“

      „Mara“ erwiderte sie und dachte, so, das haben wir jetzt auch geklärt.

      „Gehen Sie ab und zu ins Theater? Kommen Sie doch mal vorbei, wenn Sie das interessiert.“

      Mara schaute nervös auf ihre Armbanduhr.

      „Oh, es ist schon spät. Ich muss los!“

      „Sehen wir uns wieder?“ fragte Oscar.

      „Ja! Tschüss“ rief Mara schon aus einiger Entfernung. Sie wusste selbst nicht, wovor sie wegrannte.

      Mara öffnete das Fenster ihres Büros, packte ihr Vesperbrot aus und setzte sich auf die Fensterbank. Sie nahm einen Bissen und trank einen Schluck Tee. Zurzeit trank sie ` Innere Ruhe`-Tee. Vielleicht half er ihr. Er schmeckte schrecklich gesund. Von dem Zustand der inneren Ruhe war sie, seit sie mit Guiseppe` s Kunstwerken so Furore machte, wahrlich weit entfernt. Ein Pressetermin jagte den nächsten und dazwischen meldete sich immer wieder Herr Martin mit neuen Ideen. Und diese hatten meistens nicht den Charakter von einsamen Meetings in ihrem Büro, sondern er dachte an mehr Führungen, mehr Vorträge und Zusatzveranstaltungen. Sie streckte sich und rieb sich die Augen. Wie sollte sie das alles bewerkstelligen und dabei nicht völlig verrückt werden? Am liebsten wäre sie nach Hause gegangen und hätte sich in ihrem Bett vergraben oder wäre in ein anderes Leben gewechselt.Wenn das nur ginge, sich wie in einem Fantasyfilm in eine andere Zeit beamen.

      Sie packte die Hälfte ihres Brotes wieder ein. Mit dem restlichen Tee in ihrer Tasse goss sie die Grünlilie, die auf der Fensterbank stand.

      „Du siehst so anders aus.“ Tante Paula stand im Blumenbeet, stützte sich auf dem Spaten ab und betrachtete ihre Nichte. Sie war in ihrer Gartentracht: grüne Latzhose, die vor lauter Erde fast braun war, ein verwaschenes Hemd mit weiten Ärmeln und Strohhut und lieferte so die ideale Vorlage für die Titelseite einer Fachzeitschrift für Gartenbau.

      „Das Gleiche könnte ich auch zu Dir sagen“ antwortete Mara.

      „Nein, ich meine, in letzter Zeit sahst Du oft so abgekämpft aus. Aber heute wirkst Du verändert. Was ist los?“

      Mara, die auf dem gepflasterten Fußweg auf und ab ging, blieb auf Höhe von Tante Paula stehen und schwieg. Eine Amsel saß auf dem Stein bei der Trauerweide und sang ihr helles Lied.

      Tante Paula ließ nicht locker: „Komm, sag es mir“.

      „Ich hab jemanden kennen gelernt.“

      „Und weiter?“ Tante Paula schien vor Neugierde fast mit ihrem Spaten umzukippen.

      „Nichts weiter“ Mara trat mit dem Fuß gegen die Steine der Beetumfassung.

      „Dir muss man aber auch die Würmer einzeln aus der Nase ziehen.“ Tante Paula stach den Spaten in die dunkle Erde, nahm ihre Nichte an der Hand und führte sie nach hinten zur Bank bei der Trauerweide.

      Mara folgte willig.

      „Er arbeitet beim Theater.“ Mara zog ihren Tabak aus der Tasche und fing an, sich eine Zigarette zu drehen.

      „Und was ist da das Problem?“ Tante Paula nahm ihren Hut ab und legte ihn neben sich auf die Bank.

      „Ich darf mich nicht verlieben, ich kann keine Beziehung führen. Wie soll ich das denn machen? Es gibt so viele Sachen, die ich nicht kann.“ Mara zündete sich die Zigarette an und blies den Rauch hörbar in die Luft.

      Tante Paula hustete und wedelte mit der Hand.

      „Jeder, der mitbekommt, dass ich an Panikattacken leide, nimmt doch Reißaus. Wer will denn schon mit einer Psychopatin zusammen sein?“

      „Jetzt sei doch nicht so.“

      „Doch, ist doch wahr“ beharrte Mara.

      „Das mit dem Theater, wie soll das denn gehen? Kannst Du mir das mal sagen?“

      „Wart' s doch mal ab. Du bist nicht nur Krankheit und Panikattacken, es gibt so vieles anderes, was Dich ausmacht!“

      „Blah, blah, blah“

      „Du bist eine attraktive Frau. Du hast Charme und Bildung, bist erfolgreich im Beruf.“

      Mara drückte mit dem Schuh die Zigarette aus und hob die Kippe auf.

      „So ist es recht“ sagte sie, als Mara den Zigarettenstummel in ihre Jackentasche steckte.

      „Es gibt immer einen Weg. Wenn dieser Mann in Ordnung ist und Dich wirklich liebt so wie Du bist und er es ehrlich meint mit Dir, dann wird das schon alles richtig werden, glaub mir.“

      Tante Paula setzte ihren Strohhut auf und ging wieder zurück zu ihrem Spaten.

      „Du hast gut reden“ murmelte Mara. Sie blieb auf der Bank sitzen und betrachtete den mannshohen Stein neben sich. Tante Paula hatte ihn vor Jahren aus einem nahen Steinbruch herantransportieren lassen. Deutlich erkannte sie die eingemeißelten Zeichen, die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer.

      „Aus welcher Mythologie stammen eigentlich diese Zeichen?“

      „Von wem wohl?“

      „Navajos“ rief Mara und Tante Paula nickte. Mara stand auf und fuhr mit den Fingern die gemeißelten Linien nach. Seit Urzeiten waren die Menschen von der Erde abhängig, die sie trägt und ernährt. Vom Wasser, das ihnen Leben spendet. Sie brauchten die Luft zum Atmen und sie wussten um die Kraft des Feuers, das sie wärmte. Sicher kannten sie Mut und Angst. Im Leben mit der Natur bedeutete Angst Kampf und Flucht. War der Mensch nicht darauf ausgerichtet bei Gefahr, zu fliehen? Sie konnte nicht fliehen, wenn sie Angst hatte. Auch wenn sich ihr Körper auf Flucht einstellte, ihr Herz raste und sie schnell atmete.

      Das Telefon klingelte und klingelte. Es schien Mara, dass es diesmal viel länger dauerte als sonst, bis der Anrufbeantworter ansprang. Sie wollte nicht ans Telefon. Trotzdem stand sie im Flur vor dem Schränkchen und wartete. Noch zweimal, dachte sie, wenn es dann nicht aufhört, nehme ich ab. Es hörte nicht auf.

      „Hallo, hier ist Susanna. Kommst Du mit ins Kino?“

      „Ins Kino?“ wiederholte Mara.

      „Das ist schlecht.“ Sie schluckte. „Ehm, ich hab grad Besuch von Sandra aus Hamburg und wir wollten heute Abend gemütlich hier sein und ein Weinchen trinken.“

      „Schade. Ich hab gedacht, ich frag mal. Na, muss ich halt alleine los.“

      „Tut mir leid.“

      „Tschüss und noch einen schönen Abend.“

      „Danke, Dir auch.“ Mara legte den Hörer auf. Erst jetzt merkte sie, dass sie gar nicht gefragt hatte, in welchen Film Susanna wollte.

      Aber das war eigentlich egal. Ins Kino konnte sie sowieso nicht. Sie würde es nicht aushalten unter all den anderen Menschen in einem dunklen, stickigen Raum zu sitzen. Es war immer eng, es gab keinen Ausweg und die ausgeschilderten Fluchtwege schienen ihr immer unerreichbar. Mara ging in Gedanken alle Kinos der Stadt durch. Im `Friedrichsbau` gab es den extrem kleinen Raum, der kaum größer war als ein Wohnzimmer oder eine Garage. Furchtbar! In der `Harmonie` waren die Wege nach draußen weit, die