Ein Schloss für Mara. Rita Lamm. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rita Lamm
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741822643
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lag friedlich da und war menschenleer. Unter den blühenden Kastanienbäumen erläuterte Mara die Bedeutung der Klöster für die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung der Stadt in den letzten Jahrhunderten.

      „Sie können gerne hineingehen und sich alles anschauen." Mit einer einladenden Handbewegung öffnete sie die schwere Holztür und ließ die Gruppe passieren. Kaum hatte der Letzte das Gotteshaus betreten und die Tür hinter sich geschlossen, zündete sie sich eine Zigarette an und lehnte sich erschöpft an den Stamm des Baumes. Sie inhalierte tief und blies beim Ausatmen den Rauch in die hohe Krone. Am liebsten wäre sie einfach weggegangen, nach Hause. Sie rauchte schnell. Ihr wurde schwindelig.

      Einige der Gruppe und der Reiseleiter kamen aus der Kirche und stellten sich zu ihr.

      „Wie lange sind Sie auf Reisen?" fragte Mara den Reiseführer.

      „Zehn Tage."

      „Und was schauen Sie sich an?"

      „Alles" antwortete er und lächelte.

      „Heidelberg, Paris, Rom."

      Und dazwischen gibt es eine Chaostour durch Freiburg, ergänzte Mara in Gedanken. Als sich alle versammelt hatten, fragte der Reiseleiter: "Gehen wir zum Münster?"

      Nervös lächelte sie ihn an.

      „Sie müssen sich noch etwas gedulden", sagte sie und drehte sich von ihm weg. Krampfhaft überlegte sie, suchte nach Sehenswürdigkeiten oder Attraktionen, mit denen sie die Neugier der Reisenden befriedigen konnte. Fast wäre sie gestolpert. Stimmt, da waren ja noch die Bächlein. Aber über die wollte sie jetzt nicht reden. Sie wollte weiter, schnell weiter. In der Gerberau, einer breiteren, normalerweise nicht mit Menschen überfüllten Gasse, entdeckte sie einen Pantomimen. Er trug einen grünen Anzug und eine Mütze wie Till Eulenspiegel. Sein Gesicht war weiß geschminkt. In regloser Pose stand er mit offenen zum Himmel gerichteten Armen auf einer Kiste. Aus den Boxen eines CD-Players schallte ein Wiener Walzer. Mara ging zu ihm hin und warf ihm eine Münze in den Korb. Sogleich änderte er in geschmeidigen Bewegungen seine Haltung und beugte sich weit nach vorne. Die Wimpel seiner Mütze flogen durch die Luft. Die Japaner folgten Maras Beispiel. Der Till Eulenspiegel bewegte sich wie die Puppe auf einer Drehorgel und die Touristen amüsierten sich, tuschelten mit hohen Stimmen und freuten sich wie Kinder. Plötzlich sprang er von seiner Kiste und bat Mara um einen Tanz. Sie ließ sich nur einmal auffordern und tanzte schwungvoll mit ihm einen Walzer über das Kopfsteinpflaster. Passanten blieben stehen. Die Japaner applaudierten begeistert. Dieser erste warme Tag im Frühling hatte etwas Harmloses; der blaue Himmel, der freundliche Künstler, die sich freuenden Japaner. Mara strich sich eine Strähne hinters Ohr und schaute auf ihre Armbanduhr. Sie waren erst eine knappe halbe Stunde unterwegs. Es war zu früh, um die Tour zu beenden. Sie hob die Hand. Der Reiseführer trat an sie heran und schaute sie erwartungsvoll an. Sie spürte, wie sehr er sich wünschte, das berühmte Münster gezeigt zu bekommen.

      „Wir werden nun einen Abstecher in die Fischerau machen".

      Der Straßenkünstler zwinkerte ihr kumpelhaft zu. Mara winkte und eilte weiter. In der Fischerau stellte sie sich auf eine kleine Brücke, die über den Kanal führte und erzählte aus der Zeit der Zünfte. Der Reiseführer übersetzte. Abwartend lauschte Mara seiner Stimme mit den fremd klingenden Lauten. Dabei schaute sie nach unten. Auf dem Grund des Baches lag ein Fahrrad. Das Wasser umspülte das verdrehte Vorderrad und das Schutzblech. Es bildeten sich Wirbel. Endlich hörte der Reiseleiter auf zu sprechen. Es kamen keine Fragen. Gut, dann auf zum Grande Finale und dann tschüss, dachte Mara.

      „Hier ist das Martinstor.“ Mara deutete nach oben.

      „Es ist das zweite der vier Stadttore. Wenn Sie durch dieses Tor gehen, sind Sie in unserer Einkaufsmeile. Sie können noch etwas Bummeln und dann rechts zum Münster und auf den Markt gehen und von dort ist es nicht mehr weit zu Ihrem Reisebus.“ Ihre Stimme überschlug sich. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und eine gute Reise. Good bye." Sie lächelte gequält. Die Japaner klatschten und nickten ihr höflich zu. Der Reiseleiter schaute sie, wie es ihr schien, für einen Moment kritisch an. Mara reichte ihm die Hand so, als wolle sie das Ende der Tour besiegeln und ging davon. Er wird sich schon nicht beim Kulturamt beschweren und wenn, dann konnte sie es auch nicht ändern. Als sie zurückschaute, sah sie, wie alle aufgeregt und neugierig durch das Tor drängten. Allein schon bei der Vorstellung in die Massen von Menschen eintauchen zu müssen, spürte sie panische Angst in sich aufsteigen. Fluchtartig machte sie sich auf den Nachhauseweg.

      Mara fuhr mit ihrem Fahrrad stadtauswärts. Sie radelte über die schmale Holzbrücke, die über den Kanal führte und im Winter oft völlig vereist war. Immer noch, obwohl es schon fast Samstagmittag war, kamen ihr Leute entgegen, die auf dem Weg in die Stadt waren. Sie fuhr ein kurzes Stück die Kartäuserstraße hoch und bog dann in die Oberaustraße, die am Fluss entlang führte, ab. Es tat ihr gut, an der Dreisam, an ihrem Fluss, zu sein. Hier konnte sie frei durchatmen. Die Luft roch mild nach Frühling. Die Äste der Trauerweide hingen weit bis zum Wasser hinab. Enten ließen sich von der Strömung flussabwärts treiben. Sie fuhr über eine weitere Brücke und hatte jetzt den Fluss zu ihrer Linken. Spaziergänger schlenderten am Ufer entlang oder saßen auf einer Bank, um sich von den Strahlen der Sonne wärmen zu lassen. Mara kam dem Wasserfall näher und hörte sein Rauschen. Auf dem Mäuerchen gegenüber lag eine Frau und las. Oft hielten sich dort Liebespaare auf, die sich geschützt durch das Rauschen des Wassers in ihren Liebesträumen verloren. Mara wich geschickt einem Mann mit einem Kinderwagen aus und überholte zwei Joggerinnen, die nebeneinander im Gleichschritt liefen.

      Plötzlich rannte ein großer, schwarzer Hund direkt in ihr Vorderrad. Sie hörte ihn jaulen, versuchte zu bremsen. Ihr Rad geriet ins Schlingern. Nur mit Mühe gelang es ihr, nicht zu stürzen.

      „Mephisto, Mephisto!“ Der herbeigeeilte Besitzer kniete neben seinem Hund und suchte ihn nach Verletzungen ab.

      „Können Sie nicht aufpassen?“

      Mara schwieg betroffen.

      „Müssen Sie denn so schnell hier vorbeirasen?“

      Mara lehnte ihr Fahrrad an einen Baum und ging zu den beiden hin.

      „Sie könnten Ihren Hund aber auch an die Leine nehmen.

      Ich wäre fast hingefallen!“

      „He, mein Guter.“

      „Ist er okay?“ Mephisto schien sehr okay: er legte sich, kaum, dass Mara neben ihm war, auf den Rücken und ließ sich von ihr kraulen. Der Hund schleckte ihr die Hand ab und schaute sie mit treuen, bernsteinfarbenen Augen an.

      „Wie es aussieht, scheint er ja in Ordnung“ stellte Mara fest und betrachtete den Besitzer, der auf Augenhöhe neben ihr kniete. Mit seinen blonden Haaren, der hohen Stirn und einem eigentlich sympathischen Gesicht, erinnerte er sie an einen Clown aus einem Zirkus, nur attraktiver. Viel attraktiver, dachte Mara.

      „Hoffen wir` s mal“ brummte der Hundehalter. Mephisto stand auf und schüttelte sich. Als er im Fluss eine Ente sah, schien der Unfall vergessen. Er rannte die Böschung hinunter zum Wasser.

      Wenig später bog Mara in ihren Hof ein. Als sie ins Haus ging, schaute sie in den Briefkasten. Außer stapelweise Werbung keine Post, stellte sie fest- von wem auch. Sie schloss die hölzerne Wohnungstür mit den Milchglasscheiben auf. Mara mochte die Wohnung mit den knarrenden Dielenböden, hohen Decken und großen Fenstern sehr. Sie hatte bei der Gestaltung der zwei Zimmer darauf geachtet, nicht alles voll zustellen. Sie schlief im größeren, auf einem kniehohen Podest unter Palmen. Wenn es auch nur Yucca Palmen waren. Den anderen Raum nutzte sie als Wohnzimmer. Dort hatte sie mit schwarzem Ledersofa und Glastisch eine gemütliche Sitzecke eingerichtet. An den Wänden standen Regale voller Bücher und Bildbände über Kunst. Zwischen die langen Buchreihen hatte sie kleine Kunstwerke, Figuren aus Speckstein, Metall oder Holz, gestellt. Mittlerweile besaß sie eine recht ansehnliche Sammlung, auf die sie sehr stolz war.

      Es war kühl in der Wohnung. Sie ging durch das kleinere Zimmer und schloss die Balkontür. In der Küche kochte sie sich mit der italienischen Kaffeemaschine einen doppelten Espresso, den sie mit viel warmer Milch verdünnte. Erleichtert,