Die neun. Zbigniew Georg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Zbigniew Georg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754916834
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      Tage vergehen. Bald ist der Zeitpunkt gekommen, die Eizelle reif genug, um in eine lebende Gebärmutter gepflanzt zu werden. Sie alle fiebern diesem Ereignis mit den unterschiedlichsten Gefühlen entgegen.

      Schräg vor ihnen steht der große Monitor. Das Zeitfenster, in dem sie die Vergangenheit beobachten können. Von hier aus können sie auch Kontakt mit den Reisenden halten, so hoffen sie.

      Der Bildschirm zeigt eine Weltkarte. Miguel weist auf einen Punkt im Nahen Osten. „Hier ist nach meinen neuesten Erkenntnissen - und den Berechnungen unseres lieben Professors - der ideale Ausgangspunkt für das Experiment.“

      Pria reibt sich nachdenklich die Nase. „Warum so abgelegen? Dort gibt es mehr Sand als Bewohner, kaum Zivilisation – sofern man das von dieser Zeit behaupten kann. Die Sterblichkeitsrate ist vermutlich immens hoch – wir haben keine Zeit mehr für einen weiteren Versuch.“

      „Der Ort gefällt mir.“ Qori drückt mit den Fingern auf den Touchscreen und vergrößert den Ausschnitt. Seine Hand wandert suchend über den Bildschirm, um an einer bestimmten Stelle Halt zu finden. „Hier. Genau hier findet ihr die Frau, die ihr sucht.“

      Pria schaut ihn fragend an. „Woher nimmst du diese Sicherheit?“ Qori lächelt sanft. „Ich kann sie spüren.“

      „Durch die Zeit hindurch?“ Professor Zulgor sucht Qoris Blick. „Du erstaunst mich immer wieder, Qori.“

      „Aber sie muss im passenden Zyklus sein, damit ich - ich meine, damit wir den Embryo verpflanzen können.“ Prias Blick flüchtet sich in ihre Handakte.

      „Sie ist es“, erwidert Qori. „Und zwar genau an diesem Tag ...“ Er gibt weitere Daten ein.

      Miguel notiert sich die neuen Daten und ergänzt seine Berechnungen. „Wieso überrascht mich das voraussichtliche Geburtsdatum nicht? Dann müssen wir nur noch herausfinden, wer sie ist. Aber das sollte nicht allzu schwierig werden.“

      Qori justiert den Monitor neu. Die Karte verschwindet und Einzelheiten einer Welt, die seit über zweitausend Jahren vergangen ist, werden wie auf einem Film schlechter Qualität sichtbar.

      Sein Weg führt sie hinein in einen kleinen, staubigen Ort, in eine ebenso kleine, von einer großen Familie bewohnten Hütte mit nur einem Zimmer, zu einem jungen Mädchen, das einer älteren Frau beim Brotbacken hilft. Alles in diesem Ort wirkt karg und ärmlich.

      „Da ist sie.“ Zärtlichkeit liegt in Qoris Stimme.

      „Aber das Mädchen ist vielleicht grade mal dreizehn Jahre alt!“, wirft Pria erschrocken ein.

      „Das war damals das Alter, in dem die jungen Leute heirateten, Pria. Die Zeiten haben sich geändert.“ Miguel zwinkert ihr zu. „Wer heiratet heute noch?“

      „Und wir ändern sie jetzt noch einmal“, erklingt Professor Zulgors Stimme im Hintergrund.

      „So sei es!“

      Er verlässt mit den Anderen den Raum.

      Qori hält Pria, die ihm folgen will, zurück. „Sie hat einen Verlobten. Du wirst ihn einweihen müssen, denn sie ist noch unberührt.“

      Pria schüttelt verwirrt den Kopf. „Eine Jungfrau? Weißt du, was du ihr damit antust?“

      „Ja.“

      „Und was soll ich ihm erzählen? Du verlangst, dass ich mit ihm Kontakt aufnehme? Und wieso denkst du überhaupt, dass ich gehen werde?“ Sie kann seinem intensiven Blick kaum standhalten.

      „Weil du es willst, Pria. Es ist dein Kind. Du wirst es beschützen wollen wie jede Mutter.“ Er streicht ihr lächelnd übers Haar. „Aber dafür wirst du auf dein wunderschönes, goldenes Haar verzichten müssen. Blondinen waren dort zu der Zeit sehr selten.“

      Pria schnauft empört. „Kommt ja gar nicht in Frage!“

      Der halbe Inhalt ihres Kleiderschrankes liegt über dem Bett verstreut. Pria sitzt an ihrem Schreibtisch, den Kopf tief vergraben über aufgeschlagene uralte Bücher, die Hände ebenso in den blonden Haaren.

      Qori angelt schmunzelnd einen Büstenhalter aus dem Wäscheberg. „So etwas gab es meines Wissens nach zu der Zeit nicht.“

      Aus den Augenwinkeln schult sie kurz zu ihm. „Ich habe nicht vor, mich dort auszuziehen.“ Sein Lachen lässt sie kurz aufblicken. „Hör zu, Qori, ich muss noch lernen. Die Hypnoschulung kann mir zwar die Grundlagen der Sprache vermitteln, aber das reicht nicht, um authentisch zu wirken. In drei Tagen breche ich auf. Bis dahin ...“

      „Vergeht noch viel Zeit“, erwidert Qori sanft. „Hast du dir schon eine Geschichte für ihren Verlobten ausgedacht?“

      „Bin dabei. Hier.“ Achtlos hält sie ihm einen Bogen Papier hin.

      Qori nimmt ihn, überfliegt den Text. „Nicht schlecht. Aber ob die Menschen dieser Zeit ihn verstehen?“

      „Miguel meint, sie werden. Die alten Schriften werden bis zum Tag unseres Eingreifens Bestand haben. Aber ...“ Pria richtet sich seufzend auf und blickt Qori nachdenklich an. „... ob er sich alleine durch meine Worte daran hindern lässt, sie zu verstoßen? Wie soll sie es ohne Mann mit einem nichtehelichen Kind schaffen? In dieser Zeit? Sie wird eine Ausgestoßene sein. Niemand wird ihr die Geschichte glauben, die wir ihr erzählen werden.“

      Qori fährt mit den Fingern durch ihr langes Haar. „Locken würden dir gut stehen.“ Pria mustert ihn verständnislos. „Locken?“

      Qori nimmt eines der Bücher von ihrem Tisch, findet nach kurzem Suchen die gewünschte Seite und zeigt ihr die Stelle. „Wenn du dir dies hier zu Nutze machst, mein Engel, dann werden sie dir alles glauben, was du ihnen erzählst.“

      Pria nimmt wirft einen Blick in das Buch. „Das könnte sogar funktionieren! Miguel hat sicher noch ein paar alte Bilder für mich – als Inspiration.“ Sie springt auf und wühlt in den Kleidungsstücken auf dem Bett herum. „Ich hab bestimmt auch noch etwas Passendes zum Anziehen. Und zum Frisör muss ich sowieso mal wieder ...“

      Qori lacht über ihren Eifer. „Hoffentlich hast du auch die passende Sprache gelernt, sonst nützt dir dein hübsches Köpfchen diesmal überhaupt nichts!“

      „Natürlich hab ich - oh, du ...“ Sie wirft lachend mit einem Pullover nach ihm.

      Qori fängt ihn auf, wirft ihn zurück aufs Bett und zieht Pria an sich. „So gefällst du mir schon viel besser.“ Er schickt einen schrägen Blick aufs Bett. „Aber das da gefällt mir überhaupt nicht. Wo soll ich denn heute Nacht schlafen?“

      „Wie wäre es denn zur Abwechslung mal in deinem eigenen Bett?“ Pria zwinkert ihm zu.

      „Ich komme auch mit.“

      Hand in Hand schlendern sie durch den Stützpunkt. Es ist spät und nur noch wenige Menschen sind in den taghellen Gängen unterwegs. Zeit ist hier ebenso künstlich wie Sonnenlicht, doch ist gerade die Zeit ihr wichtigstes Orientierungsmittel. Und sie läuft ihnen davon. In jeder Sekunde. Immer schneller.

      „Wir werden die einzigen Menschen sein, die sich gefahrlos nach draußen bewegen können, wenn das Experiment abgeschlossen ist“, meint Pria leise, den Blick auf die zahlreichen

      Türen gerichtet, hinter denen andere Quartiere liegen. „Viele werden diese Welt nie wieder verlassen dürfen.“

      „Sie dürfen“, erwidert Qori ebenso leise. „Sie selbst werden darüber entscheiden, welches Leben sie führen wollen. Ob sie das Risiko eingehen und auf das Göttliche vertrauen, oder ob sie hier in der Dunkelheit die trügerische Sicherheit eines längst vergangenen Lebens führen wollen.“

      „So einfach ist es nicht, Qori.“ Pria schmiegt sich