»Ich weiß, das klingt bestimmt hohl, aber es tut mir leid«, sage ich leise.
Sie atmet tief ein, leckt sich über ihre Unterlippe und sieht dann zu mir auf. »Dir tut es leid, dass du mit mir durch die Pampa fährst, mich fesselst, mich mit Gewalt gefangen hältst?«, will sie zynisch wissen. Sie zieht ihre volle rosa Unterlippe zwischen ihre Zähne und lässt sie wieder rausgleiten. Bei dem Anblick kann ich nur daran denken, dass ich es sein will, der auf diese Unterlippe beißt. Fuck, neben mir sitzt diese Frau und sie schafft es, mein inneres Monster zum Brüllen zu bringen. Für einen Augenblick bin ich so abgelenkt, dass ich das Lenkrad hart nach links reißen muss, um nicht gegen einen Baum zu fahren.
»Ja«, gebe ich zu. Meine Hand am Lenkrad zuckt, denn ich will sie zu gern berühren, über ihre verletzten Handgelenke streichen und ungeschehen machen, was ich angestellt habe. Aber ich habe keine Wahl.
Sie schnaubt. »Lass mich gehen«, fordert sie barsch.
»Das kann ich nicht.«
Sie dreht mir abrupt das Gesicht zu. »Warum? Ich verstehe es nicht.«
»Er lässt mir keine andere Wahl. Bei dieser Sache geht es nicht nur um dich und mich. Ich habe dich am Leben gelassen, reicht das nicht erstmal?«
Sie lacht dumpf auf und schüttelt den Kopf. »Ob das erstmal reicht? Ich weiß nicht, was reicht denn normalerweise, um eine Entführung zu entschuldigen?« Sie wirft mir wieder diesen trotzigen Blick zu, dem ich mich nicht entziehen kann, und der in mir das Verlangen wachruft, sie darüber zu belehren, dass sie sich mir und meinem Willen zu fügen hat. Ich will ihr sagen, dass ich hier bestimme, wo es langläuft. Will ihr deutlich klarmachen, wer hier die Macht hat. Und zugleich erregt es mich, ihren Trotz zu spüren. Zu fühlen, wie sie gegen mich ankämpft. Ich bin definitiv ein krankes Arschloch, aber das wusste ich schon vorher.
Ich fahre den Pick-up an den Straßenrand. Kilometer vor und hinter uns gibt es nichts weiter als Wälder und eine endlos lange gerade Straße. »Ich weiß es nicht, denn eigentlich entführe ich niemanden. Das Einzige, was ich je gelernt habe, ist zu jagen und zu töten. Und meine Familie zu beschützen. Bei dem Letzten habe ich versagt. Aber ich werde nicht dabei versagen, meinen Bruder zu retten.«
Ihre Augen weiten sich, dann senkt sie den Blick auf ihre Hände. Sie liegen in ihrem Schoß. Sie sitzt ungefesselt neben mir, weil ich zu geschockt von den Malen auf ihrer Haut war. »Ich bin nicht schuld an dem, was er dir angetan hat«, sagt sie kleinlaut und hebt mir ihre Hände entgegen. »Aber ich entschuldige mich für das, was mein Vater dir angetan hat. Es tut mir wirklich leid.«
»Ich weiß«, antworte ich und lenke das Auto wieder auf die Straße. Ich muss weiterfahren, denn länger in diese tieftraurigen, enttäuschten Augen zu sehen, würde mich dazu bringen, Dinge zu tun, die ich am Ende noch mehr bereuen würde.
Ich presse die Lippen aufeinander. »Erzähl mir was über dich.« Ich brauche es, dass sie mich von meinen Gedanken ablenkt, bevor ich dem Tier in mir nachgebe und einen Fehler begehe, der ihr am Ende doch noch das Leben kosten wird. Ich darf dem Begehren, sie ganz für mich zu behalten, nicht nachgeben. Ich will sie in meiner Nähe, solange es mir möglich ist. An dem Punkt, an dem es nur darum ging, sie für meine Rache oder als Köder zu benutzen, bin ich längst vorbei. Ich habe einen Punkt erreicht, an dem es um meinen eigenen Egoismus geht. Ich will sie nicht mehr gehen lassen. Aber ich muss, denn sie ist nur ein Mittel zum Zweck, das darf ich nicht vergessen.
Sie stößt ein kurzes, aber hartes Lachen aus. »Du willst, dass wir Konversation betreiben, als wären wir Freunde. Ein Paar auf einem Ausflug nach Disneyland vielleicht?«
»Genau«, sage ich, ohne sie anzusehen. Ich weiß auch so, dass dieses kämpferische Funkeln wieder in ihre Augen getreten ist.
Sie versetzt mir einen harten Faustschlag gegen den Oberarm und ich verreiße das Lenkrad. Mit einiger Mühe bekomme ich den Wagen wieder unter Kontrolle und werfe besorgt einen Blick in den Rückspiegel auf mein Bike, aber es steht sicher verschnürt und wackelt nicht einmal. Es folgen weitere wütende Faustschläge, mit denen sie mich zwingt, wieder an den Straßenrand zu fahren. Ich nehme die Waffe unter meinem Oberschenkel hervor und richte sie auf Raven. »Nur, weil ich gerade so etwas wie Mitgefühl entdecke, heißt das nicht, dass ich dich nicht doch töten werde«, sage ich ernst und sehe sie warnend an.
»Ich glaube dir kein Wort«, brüllt sie und packt den Lauf der Waffe so schnell, dass ich für den Bruchteil einer Sekunde schockiert zu Eis erstarre und Panik bekomme, dass sich ein Schuss lösen könnte.
»Fuck«, stoße ich aus. Lege meine freie Hand gegen ihre Kehle und drücke hart zu. Viel zu hart, aber die Angst, dass sie sterben könnte, wenn sie weiter an der Pistole zerrt, treibt meinen Puls hoch. »Lass los«, befehle ich ihr und drücke sie gegen den Sitz. Meine Hand umschließt ihre Kehle so fest, dass ihre Augen sich weiten und sie die Waffe tatsächlich loslässt.
Ich lege sie zwischen meine Oberschenkel, ohne meinen Blick von ihrem bleichen Gesicht zu lösen. Der Schock sitzt noch immer so tief, dass ich hektisch atme. Ich drücke fester zu, treibe meine Fingerspitzen hart in ihre Haut, bis sie schmerzhaft aufstöhnt. »Bist du wirklich bereit zu sterben? Denn wenn es heißt ›Du oder ich‹, dann wirst du sterben. Auch wenn mir das nicht gefällt.« Aber ich habe Verpflichtungen. Es gibt Menschen, die mich dringend brauchen. Danach … Danach ist mir alles egal. Aber solange muss ich überleben. Und das werde ich auch. Ich atme zitternd ein, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Es fällt mir normalerweise leichter, die Kontrolle nicht an meine dunkel Seite abzugeben, aber bei ihr ist alles anders. Sie reißt an meiner Selbstbeherrschung.
»Bin ich«, sagt sie tonlos. Ihre Kehle zuckt unter meiner Hand und erst jetzt merke ich, wie sehr ich sie umklammert halte. Ich löse meinen Griff etwas und streiche entschuldigend mit meinem Daumen über die weiche Haut ihres Halses. Ihr Puls flattert unter meiner Fingerkuppe so schnell wie die Flügel eines Kolibris. Zerbrechlich und zart, schießt es mir durch den Kopf und mein Blick brennt sich auf ihre vollen Lippen. Plötzlich will ich wissen, wie sie sich auf meinen anfühlen würden. In ihren Augen steht noch immer die Panik, zusammen mit dem Zorn, den sie empfindet. Trotzdem löse ich meine Hand von ihrer Kehle und lege sie auf ihre Wange. Ich streiche mit meinem Daumen über ihre warmen Lippen und stelle mir vor, sie zu küssen.
»Was tust du da?«, will sie wissen. Die Angst in ihrer Stimme fühlt sich an, wie ein Eimer Eiswasser. Ich reiße mich von ihr los, richte mich auf und lege die Hände fest um das Lenkrad, bevor ich etwas tun könnte, das ich am Ende noch bereue. Ich habe schon etwas getan, das ich bereue. Ich habe sie bedroht, verletzt und grob behandelt. Was unterscheidet mich noch von Sherwood? So will ich keine Frau behandeln. So wollte ich nie sein.
»Tu das nicht noch einmal«, knurre ich mit hämmerndem Puls und fahre los. Ich ignoriere das Brüllen in in meinem Kopf und konzentriere mich auf die Wut in meinem Bauch. Ich darf nicht zulassen, dass sie diese Art von Gefühlen in mir weckt. Nein, sie hat sie schon geweckt. Aber das ist egal. Meine Gefühle spielen dabei keine Rolle. Mein Egoismus und der Wunsch, sie bei mir zu behalten, spielen auch keine Rolle. Hier geht es nicht um mich oder sie. Sie hat eine Aufgabe und die wird sie erfüllen. Danach werden wir uns nie wieder über den Weg laufen. Ich werde sie nicht weiter als für unsere Freiheit nötig in meine abgefuckte Welt reißen.
Ich muss eingeschlafen sein, denn als ich die Augen öffne, fahren wir gerade auf die kleine Auffahrt zu einem flachen, ehemals weißen, Haus. Jetzt sind die Holzwände schmutzig-grau, an ein paar Stellen sogar beschädigt, der Garten ist verwildert und die kleine Schaukel auf der Veranda hatte bestimmt schon bessere Tage. Sie hängt schief an ihren rostigen Ketten. Trotzdem wirkt das Haus nicht heruntergekommen, sondern viel eher alt und etwas schmuddelig. Ganz so, als wäre es seinem