Der Säbeltänzer. Erhard Regener. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Erhard Regener
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754926758
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also, du weißt, was ich meine, nicht solche Spitzen zum Klettern."

      "Würdest du gern wieder in den Bergen wohnen?"

      "Wenn man Chemie studiert hat, ist das wohl fast unmöglich. Aber ja, das wäre mein Traum."

      "Sag mal, hast du heute beim Klettern keine Angst gehabt?"

      "Wieso? Seppel war doch dabei. Was soll mit Seppel passieren?"

      "Also, ich meine eher beim Abseilen. Wenn man das Seil loslässt, ist es vorbei."

      "Oye flaco, wenn du mit deinem Motorrad auf der Straße fährst, und ein LKW kommt dir entgegen - dann musst du das Lenkrad nur ein paar Zentimeter nach links drehen und du bist tot."

      "Warum sollte ich das tun?"

      "Warum sollte ich das Seil loslassen?"

      "Ja! Warum eigentlich?", manche Sachen können so einfach sein.

      "Seppel hat wirklich sehr nette Eltern.", resümierte Rosana.

      "Naja, normal."

      "Feo, ich kann es nicht mehr hören: normal, normal. Du bist so ein Stoffel! Kannst du denn nicht einmal zugeben, wenn etwas gut war, wenn andere Leute etwas gut gemacht haben?"

      "Na okay. Du hast ja recht. Seine Mutter ist wirklich sehr agil und sein Vater - ja, das ist ein echt witziger Vertreter, das hätte ich nicht erwartet."

      "Na siehst du, es geht doch, wenn man nur will."

      "Na ja, du hast wie immer Recht und ich meine Ruhe. Also dann. Gute Nacht, Mädel.", den Bauch vom exzellenten französischen Cognac wohlig angewärmt, drehte sich Atsche auf die Seite.

      "Atchecito."

      "Ja?"

      "Du hast vorhin so komisch geguckt, als Seppels Vater sein Jagderlebnis erzählt hat. War das eine gute Geschichte?"

      "Ha! Ob die gut war? Das ist jetzt keine ernsthafte Frage, oder? Das war die beste Jagdgeschichte, die ich je gehört habe - mit Abstand."

      "Ich verstehe nichts davon, aber Hasen sind doch nicht selten, oder?"

      "Das ist ja der Knalleffekt. Erst musste ich innerlich über Seppels Vater schmunzeln. Aber ich habe mir das eben nochmal überlegt: Das war nicht nur so dahergeredet. Dieses Schlitzohr hat alles mit Bedacht erzählt und dabei kein Detail dem Zufall überlassen. Ich sage dir: Herr Stettig ist ein ganz ausgekochter Hund. Der wollte mich testen. Und fast hätte er mich auch erwischt."

      11. Auch Lamas haben eine Würde

      Hecki und Atsche auf dem Heimweg vom Fettbach. Warum konnte dieser Club nicht auf dem Campus liegen wie alle anderen auch? Immer ein halbe Stunde Fußweg und immer früh am Abend, kurz nach Mitternacht. Die beiden traten den Heimweg ohne Begleitung an, der dadurch umso trister wirkte. So trotteten die geschlagenen Krieger gesenkten Hauptes nebeneinanderher, in Richtung ihrer eigenen Betten.

      "Sag mal, die Schwarzhaarige, also wenn die nicht schnuckelig war. Du hast doch schon ganz erfolgreich an ihr rumgeschraubt. Wo war das Problem?", fragte Hecki.

      "Merkst du noch was? Die war doch völlig verstrahlt, redet ohne Unterbrechung."

      "Aber die hatte keinen BH an und der Pudding, der darunter gewackelt hat, mein lieber Mann! Wer will da nicht Masseur spielen?"

      "Ach was, die labert noch beim Baumstammschieben, und was noch schlimmer wäre: sicher auch noch danach. Nee, mein Lieber, ich erwarte ein gewisses intellektuelles Minimum."

      "Intellektuelles Minimum? Du hast echt nicht alle Latten am Rost. So ein Püppchen sollte man nicht unbenutzt in der Ecke stehen lassen."

      "Tja Meiner, ich bin eben ein Genießer. Außerdem sollte das nicht dein Problem sein. Du bist doch fein raus: Du hast ja deine Stoßburg, zu der du gehen kannst, wann du willst."

      "Wenn du Ivonne meinst: Nee, die lässt mich nicht mehr ran."

      "Was? Wieso das denn? Die stand dir praktisch zur freien Verfügung – exklusiv, jederzeit."

      "Das ist vorbei. Am Montag gleich nach dem Labor bin ich mit Zero und den anderen in die Pickelhaube zum Doppelkopf. Aber um acht war ich mit Ivonne verabredet. Also habe ich den Jungs gesagt, sie sollen mit dem nächsten Spiel auf mich warten, und bin im Laufschritt zu Ivonne rüber. Die wollte es sich mit mir 'schön gemütlich' machen. Aber wie denn? Ich hatte doch keine Zeit, einfach keine Zeit."

      "Also war nichts?"

      "Na doch, ich schnell rauf auf die Mutti und mir in Windeseile einen abgerammelt, wie ein Karnickelbock: rauf und wieder runter und weg. Ich konnte doch nicht länger bleiben, ich wollte zurück zu meinen Freunden, Bier trinken und Karten spielen."

      "Na dann hat ja das Aus- und Wiederanziehen länger gedauert als das Porkeln."

      "Ach was. Wie schon gesagt, ich hatte keine Zeit. Ich hatte noch alles an, sogar meinen fleckigen Laborkittel, ... huh, huh, huh."

      "Und das hat sie dir übelgenommen?"

      "Ja, versteh' einer die Frauen."

      Die Hälfte der Strecke war geschafft, hier gabelte sich der Weg: geradeaus Richtung Campus, nach links durch einen schlichten Tierpark. Das wohldurchdachte Bombenteppichmuster, das die alliierte Luftwaffe vor gut dreißig Jahren auf Neustadt gelegt hatte, war fast lückenlos gewesen. Nach dem Krieg säumte man die Hauptstraßen mit Bauten im stalinistischen Zuckerbäckerstil, dessen niedlicher Name nichts von seiner Klobigkeit erahnen lässt. Später die Randgebiete mit sterilen Plattenbauten aufgefüllt – architektonische Leckerbissen sehen anders aus. Bei Südwind kroch der süßliche Geruch der Erdölraffinerie in jeden Winkel. Bei Nordwind würde hier niemand Wäsche im Freien aufhängen. Dann legte sich der feine, ungefilterte Kalkstaub aus den riesigen Schloten des nahen Karbidwerks wie Vulkanasche auf die ohnehin schon graue Stadt, eingezwängt zwischen Industriebetrieben und umgeben von einer baumlosen Agrarsteppe. Nein, Neustadt an der Plage war kein Ort, den man ohne stichhaltigen Grund freiwillig aufsuchen würde.

      "Komm Hecki, gehen wir links. Da sind wenigstens keine Häuser."

      "Ach Mann, dann dauert es ja noch länger. Warum nicht wie immer? Hast Du deinen Dietrich dabei?"

      "Siehst du, genau das will ich vermeiden. Wir können nicht schon wieder die Kaufhalle knacken."

      "Ich könnte etwas Milch gebrauchen. Und Einbrechen kann man das wohl kaum nennen. Du hast sauber wieder abgeschlossen. Außerdem haben wir eine genial falsche Spur gelegt. Das war perfekt. Huh, huh, huh.", Hecki schüttelte sich vor Lachen.

      "Ach hör auf. In dem Rotzladen war doch nix drin, nicht mal Bier."

      "Und außerdem hast du gesagt, dass das eine gute Tat war: Wir würden damit nur auf einen Fehler im System hinweisen, eine Sicherheitslücke aufdecken."

      "Von Milch kriege ich das Brechen. Nee, komm, wir gehen links lang."

      "Willst du noch eine Phenol-Ente mitnehmen?"

      "Ach, wir haben genug zu essen. Das mache ich nur in Notfällen."

      "In häufigen Notfällen."

      Die Stadtverwaltung hatte sich redlich Mühe gegeben, in dieser tristen Ansiedlung mit ihrem wenigen Grün durch einige Tiergehege für etwas Abwechslung zu sorgen. Im ersten Abteil waren ein paar Kaninchen und Meerschweinchen - aber nur, wenn man davon wusste. Heute war keines von den Biestern zu sehen. Die faulen Mickerlinge schlummerten schon. Dahinter kam ein winziger Pferch mit einem Esel, der im Stehen schlief. Schließlich ein Verlies mit vier Lamas, die von einer Ecke ihres Gefängnisses zur anderen wanderten. Davor blieb Atsche stehen.

      "Hecki, warum schlafen die Idioten nicht?"

      "Wegen der Zeitdifferenz zwischen Südamerika und Europa."

      "Knallbeutel, die sind schon Jahre hier."

      "Warum interessieren dich diese stockdoofen Kamele?"

      "Weißt du eigentlich, dass in Peru