Bei der Analyse der Gegenwart ist noch alles da, bei der Analyse der Vergangenheit sind wir auf eine unvollständige, verfälschte Dokumentation der Realität angewiesen.
Realität/Fehler bei der Beurteilung der Zukunft
Unsere Analyse hat an sich noch keine Aussagekraft für die Zukunft. Wir haben bisher nur eine Basis für die Prognose geschaffen, mit der wir unsere bisherigen Erkenntnisse in die Zukunft projizieren. Bei der Analyse von Daten aus der Vergangenheit und der Gegenwart mussten wir unvermeidlich eine Vielzahl von Fehlerquellen hinnehmen. Wir haben unzählige Vereinfachungen vor-genommen, Annahmen getroffen und Spielregeln erfunden, wo nachweislich keine Spielregeln gelten. Leider haben wir an dieser Stelle keine Vorstellung mehr davon, wie groß der Fehler bei unserer Analyse sein könnte.
Aus den durchgeführten Analysen selektieren wir nun die Daten, die wir für unsere Prognose, für die zukünftige Entwicklung als relevant und repräsentativ erachten. Wir können Annahmen treffen über zukünftige Produkte der Konkurrenten oder zu der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung. Wir können Annahmen bezüglich der Kunden treffen, nach Wirkmechanismen und nach den zukünftigen Spielregeln suchen.
Auf Basis all dieser butterweichen „Fakten“ erstellen wir schließlich nach den Regeln der Logik und der Wissenschaft unsere Prognose. Dabei nehmen wir noch einmal viele Vereinfachungen und Fehlerquellen in Kauf. Die Fehler addieren sich nicht einfach auf. Die Fehler können sich auch verstärken, denn Analyse und Prognose bauen aufeinander auf. Eine kleine Ungenauigkeit in der Analyse der Vergangenheit kann einen großen Fehler bei der Analyse der Gegenwart verursachen und eine Fehleinschätzung in der Prognose zur Folge haben.
„Das ist ja ganz schrecklich“, werden Sie vielleicht denken … Wie können wir den Fehler, den wir mit all den Vereinfachungen, Vernachlässigungen und Vermutungen eingehen, ermitteln und berücksichtigen? Wie sollen wir den Fehler von etwas beurteilen, das wir nicht erkannt haben, oder die Auswirkung eines Fehlers auf die folgenden Schritte?
Gar nicht!
Ein wohlmeinender Maschinenbauprofessor hat uns einmal empfohlen, die Ergebnisse unserer Berechnungen immer auch auf Plausibilität zu überprüfen. Wir sollten überlegen, ob der Einbau einer Schraube, die aus einer Schweizer Armbanduhr stammen könnte, für den Einbau in eine Diesellokomotive möglicherweise unangemessen sein könnte, auch dann, wenn wir 100 % sicher sind, dass sie für die errechnete Belastung mehr als ausreichend sein würde. Der Maschinenbauer würde sich lächerlich machen, wenn er das auf Basis physi-kalischer Größen exakt berechnete Ergebnis in die Praxis umsetzen würde. Für einen Maschinenbauer, der ein Bauteil berechnet, besteht die Gefahr, dass das Bauteil versagt. Es ist leicht herauszufinden, ob das Bauteil versagt hat, weil ein Fehler bei der Berechnung des Bauteils gemacht wurde, oder ob ein Fehler bei der Berechnung der Belastung gemacht wurde, die tatsächliche Belastung größer war als die berechnete, angenommene Belastung. Die Mathematik, die wir anwenden, ist fehlerfrei. Wir müssen nur nach dem Fehler suchen, den der Mensch bei ihrer Anwendung begangen hat. Wir müssen nicht nach einem Fehler in der Mathematik suchen.
Auch für den Analytiker bzw. Prognostiker besteht die Gefahr, sich mit dem, was er sich größtenteils ausgedacht hat, zu blamieren. Hier ist es jedoch nicht möglich, die vorhergesagten Ergebnisse, wie bei einem Maschinenbauer, mal eben auf einem Prüfstand zu überprüfen. Wenn wir in einem komplexen System nach einem Fehler suchen, stellen wir immer auch die theoretischen Grund-lagen, auf denen ein Ergebnis zustande gekommen ist, infrage. Solange sich der vorhergesagte Erfolg nicht als totaler Flop herausstellt und die Annahmen logisch und rational begründet sind, ist es nahezu unmöglich, die Annahmen des Analytikers bzw. Prognostikers zu widerlegen. Analysten und Prognostikern ist das bewusst und sie handeln entsprechend. Weil sie nichts beweisen können, müssen sie Wert darauf legen, dass die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht widerlegt werden können. Sie machen keine gewagten Annahmen oder Vereinfachungen und finden intelligente, folgerichtige und logische Zusammenhänge. Auch wenn die Dinge offensichtlich nicht intelligent, folgerichtig und logisch sind, macht es Sinn, die Dinge so darzustellen. Um eine Prognose zu widerlegen, die tatsächlich auf unsinnigen Zusammenhängen basiert, müsste man unsinnig argumentieren und liefe dabei Gefahr, sich lächerlich zu machen. Nicht wissenschaftliche Einflüsse, Eigeninteressen, Fremdinteressen auf das Ergebnis sollten natürlich ebenfalls nicht nachweisbar sein. Um die Gefahr einer harten Landung in der Realität zu verringern, wird das Ergebnis taktisch schlau im Bereich des Mainstreams gelegt. Die zu erwartenden Abweichungen sind hier besonders gering. Sollte es zu einer erheblichen Abweichung kommen, ist es wichtig, dass man möglichst viele Einflussgrößen und Daten berücksichtigt hat. In einer umfangreichen, komplizierten Prognose, die auf einer entsprechend umfang-reichen Analyse beruht, lassen sich immer genügend logische Begründungen finden, die ohne Verschulden des Prognostikers für die Abweichungen verantwortlich gemacht werden können. Schlimmstenfalls muss man ein-gestehen, dass die gewählte Datenbasis zu klein war und zukünftig ausgeweitet werden muss.
Analysten und Prognostikern entgehen mit dieser Vorgehensweise den Fallstricken, die aufgrund der Beliebigkeit ihrer Tätigkeit drohen. Sie erzeugen auf wundersame Weise diplomatische Ergebnisse. Der Prozess kann beliebig kompliziert und umfangreich gestaltet werden und beliebig viele logische Erklärungen und Datenbelege liefern. Je nachdem, wie groß der Eindruck sein soll, den man machen möchte, lässt sich dieser Unsinn beliebig ausweiten.
Wir müssen uns fragen, welchen Wert das Ergebnis für unsere Entscheidungen und unser Handeln haben kann. Eine Unmenge an Fehlern haben wir bei diesem Verfahren konsequent ignoriert. Wir können keine Vorstellung von dem Risiko haben, das von dieser Prognose ausgeht.
Der Nutzen von Analysen und Prognosen ist begrenzt.
Das Meer wird umso tiefer, je weiter man sich hineinbegibt!
Es kommt nicht auf die Menge der Daten oder die Plausibilität der Darstellung an. Es kommt auf den Bezug zur Realität an. Daten, deren Bezug zur Realität wir nur vermuten, machen das Meer tiefer. Daten, die mit Theorien und nicht mit wahrem Wissen interpretiert werden müssen, machen das Meer tiefer. Wer sich im Bereich des Ufers mit den Füßen auf dem Boden der Realität bewegt, verfügt noch über Orientierung und einen realen Bezugspunkt. Mit jeder Theorie, Annahme, Vereinfachung begeben wir uns weiter hinaus auf das Meer. Wir verlieren dann immer mehr den Bezug zu Realität. Ohne diesen Orien-tierungspunkt sind wir immer mehr auf Theorien und Mutmaßungen angewiesen. Wenn wir erst schwimmen und weiter theoretisieren, entfernen wir uns immer weiter vom Boden der Realität. Ohne Bezugspunkt sind wir im Meer der Theorien dem Untergang geweiht!
Ich möchte hier nur zur Ehrenrettung unseres Analytikers und Prognostikers sagen, dass er natürlich alles richtig gemacht hat. Wenn er seinem Chef nur das präsentiert hätte, was an harten, belegbaren Fakten verfügbar ist, dann hätte er keine 65 Seiten präsentieren können, sondern mit viel Mühe eine halbe Seite. Die hätte ihm sein Chef um die Ohren gehauen mit den Worten „Das weiß ich selber!“ Der Chef trägt schließlich die Verantwortung vor den Unternehmenseignern und dem Vorstand. Und wenn die Produkteinführung in die Hose geht, braucht er etwas, um diese Leute zu beeindrucken. Er braucht keine halbe DIN-A4-Seite sondern 65 Seiten. Er braucht die blumigen Theorien für eine erfolgreiche Markteinführung und eine große Datenmenge, um sich selbst aus der Affäre ziehen zu können. Das Ganze dient zwar nicht der Sache, ist aber trotzdem für viele Beteiligten sehr von Vorteil.
Wenn wir überleben wollen, müssen wir bedenken, dass unser Bild von der Realität immer fehlerbehaftet ist. Je weiter wir uns von der Gegenwart entfernen, desto größer werden die Fehler. Es ist ein großer Unterschied, ob wir selbst unsere eigene Realität untersuchen oder ob wir die Analyse eines Fremden nutzen. Wir müssen unsere Bemühungen