Realität/Fehler bei der Beurteilung der Gegenwart
Wir haben gesehen, dass wir Fehler berücksichtigen müssen, wenn wir ein gewünschtes Ergebnis erzielen wollen. Wir schauen uns ein Beispiel an, bei dem wir nach der üblicherweise gelernten Methode vorgehen. Wir wollen verstehen, mit welchen Unwägbarkeiten wir konfrontiert werden, wenn wir mit den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Methoden den realen Problemen gegenübertreten. Wir schauen uns ein einfaches Beispiel an:
Ihr Unternehmen hat ein neues Produkt entwickelt und möchte dieses in den Markt einführen. Aufgabe ist es, eine Erfolgsprognose für das Produkt zu erstellen und den erzielbaren Verkaufspreis zu ermitteln. Damit das Ganze auch etwas hermacht, sollte das fertige Werk, das der Geschäftsleitung vorgelegt wird, mindestens einen Umfang von 60-70 DIN-A4-Seiten haben
Zunächst einmal nehmen wir als Basis für unsere Prognose eine Analyse der aktuellen Situation vor. Wir analysieren den Markt. Der Markt umfasst viele Menschen, die auf unser Produkt mit Freude, Ablehnung, Gelassenheit, Widerstand, Ärger oder Panik in allen nur erdenklichen Abstufungen reagieren können. Uns interessieren dabei „nur“ die Menschen, die evtl. mit dem Kauf unseres Produkts reagieren könnten. Wir haben eine Vorstellung, für wen unser Produkt interessant sein könnte, und legen eine Zielgruppe fest. Unsere Untersuchungen konzentrieren sich auf diese Zielgruppe. Wir suchen nach den Regeln, die ausschlaggebend für die Kaufentscheidung dieser Zielgruppe sein könnten. Natürlich gibt es auch Zielgruppen und Einflussgrößen, die wir nicht als solche erkennen, und solche, von denen wir nichts wissen können. Für unser Modell werden wir also nur die als relevant erkannten Einflussgrößen aus-wählen, für die eine Berechnung möglich erscheint. Durch diesen Auswahlprozess ergibt sich von vorneherein ein stark vereinfachtes, verstümmeltes Modell der Wirklichkeit. Darüber hinaus schauen wir ähnliche Produkte an, die von unseren Konkurrenten angeboten werden. Wir fragen uns, ob das erfolgreiche Produkt von Konkurrent A deshalb so erfolgreich ist, weil es ein kräftiges Geräusch macht oder weil es grün ist. Die Erfolglosigkeit des Produkts von Konkurrent B könnte am leisen summenden Geräusch oder der kräftigen roten Farbe liegen. Aufgrund der vielen Einflüsse in einem komplexen System müssen wir von vornherein spekulative Vermutungen anstellen und Einschränkungen machen. Alles, was wir hier untersuchen, unterliegt jedoch letztlich dem Verhalten des Kunden und folgt nicht den Naturgesetzen. Überall dort, wo Einflussgrößen mit menschlichem Verhalten in Verbindung treten, sind wir gezwungen, komplexes irrationales Verhalten durch einfache logische Erklärungen in unsere Analyse einzubinden. Die Berücksichtigung vieler dieser Einflussgrößen macht unser Modell zwar umfangreicher und komplizierter, wir müssen aber auch immer mehr Annahmen und Unsicherheiten in Kauf nehmen. Das Ergebnis wird dadurch evtl. plausibler, aber nicht unbedingt genauer. Es besteht die Gefahr, dass es sogar ungenauer oder unbrauchbar wird.
In einem stark eingegrenzten Spielfeld, innerhalb der eingeschränkten Ziel-gruppe, suchen wir mithilfe einer ebenso eingeschränkten Auswahl an Entscheidungskriterien nach Spielregeln, die das Verhalten der Zielgruppe erklären können. Hierzu beschränken wir uns auf ein stark vereinfachtes Modell mit vereinfachten Spielregeln. Wir kommen dabei nicht auf die Idee, dass der Fehler, den wir begehen, die Analyse wertlos machen könnte. Alles in unserer Analyse ist logisch und intelligent begründet. Wo soll da ein Fehler sein?
Realität/Fehler bei der Beurteilung der Vergangenheit
Zur Analyse der Vergangenheit stehen uns große Mengen an Daten zur Verfügung: Geschäftsvorgänge, Absatzzahlen, Herstellungskosten, Auftragseingänge usw. Diese Datenmengen gilt es zu analysieren und aus den verwertbaren Daten die gesuchten Rückschlüsse zu ziehen.
Wir gehen bei der Untersuchung der Vergangenheit in gleicher Weise vor wie bei der Analyse der Gegenwart. Wir selektieren aus einer unermesslich großen Menge an Daten die heraus, von denen wir glauben, dass sie möglicherweise für die Berechnung der Gewinnprognose von Bedeutung sein könnten.
In einer stark eingegrenzten Datenmenge suchen wir innerhalb einer eingeschränkten Auswahl an Entscheidungskriterien nach Spielregeln, die das Verhalten der Zielgruppe erklären können. Auf einer derart reduzierten Basis erstellen wir ein stark vereinfachtes Modell mit einfachen Spielregeln.
Im Gegensatz zur Betrachtung der Gegenwart müssen wir bei der Betrachtung der Vergangenheit zusätzliche Fehlerquellen in Betracht ziehen.
Selbst dann, wenn wir eine riesige Datenmenge zur Verfügung haben, müssen wir bedenken, dass diese Datenmenge niemals ein vollständiges Abbild der Realität sein kann. Es kann manchmal wesentlich einfacher sein, die Zukunft vorherzusagen, als den Vorgang rückwärtsgerichtet zu beurteilen. Legt man einen Eisklumpen auf ein Tablett in die Sonne, bedarf es geringer Fantasie, das Ergebnis vorherzusehen: eine Wasserpfütze auf dem Tablett. Es fällt in diesem Fall deutlich schwerer, in die Vergangenheit zu schauen. Mit etwas Aufwand könnte man zwar ziemlich genau die Ausdehnung und das Volumen des Eisklumpens berechnen. Aber selbst, wenn man weiß, dass geschmolzenes Eis für die Pfütze verantwortlich ist, stellt die Rekonstruktion des Eisklumpens ein nicht lösbares Problem dar!
Die Vergangenheit wird oft nicht als reine Datenansammlung dokumentiert, sondern es werden die als verstanden geglaubten kausalen Zusammenhänge dokumentiert. Das geschieht aus dem einfachen Grund, weil die Zusammenhänge zum Zeitpunkt der Dokumentation als wahrscheinlich erachtet wurden und eine gute Erklärung abgaben. Viele Menschen glauben, dass es wesentlich einfacher ist, den Grund für etwas herauszufinden, als in die Zukunft zu schauen. Das ist deshalb so, weil wir das Ergebnis kennen, wenn wir nach dem Grund fragen. Ob wir z. B. eine Gefahr in der Vergangenheit richtig analysiert haben, ist für unser Leben nicht mehr von Bedeutung. Weitaus wichtiger ist es, eine zukünftige Gefahr richtig zu erkennen. An Dingen, die unser Leben nicht mehr beeinflussen, haben wir naturgemäß viel weniger Interesse als an der Zukunft. Wir sind auf Überleben programmiert. Grübeleien über die Vergangenheit und die Korrektur vergangener Analysen sind in diesem Sinne Zeit- und Energieverschwendung. Der Mensch neigt dazu, Gründe, auch wenn sie falsch sind, einfach und schnell zu akzeptieren. Damit haben wir den Kopf frei für das Kommende.
Wenn wir versuchen, ein Ergebnis in der Zukunft zu prognostizieren, werden wir durch die Realität gnadenlos korrigiert. Weil wir bei Prognosen häufig scheitern, empfinden wir es als schwieriger, die Zukunft vorherzusagen, als die Vorgänge aus der Vergangenheit zu rekonstruieren.
Es sind oft die gleichen Probleme, die Analysen und Prognosen erschweren.
Unsere Begründungen sind genauso falsch wie unsere Prognosen.
Unsere Begründungen werden aber viel seltener korrigiert.
In die von Menschen gesammelten Daten fließen alle möglichen Begründungen und Bewertungen der Sachverhalte mit ein. Erfolge werden besonders genau dokumentiert. Unerfreuliche, peinliche, unprofitable mit Fehlentscheidungen verbundene Entwicklungen werden gerne unter den Teppich gekehrt. Man sollte in jedem Fall damit rechnen, dass Menschen ihre eigenen Interessen einfließen lassen, wenn sie einen Vorgang dokumentieren. Es ist in der Regel viel schwieriger, in den Daten einen Fehler zu entdecken als einen Erfolg. Erfolge sind viel besser dokumentiert, weil daran ein wesentlich größeres Interesse besteht als an der Dokumentation von Misserfolgen. Die vorhandenen Daten unter diesen Umständen wie Fakten zu behandeln, wäre leichtsinnig.
Wir müssen auch beachten, dass es nicht nur Menschen sind, die Daten sammeln. Es sind auch Menschen, die Daten auswerten. Eine gezielte Suche nach bestimmten Daten kann von vornherein das Ergebnis verfälschen. Der Mensch neigt dazu, erwartete Zusammenhänge zu entdecken und unerwartete Zusammenhänge